Sanierungsangst in der Berliner Straße: "Die wollen die Leute rausdrängen"

In einem Wohnblock, der einst dem Freistaat gehörte, geht die Sanierungsangst um. Der neue Eigentümer Dawonia will modernisieren - und kann die Mieten erhöhen.
Laura Meschede |
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Wie lange können die Mieter an der Berliner Straße 100 ihre Wohnungen noch bezahlen?
Wie lange können die Mieter an der Berliner Straße 100 ihre Wohnungen noch bezahlen? © Daniel von Loeper,

Schwabing-Freimann - Selbst ihre Badewanne hat Mina K. selber ausgetauscht. Sie hat den Boden ausgewechselt, hat zusätzliche Fliesen im Bad angebracht und ist mit dem Föhn gegen die feuchten Wände vorgegangen, um den Schimmel zu bekämpfen. "Ich bin echt sauer", sagt sie. "Jahrzehntelang habe ich mich um diese Wohnung gekümmert, und darum gekämpft, sie gut zu erhalten. Nie ist hier irgendwas gemacht worden. In der Waschküche ist alles verschimmelt. Und jetzt wollen sie ausgerechnet die Fenster und die Balkontüren neu machen?" Kurze Pause. "Das machen sie nur, um die Miete erhöhen zu können. Das ist doch nicht gerecht."

Modernisierungsmaßnahmen in Schwabing-Freimann

Mina K. wohnt in der Theodor-Dombart-Straße 17 im Schwabinger Norden. Seit knapp 38 Jahren nun. Aber vielleicht nicht mehr lange. Denn so wie es aussieht, wird sie sich die Miete bald nicht mehr leisten können.

Mina K.s Wohnung gehört der Dawonia, einer Immobiliengesellschaft. Und die möchte nun eine Wärmedämmung einbauen. Nicht nur bei Mina K., sondern auch in mehreren Nachbarhäusern, in der Schinkelstraße, in der Theodor-Dombart-Straße, in der Berliner Straße. Eine "Modernisierungsmaßnahme", wie die Dawonia in einem Pressestatement schreibt.

200 Euro Mieterhöhung: Kosten für Sanierung sollen Mieter tragen

Die Kosten dafür sollen - zumindest zum Teil - die Mieter tragen. Bis zu 200 Euro mehr sollen diese damit fortan zusätzlich im Monat zahlen. Es wäre die zweite starke Mieterhöhung innerhalb von nur zwei Jahren.

Erst letztes Jahr ist der Wohnblock aus der Mietpreisbindung gefallen - und da hat die Dawonia die Mieten um 15 Prozent erhöht, erzählt Joe Siemer (77). Noch hat er keinen Brief bekommen, in dem die Sanierung angekündigt wird. Aber die Bauarbeiter sehe er schon auf dem Gelände. Er wohnt seit 1984 in der Anlage, zusammen mit seiner Frau, die an Demenz leidet. "Das würde es noch schwieriger machen, wenn wir hier rausmüssten", sagt der Rentner.

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Auch Mina K. fürchtet, dass die "Modernisierung" sie ihre Wohnung kosten könnte. "Ich bekomme 420 Euro Rente im Monat", sagt sie. "Wenn demnächst mein Mann in Rente geht, und gleichzeitig die Mieten noch einmal so stark hochgehen - wie sollen wir uns dann unsere Wohnung weiter leisten?"

Sie und viele andere Nachbarn vermuten: Das Ziel der "Modernisierungsmaßnahme" sei es, eine Begründung für eine weitere Mieterhöhung zu kreieren. Dass Joe Siemer im Gegensatz zu einigen anderen Nachbarn bislang noch nicht offiziell über die Sanierung informiert wurde, passt für ihn dabei ins Bild: "Die informieren uns nur scheibchenweise, damit wir uns nicht zusammentun", sagt er. Aber: "Das hat nicht geklappt. Denn wir haben uns ja schon zusammengeschlossen."

"Wir wehren uns jetzt", sagt Mina K. "Ich war gestern schon Flyer verteilen und gleich gehe ich wieder Flyer verteilen und am Samstag werden wir protestieren. Wir lassen uns das nicht gefallen."

Am Samstag findet in der Berliner Straße eine Kundgebung statt, die die Bewohner des Wohnblocks zusammen mit dem Bündnis #ausspekuliert organisieren. Sie richtet sich gegen die Modernisierungsmaßnahme, gegen die Mieterhöhungen - und gegen Ministerpräsident Söder.

