Schluss am Rotkreuzplatz? Händler und Kunden sorgen sich um ihren Kaufhof

In wenigen Tagen könnte das Ende des Kaufhauses am Rotkreuzplatz beschlossen werden. Über ein Viertel, in dem in diesen Tagen viele bangen – um ihr Neuhauser Zentrum, Laufkundschaft auch für die kleinen Händler. Und um die eigenen Jobs.
Helena Ott |
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Seit 1979 hat der Rotkreuzplatz einen Kaufhof, doch bald sollen erneut um die 80 Filialen schließen. Welche ist unklar.
Seit 1979 hat der Rotkreuzplatz einen Kaufhof, doch bald sollen erneut um die 80 Filialen schließen. Welche ist unklar. © Foto: Daniel von Loeper

Neuhausen - Von außen sieht man dem Koloss aus roten Ziegeln die Unruhe nicht an. Seit Monaten wird spekuliert und gebangt, was mit dem Kaufhaus geschieht. Neben dem Schwesternhochhaus ist es das markanteste Gebäude am Rotkreuzplatz. Für die Neuhauser gehört der Kaufhof hierher.

Schließt die Filiale am Rotkreuzplatz? 

Doch nun könnte die angekündigte Schließungs-Welle auch ihre Filiale treffen. Vor den gläsernen Eingangstüren breiten sich an diesem Donnerstag die bunten, gut besuchten Wochenmarktstände aus. Da ist auch auf den vier Geschossen des Kaufhauses mehr los, als die Tage zuvor. Wie ein Pendel schwingen die Türen auf und zu.

Alle Generationen in Neuhausen hängen an ihrem Kaufhaus

Aber über allem schwebt die Frage, was der Mega-Konzern Galeria Karstadt Kaufhof Anfang März verkünden wird. Bleibt die Filiale am Rotkreuzplatz; oder nicht? Und ereilt sie dann das gleiche Schicksal, wie jene am Stachus vor fünf Monaten? Obwohl Kaufhäuser in der gesellschaftlichen Debatte längst zum Auslaufmodell erklärt wurden, hängen die Neuhauser an ihrem. Das sagen einem dort viele, von der BA-Vorsitzenden, über die Standlverkäufer bis zu den Jungen. Denn das Kaufhaus erfüllt hier gleich mehrere Funktionen.

"Das würde das ganze Viertel verändern"

"Das würde das ganze Viertel verändern", sagt Ursula Neuger vom "Wollkorb". Sie verkauft seit 35 Jahren Wollknäuel und Strickzubehör in einer sternförmig vom Rotkreuzplatz abzweigenden Straße. Interessant, gerade eine Fachhändlerin, deren Produkte es im Kaufhaus in Teilen auch gibt, fürchtet einen "großen Verlust", wenn das große Neuhauser Warenhaus schließen würde.

Ursula Neuger in ihrem "Wollkorb" hat teils Produkte, die es auch im Kaufhof gibt - und sorgt sich doch, was passiert, sollte das Kaufhaus schließen.
Ursula Neuger in ihrem "Wollkorb" hat teils Produkte, die es auch im Kaufhof gibt - und sorgt sich doch, was passiert, sollte das Kaufhaus schließen. © Foto: Daniel von Loeper

Branchenkenner: Filialen am Rotkreuzplatz und im Olympia-Einkaufszentrum in Gefahr

Kürzlich war bekanntgeworden, dass der Konzern statt im Januar erst Anfang März verkünden will, welche der 131 Filialen sie deutschlandweit schließen werden. Zwischenzeitlich war von 90, dann von 60 und wieder von 80 Filialen die Rede, also rund die Hälfte der Kaufhäuser in Fußgängerzonen, an Bahnhöfen und in belebten Stadtvierteln – wie eben in Neuhausen. Wie berichtet, sehen Branchenkenner die Filialen am Rotkreuzplatz und die im Olympia-Einkaufszentrum auf der Kippe.

"Das Kaufhaus ist ein Publikumsmagnet, von dem auch kleine Läden profitieren"

Ursula Neuger ist mulmig, sagt sie, manche Sachen bekäme man im Viertel nur noch dort; Küchensachen, Glühbirnen, Koffer, zählt sie auf. "Ich schicke da auch meine Kunden hin, wenn sie Reißverschlüsse und andere Kurzwaren brauchen", sagt die Laden-Besitzerin. Das Kaufhaus sei ein Publikumsmagnet, von dem die kleinen inhabergeführten Läden auch profitieren.

