Pasing Arcaden: Honig vom Dach schon eingelagert
München - Gerade stand er noch in blütenweißem Hemd auf dem riesigen Flachdach der Pasing Arcaden. Jetzt zieht Jürgen Brandl mit dicken Handschuhen und einer Netzhaube auf dem Kopf eine flache Platte aus dem Bienenstock. Dutzende Bienen wimmeln um die einzelnen Waben. Die meisten sind schon mit Honig gefüllt. Das könne man an der dünnen hellen Wachsschicht erkennen, sagt der Stadt-Imker. Es sind die Vorratskammern für den Winter, wenn die Bienen im Stock bleiben.
Pestizide und Monokulturen führten zu massivem Insektensterben
Jürgen Brandl ist fasziniert von Bienen. Schon seit er sie als Kind zur Kirschbaumblüte beobachtet hat. Doch vor allem die Wildbienen sind in den letzten Jahrzehnten vom Insektensterben betroffen. Krefelder Forscher haben herausgefunden, dass seit den Neunzigerjahren 80 Prozent der Fluginsekten verschwunden sind.
Weil auf dem Land durch Monokulturen, Pestizide und weniger natürliche Wiesen die Nahrung knapp wurde. "Inzwischen ist das Nahrungsangebot in der Stadt deutlich vielfältiger", sagt Imker Brandl. Von der Parkanlage über Friedhöfe bis zu Blumenkästen. Aber sollte deshalb jetzt jeder Städter mit ein bisschen Außenfläche einen Bienenstock hüten?

Nein. Wer Jürgen Brandl bei der Arbeit am Bienenstock zuschaut, der merkt schnell, dass einiges an Sachverstand nötig ist. "Es ist ein zeitaufwendiges Hobby", sagt der 42-Jährige. Er müsse etwa die Bienen vor Schädlingen schützen, zufüttern, den Honig schleudern und in Gläser abfüllen.
Stadt-Imkern hat auch Kritiker
Den Hype fürs Stadt-Imkern sehen Umweltschützer inzwischen kritisch. Dazu gehört auch Christian Hierneis, umweltpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag. Die Honigbienen-Völker sollten nur dort gehalten werden, wo sie heimischen Wildbienen nicht die Nahrung wegnehmen.
"Dennoch, Honigbienen sind wichtige Bestäuber für Gemüsepflanzen und Obstbäume", sagt Hierneis. Aber eben in Maßen. Vorher sei wichtig, sich über andere Völker und Wildbienen vor Ort zu informieren und das Nahrungsangebot zu prüfen.

Diese Auffassung teilt Jürgen Brandl. In seinem Berufsleben ist er Hauptkommissar im Landeskriminalamt, in der Abteilung für Terrorabwehr. Auch an seinem Dienstsitz direkt neben der Marienkirche hat er einen Bienenstock installiert. Dort und auf dem weitläufigen Flachdach der Pasing Arcaden sieht er seine Bienen nicht in Konkurrenz zu wilden Arten.
60.000 Bienen leben auf den Pasing Arcaden
Vor den zwei Bienenstöcken erstreckt sich ein grün-brauner Teppich. "Im Frühjahr blüht das hier in allen Farben: Nelken, Fetthennen und Thymianpflanzen." Jürgen Brandl zeigt auf die Pflänzchen. Aus dem Schlitz im unteren Stockwerk des Bienenhauses, ein etwa 1,50-Meter hoher Quader aus hellem Holz, strömen die gestreiften Tiere ein und aus. Zwei Völker mit jeweils 30.000 Bienen. Inzwischen ein reiner Frauenhaushalt.

Die männlichen Bienen, die sogenannten Drohnen, haben den Bienenstock in den letzten Wochen verlassen - "entweder freiwillig oder mit Zwang durch die Arbeiterinnen", sagt der Imker. Wenn sie die Königin begattet haben, haben sie keine Funktion mehr und werden ausgemustert. Schwalben, Meisen oder andere Vögel würden sich dagegen über die Nahrungsergänzung freuen.
Bienenvölker brauchen 20 Kilo Honig zum Überwintern
Und der Honig? Den sammeln die Arbeiterinnen - ein Gemisch vor allem aus Nektar und Pollen, erklärt der Imker. 20 Kilogramm bräuchten die Bienen zum Überwintern. Den Rest kann er entnehmen und zu Honig verarbeiten. Es ist spannend wie ein guter Crime-Podcast, wenn er erzählt, wie die Königin in fünf bis sechs Lebensjahren 50.000 bis 70.000 Eier legt. Und die Bienengemeinschaft steuern könne, ob aus der Wabe später eine Drohne oder Arbeiterin schlüpft.
Durch die Bienen seien ihm viele "komplexe Zusammenhänge in der Natur erst bewusstgeworden", sagt der Stadt-Imker. Bienen-Interessierten rät er, klein anzufangen: Zuerst einmal Wildblumen auf dem Balkon zu ziehen, das könnten Löwenmäulchen, Thymian oder Nelken sein. "Auch ein Insektenhotel zu bauen, ist nicht schwer." Wer sich wirklich ernsthaft mit dem Imkern befassen will, dem rät er, sich in einem Verein oder bei einem Kurs zu informieren.
"Der Freistaat setzt das Volksbegehren zu halbherzig um"
Jeder Unterschlupf zählt, findet Hierneis. Um das Artensterben zu stoppen, brauche es aber größere Anstrengungen. "Mehr echte Natur auf dem Land statt der ganzen kultivierten Flächen", sagt er und mehr Grünflächen in den Städten. Die Forderungen aus dem Volksbegehren würden deutlich zu langsam und nicht konsequent umgesetzt. "Die Regierung hat neue Förderungen aufgesetzt, aber hilft den Bauern nicht bei der Umsetzung", kritisiert er.
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