Kritik an Immobiliengesellschaft Dawonia

"Der Söder, der hat uns damals verscherbelt an die Aktiengesellschaft Patrizia", sagt der 70-jährige Rudi Riethmaier. "Der hat damals so getan, als wäre das eine Vorgabe von der EU, dabei hat das gar nicht gestimmt, der wollte bloß Geld einnehmen durch die Privatisierung." Rudi Riethmaier wohnt seit knapp 30 Jahren in der Berliner Straße. Als er eingezogen ist, da gehörte das Haus noch der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft GBW.

Aber 2013 verkaufte der Freistaat seine GBW-Wohnungen an den Immobilienkonzern Patrizia. Heute heißt die GBW Dawonia und es ist nicht das erste Mal, dass sie wegen des Vorwurfs in der Kritik steht, jedes rechtlich zulässige Mittel auszunutzen, die Mieten nach oben zu treiben. "Dawonia, allein der Name ist schon eine Frechheit", findet Riethmaier.

"Da wohn i aa, das wäre vielleicht passend, wenn das noch eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft wäre", sagt er. "Aber das ist eine Aktiengesellschaft. Eine Heuschrecke, die jetzt mit so Pseudorenovierungen versucht, die Mieten zu erhöhen, um mehr Geld an ihre Aktionäre auszuschütten."

Auf AZ-Anfrage: Dawonia bestreitet Vorwürfe

Dass der Einbau der Wärmedämmung eine "Pseudorenovierung" sei, da sind sich die Mieter des Wohnblocks auch deswegen so sicher, weil ihren Angaben zufolge Renovierungen in den letzten Jahrzehnten eher eine Seltenheit waren.

Auf Anfrage der AZ bestreitet die Dawonia die Vorwürfe der Mieter, betont, man habe allein in den letzten sechs Jahren mehr als 500.000 Euro für die Instandhaltung der 172 Wohneinheiten ausgegeben.

Die Kundgebung ihrer Mieter am Samstag bezeichnet die Dawonia gegenüber der AZ als "Pseudoprotest". Mit der Modernisierung solle nicht die Miete erhöht, sondern "wertvoller Wohnraum in seiner Substanz erhalten" werden.

Die Mieter des Wohnblocks überzeugt all das nicht. Sie treffen sich jetzt regelmäßig zu Nachbarschaftsversammlungen. Gemeinsam mit Mitgliedern des Bündnisses #ausspekuliert überlegen sie, wie sie die Mieterhöhungen abwenden können - und organisieren den Protest.

"Ich habe nicht 51 Jahre lang gearbeitet, um dann im Alter Flaschen sammeln zu gehen, damit ich mir meine Miete leisten kann", sagt Riethmaier. "Ich hoffe, dass sich durch unseren Protest auch noch mehr Leute für das Problem interessieren, denen das in der Zukunft ja auch passieren kann." Die Kundgebung findet am Samstag um 10 Uhr vor der Berliner Straße 100 statt.


Das sagen die Mieter: "Ich will hier bleiben"

Edelgard Tanzer: "Ich arbeite neben der Rente als Tagesmutter, zur Zeit habe ich vier Tageskinder bei mir. Das bereitet mir viel Freude, aber irgendwann würde ich auch gerne aufhören zu arbeiten. Im Moment stehe ich morgens um fünf auf und bereite das Essen vor, dann kommt um sieben das erste Kind. Wenn nachmittags die Eltern kommen, dann sitzen wir oft noch zusammen, weil die Kinder nicht gehen wollen - bis ich dazu komme, einkaufen zu gehen und mich um den Haushalt zu kümmern, ist es wieder fünf. Ich kann nicht ewig arbeiten. Aber wenn unsere Miete noch einmal erhöht wird, ist aufhören keine Option. Im Moment zahlen mein Mann und ich 1.000 Euro Miete im Monat und bekommen 1.600 Euro Rente. Wenn die Miete jetzt noch einmal um 200 Euro steigt, dann hätten wir nur noch 400 Euro zum Leben, wie soll das gehen?

Von Tanzers Rente bleibt nicht viel übrig.
Von Tanzers Rente bleibt nicht viel übrig. © Meschede

Mein Mann ist sehr krank, er kann kaum laufen und muss regelmäßig eine Dialyse machen, er braucht ein eigenes Zimmer. Vielleicht hätten wir ein Anrecht auf Mietzuschüsse, aber ich wüsste gar nicht, wie ich das machen soll. Alleine hätte ich das trotzdem nicht gemacht, mich zu wehren. Aber die ganzen Nachbarn haben gesagt, wir wehren uns jetzt und da habe ich gesagt, da bin ich dann dabei. Wir kennen uns ja alle, wir treffen uns auf dem Spielplatz oder im Hausflur und reden da miteinander. Jetzt treffen wir uns auch regelmäßig in der Mietergemeinschaft. Am Samstag machen wir eine Kundgebung, da werde ich auf jeden Fall hingehen. Und danach werden wir uns vermutlich wieder treffen. Ich will hier bleiben. Hier sind meine Kinder aufgewachsen und habe ich meine Freundschaften. Und meine Nachbarinnen, die nach meinem Mann schauen, wenn ich mal einen Tag unterwegs bin. Jetzt haben wir uns zusammengetan und das ist auf jeden Fall was Positives. Ich werde alles machen, was ich machen kann, um das zu unterstützen."