Einkaufen als Erlebnis: der Wochenmarkt am Rotkreuzplatz 

Die bunten Wochenmarktstände, mit ihren blauen, gestreiften und gelben Planen sehen von der obersten Etage des Kaufhofs aus wie hingewürfelt. Der Markt ist einer der beliebtesten in ganz München. Und er verkörpert genau das Gegenteil von dem, was das Kaufhaus noch ausstrahlt. Unten riecht es nach Gewürzen, das Demeter-Gemüse liegt lose vor einem, manche Händler sprechen ihre Kunden mit Vornamen an, auffällig viele sprechen hier noch Bairisch. Immer wieder bilden sich kleine Grüppchen zwischen den Ständen zum Plaudern.

Er hat das, was viele moderne Kaufhauskonzepte, wie das Eataly als "Zukunftskonzept" verkaufen: Einkaufen als Erlebnis, Freizeitgestaltung und sozialer Treffpunkt. Der Wochenmarkt am Rotkreuzplatz hat das seit über 70 Jahren. Aber ohne dudelige Pop-Musik, trockene Klimaanlagenluft und charakterlose Regalreihen.

Hanusch: "Es wäre ein totaler Verlust für den Platz"

Sabine Barten und ihre Freundin kommen gerade aus dem Café. Sie sehen den Kaufhof viel positiver. "Der Galeria ist hier verwurzelt und wird angenommen", sagt Barten. Gerade im Winter würden sie dort gerne auch mal zwischendurch bummeln. Und auch Schulsachen für die Kinder, wie etwa Tintenkiller, kaufe sie dort, sagt Sabine Barten. Die Grüne Bezirksausschussvorsitzende, Anna Hanusch will auch, dass das Kaufhaus bleibt. "Es wäre ein totaler Verlust für den Platz", sagt sie, das Angebot passe auch einfach gut zu der Mischung, die sich hier gebildet habe. "Aber noch einmal darf es nicht mit Steuergeldern gerettet werden", sagt die Architektin. Das sei schon das letzte Mal "grenzwertig" gewesen.

Obwohl Neuvermietungen in Neuhausen für Normalverdiener kaum noch zu bezahlen sind, ist die Mischung von Menschen auf dem Wochenmarkt erstaunlich bunt. Über das abschüssige Pflaster flanieren Seniorinnen neben stylisch gekleideten Vätern mit dickem Anorak und Kinderwagen. Zu Mittag holen sich eine Reihe Bauarbeiter ein halbes Hendl am Grillstand.

Marktverkäufer gehen zum Durchschlendern in den Kaufhof – Galeria-Mitarbeiter kaufen auf dem Markt ein

Gegenüber, nah am Holz-eingekasteten Brunnen, steht ein kleiner Käsestand mit langer Warteschlange dahinter. Standlfrau Regina Stumbeck aus Miesbach schätzt das Persönliche hier: "Manche kenne ich schon, als sie noch im Bauch waren." Es sei eine intime Atmosphäre. Es sei schon vorgekommen, dass sie zum Drücken vor den Stand kommen musste, weil jemand beim Erzählen in Tränen ausgebrochen sei. Neben der Käsefrau sagen viele der anderen Händler auch, dass sie sich den Platz nicht ohne Kaufhof vorstellen könnten. Stumbeck sagt, sie gehe manchmal selbst "zum Durchschlendern" rein. Und umgekehrt sieht sie Galeria-Mitarbeiter, die auf dem Markt einkaufen. "Man sieht es an den Namensschildern."

Hinter Regina Stumbecks (59) Käsestand bildet sich oft eine kleine Schlange. Manche Neuhauser kennt sie noch als kleine Kinder.
Hinter Regina Stumbecks (59) Käsestand bildet sich oft eine kleine Schlange. Manche Neuhauser kennt sie noch als kleine Kinder. © Foto: Helena Ott

Viele Angestellte arbeiten seit über 20 Jahren in der Filiale

Es gibt sie noch. Doch von 550 Mitarbeitern in den ersten Jahren seien nur noch 90 Leute übrig, sagt Alfred Birkenmayer. Und er muss es wissen, schließlich hat er den Kaufhof am Rotkreuzplatz 1979 mit eröffnet. Vor 25 Jahren wurde er das erste Mal in den Betriebsrat gewählt und ist dort immer noch. Viele der verbliebenen Angestellten arbeiteten 20 Jahre und länger in der Filiale am Rotkreuzplatz. Das Miteinander war immer gut, aber jetzt scheint es zu kippen.

Der Frust im Inneren des Ziegel-Kolosses ist riesig. An der Kasse fragt ein Mann mit schwarzer Ledercappy die große, freundliche Frau hinter der Kasse, was denn nun aus dem Kaufhaus wird. Die zieht die Schultern hoch und pustet laut aus. "Wir wissen genauso viel wie Sie." Nein, schön sei das nicht.

Am schlimmsten sei die Unsicherheit und das Hin- und Her seit zwei Jahren. Der Konzern-Eigentümer René Benko hat mit seiner Signa Gruppe schon Mitte 2020 das erste Insolvenzverfahren gestartet, das zweite folgte 2022.

"Das Kaufhaus gehört auch für die Schüler zu Neuhausen"

Eine Kundenberaterin im Obergeschoss sieht es wie ihre Kollegin an der Kasse. Das ewige Hin und Her sei quälend, sagen beide. "Ein Drittel der Belegschaft hat schon gekündigt." Betriebsrat Alfred Birkenmayer sagt, sie wollten einer Schließung zuvorkommen. Manche hätten sich Jobs in Arztpraxen oder in der Verwaltung gesucht. Einige seien, wie er selbst, aber schon 60 und hätten Angst, sich für die letzten Jahre noch mal einen Job suchen zu müssen.

Nicht weit von seinem Büro, draußen, stehen vier Jugendliche, essen Döner. Ein Publikum, das mit dem Onlinehandel aufgewachsen ist. Was interessiert sie das angestaubte Sortiment im Kaufhaus? Ein Irrtum. Das Kaufhaus gehört auch für die Schüler zu Neuhausen. Sie kaufen dort Schulsachen oder Spiele. "Und voll wichtig, dass es da noch einen Schuhmacher gibt", sagt der große 17-Jährige. Aber auch sonst, wollten die vier den Kaufhof dort gerne behalten. "Ich geh da auch mal zwischendurch bummeln", sagt die 18-jährige Marissa Zips.

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Birkenmeyer: "Man hätte es halt modernisieren müssen"

Hier in Neuhausen hat die Institution Kaufhaus noch ein dankbares Publikum. Die Leute wollen nicht nur Onlineshoppen und große Malls mit Einzelgeschäften. Aber das lastet Alfred Birkenmeyer dem Management an: "Man hätte es halt modernisieren müssen." Die Mitarbeiter hätten in "unzähligen Runden" Vorschläge gemacht, wie die Kaufhäuser für die Kunden attraktiver würden.

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22 Kommentare
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  • Bluto am 29.01.2023 11:30 Uhr / Bewertung:

    Herr Benko ist Immobilienhändler.
    Der hat an Kunden und Mitarbeitern von Kaufhof und Karstadt das gleiche Interesse wie der Holzwurm an Friedrich dem Großen in dem Gedicht von Joachim Ringelnatz.

  • leafina am 29.01.2023 09:58 Uhr / Bewertung:

    Der Kaufhof am Rot-Kreuz-Platz ist leider ein unschönes Besipiel dafür, was passiert, wenn so gut wie nie modernisiert wird. Wir kaufen seit über 20 Jahren dort ein und können leider nichts positives beobachten: Fachkräfte, die beraten, gibt es dort schon lange nicht mehr. Verkäufer*innen stehen in Grüppchen herum und ratschen - wehe man versucht sie anzusprechen. Der Kundenservice ist unterirdisch - z.B. nur eine Kasse pro Etage - die Warteschlangen kann man sich vielleicht vorstellen... Die Lebensmittel-Abteilung im Untergeschoss hat völlig überteuerte Preise für Produkte, die ich in jedem Supermarkt (günstiger) bekommen kann. All das ist nicht mehr zeitgemäß und trägt vielleicht dzau bei, den Umsatz im Haus nicht gerade zu steigern. Das wiederum hat vermutlich zur Folge, dass sich dieser KAufhof aus wirtschaftlicher Sicht nicht mehr rentiert. Was wahrscheinlich passieren wird ist nicht nur absehbar, sondern auch zu großen Teilen selbst gemacht.

  • Alois Dimpfelmoser am 29.01.2023 08:25 Uhr / Bewertung:

    Es ist Unsinn einen sterbenden Schwan unbedingt am Leben halten zu wollen.

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