Charlotte Luther-Villinger: "Ich werde mir das nicht leisten können"

Charlotte Luther-Villinger: "Dass wir uns zusammengeschlossen haben als Nachbarn, das kam über so ein Nachbarschaftsportal zustande. In dem hat sich ein Gespräch entsponnen, in dem wir festgestellt haben, dass mehrere Häuser von der Sanierung betroffen wären. Vor Kurzem haben wir jetzt eine Nachbarschaftsversammlung gemacht. Als Erstes machen wir jetzt mal eine Kundgebung. Und parallel schauen wir, dass alle, die in den betroffenen Häusern wohnen, Mitglieder im Mieterschutzbund werden. Dann können die uns fortan als Gruppe beraten. Und als Gruppe kann man einfach mehr erreichen.

Luther-Villinger wohnt seit 1994 in dem Wohnblock.
Luther-Villinger wohnt seit 1994 in dem Wohnblock. © privat

Ich denke, was wir bräuchten, wäre ein Gutachten. Ich glaube nämlich nicht, dass eine Wärmedämmung bei uns tatsächlich irgendetwas bringt. Die Wohnung hat viele Probleme: Das Dach ist schlecht gedeckt, in den oberen Stockwerken haben wir ein Schimmelproblem. Aber eine Wärmedämmung? Unsere Fenster sind bereits doppelt verglast, wir zahlen nicht viel für die Heizung - eine Wärmedämmung ist hier vollkommen unnötig. Die Dawonia macht das nicht, weil es irgendeinen Sinn hätte, sondern weil es dafür staatliche Förderung gibt. Und, vor allem natürlich, weil sie dann die Mieten erhöhen können. Ich finde, dass die Stadt eigentlich einen Gutachter zahlen müsste. Die Dawonia gehört zur Patrizia Immobilien AG, das ist eine Gelddruckmaschine, die investieren weltweit. Um die Menschen oder die Umwelt geht es denen nicht, nie. Wenn sie mit ihren Sanierungsplänen durchkommen, dann werde ich mir meine Wohnung nicht mehr leisten können. Ich bin selbstständige Musikerin und wohne hier seit 1994, meine Musikgruppen sind hier im Viertel, meine Vernetzung, meine Freundinnen. Wenn ich hier wegziehen muss, verliere ich all das. Überhaupt finde ich, dass so Grundbedürfnisse wie Luft, Wasser und Wohnen keine Spekulationsobjekte sein sollten. Mir hilft es, dass wir uns jetzt wehren. Gerade in einer Welt, in der alles so kurz vor zwölf steht, wie in unserer, ist es wichtig, dass man sich zusammentut. Und bei uns geht es gerade wirklich um etwas!"

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20 Kommentare
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  • hiertanzenvieleihrennamen am 25.04.2022 13:42 Uhr / Bewertung:

    6,57 Euro/qm zahlen die Mieter dort und regen sich auf? 😨 Halb München kommen die Eifersuchts-Tränen! Was sind das für Leute, die sich einerseits aufregen dass "jahrelang nichts gemacht wurde" und nun, wo es um Wärmedämmung und damit Heizkosteneinsparung geht, sich ebenfalls künstlich echauffieren? Es gibt kein Wohnrecht auf Lebenszeit in fremden Wohnungen für lau!

  • Witwe Bolte am 25.04.2022 11:26 Uhr / Bewertung:

    Die Dawonia teilt in der SZ mit, dass die Durchschnittsmiete in ihrem Berliner Viertel z.Z. 6,57 Euro pro qm beträgt, kalt.
    Kann man nicht meckern bei dieser Toplage.

  • leafina am 23.04.2022 13:19 Uhr / Bewertung:

    Es ist immer das Gleiche: Wird nicht saniert, meckern die Mieter, wird saniert, meckern sie auch! Und wenn eine Mieterin Verschönerungsarbeiten in ihrer Wohnung vornimmt, wie beispielsweise neue Fließen, die ihr besser gefallen, hat das nichts mit der "Erhaltung" der Wohnung zu tun. Denn wenn es blöd läuft, muss sie bei Auszug wieder den alten Zustand herstellen.... Und wie viel Miete die meckernde Mieterin zahlt, die seit 38 Jahren dort wohnt - das wollen viele anderen Mieter in München lieber nicht wissen.....

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