Paradebeispiel Fraunhoferstraße: Ladensterben München im Wandel

Alteingesessene Läden verschwinden von der Fraunhoferstraße. Manche finden schnell neue Mieter, andere bleiben leer. Ganz München erlebt ein Ladensterben von ungeheuerlichem Ausmaß.
von  Bettina Funk, Alle Fotos: Petra Schramek
Die Wirtin Gerti Guhl musste 2013 ihre legendäre Schoppenstube aufgeben – jetzt werden dort Möbel verkauft.
Die Wirtin Gerti Guhl musste 2013 ihre legendäre Schoppenstube aufgeben – jetzt werden dort Möbel verkauft. © Petra Schramek

Alteingesessene Läden verschwinden von der Fraunhoferstraße. Manche finden schnell neue Mieter, andere bleiben leer. Ganz München erlebt ein Ladensterben von ungeheuerlichem Ausmaß.

Wer von der Reichenbachbrücke aus die Fraunhoferstraße hinuntergeht, dem fällt es sofort auf: leere Geschäfte, mit alten Zeitungen verklebte Schaufenster, Fassaden mit Graffiti besprüht, – Tristesse pur, mitten im angesagten Szeneviertel.

Viele Einzelhändler und Gastwirte müssen ihre Läden aufgeben. Die Räume stehen dann oft erst einmal leer, andere werden schneller neu vermietet.

Die Angst geht um im Viertel – und oft die Wut darauf, dass die Ladenbesitzer nicht mehr geschützt werden. Manfred Dummers Messerschleiferei gibt es seit 102 Jahren. Ein echter Traditionsbetrieb also. Dummer ist ein gemütlicher Typ, er spricht bairisch. Und hat selbst Glück, weil er Mit-Eigner des Hauses ist. Was in der Nachbarschaft passiert, gefällt ihm gar nicht. "Es fehlt eine Mietpreisbremse für gewerbliche Flächen!", schimpft er. Bisher könnten die Vermieter die Mieten nach Lust und Laune erhöhen. Oder sie werden von Investoren gekauft, luxussaniert. Danach können sich die ehemaligen Mieter die Räume oft nicht mehr leisten.


Manfred Dummers Messerschleiferei - Überleben in der Nische

Seit 102 Jahren hält sich der Familienbetrieb der Dummers für Stahlwaren in der Müllerstraße – trotz Gentrifizierung und Internethandel.

Das gelingt nur, weil die Dummers schon früh ihre Nische gefunden haben. Inzwischen verkaufen sie nicht nur Messer, sondern verleihen zum Beispiel auch schweres Gerät für Handwerker, erklärt Manfred Dummer: "Wir können überleben, weil wir verschiedene Branchen bedienen. Unsere Kunden kommen aus ganz Bayern." In der Nachbarschaft beobachtet auch er, dass insbesondere viele Gastronomiebetriebe nicht mehr lange durchhalten. Daran, so Dummer, sind aber zumindest einige Geschäftsleute auch nicht ganz unschuldig: "Einige haben ihr Geschäftsmodell nicht gut durchgerechnet."


Ein solcher Fall sei die Fraunhoferstraße 36, erzählt man sich in der Nachbarschaft. Dort stehen gleich zwei Geschäfte leer. In einem war früher "Der Auenladen", hier wurden biologische Putzmittel verkauft. Nebenan bei "Wicked Flavor" gab es einst Spare Ribs. Vor etwa zweieinhalb Jahren wurde das Haus von einem Investor gekauft und die Ladenmieter mussten raus. Vor Gericht konnten sie zwar einen Vergleich erlangen, doch der Streit ist noch nicht beendet. Derzeit ist der Umbau gestoppt, die Läden stehen leer.

Lesen Sie hier den AZ-Kommentar zum Thema: Es gibt nur eine Möglichkeit!

Ein paar Schritte weiter auf der anderen Straßenseite in der Nummer 27a war früher die Kneipe "Peri’s Saloon". Wo Bier getrunken wurde, sind nun triste Jalousien vor den Fenstern. Die Tür ist verrammelt.

Ein Stück die Fraunhoferstraße weiter gab es früher die Klenze-Apotheke. Noch sind die Räume leer, aber demnächst soll hier der ehemalige Nachtkiosk "Szenedrinks" aus der Baaderstraße neu eröffnen. Wo früher Tabletten, Salben und Franzbranntwein verkauft wurden, bekommt der "Späti"-Kunde bald Bier und Limo. An der Ecke Fraunhofer-/Müllerstraße wird zurzeit noch renoviert. Bis August 2016 war hier Antiquitäten Muggenthaler untergebracht, bald will der alte Nachbar, der Schlüsseldienst Kilian, einziehen. Die beiden bisherigen Ladenflächen des Schlüsseldienstes werden dann wohl neu vermietet.


Früher wurden in der Klenze-Apotheke Arzneimittel verkauft, demnächst gibt es hier Bier und Wodka.

"Die Vermieter kriegen den Kragen nicht voll"

Auf der Verlängerung der Fraunhoferstraße, jenseits der Müllerstraße in der Papa-Schmid-Straße, geht es weiter: Auf der einen Straßenseite steht seit Ende Januar der Laden der Alpha-Buchhandlung leer. Zu gering war die Nachfrage nach christlichem Lesestoff. Auch gegenüber im Café am Hochhaus ist niemand eingezogen. 2014 musste der Gastwirt Michael Dietzel schließen.

Nun wurde die ehemalige Szene-Bar vom Jugendzentrum Diversity angemietet. Der Verein will hier umbauen. Und einen Treff für junge Homosexuelle schaffen – vielleicht wird die Ecke so neu belebt.

Der Betreiber des "Koffishops" auf der Fraunhoferstraße, Pferdeschwanz, Typ Alt-Hippie, schimpft: "Die Vermieter kriegen den Kragen nicht voll." Seine Auslage fällt sofort ins Auge: bunte Blumen und frisches Obst draußen, Kaffee und Kuchen drinnen. Seit sechs Jahren gibt es seinen Laden. Nur wegen der Kunden sei er noch da. Nicht weil sich hier viel Geld verdienen ließe, soll das heißen. Auch er weiß: Irgendwann ist die hohe Miete wohl auch für ihn zu hoch.

BA-Chef: "Umsatzschwache Läden haben keine Chance"

Mit großer Sorge beobachtet der Vorsitzende des Bezirksausschusses Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt, Alexander Miklosy (Rosa Liste), die Entwicklung der Fraunhoferstraße. "Seit einigen Jahren verschwinden die angestammten Läden immer mehr. Mir fällt da zum Beispiel ein Laden mit großen Schuhgrößen ein oder einer, der Spulen für Lichtmaschinen aufgewickelt hat“, erzählt Miklosy. Oftmals liege es an den Mietpreisen. "Gerade umsatzschwächere Läden haben keine Chance. Es gibt auch keinen Kündigungsschutz für Ladenbetreiber“, fährt er fort. Er habe aber schon Ideen, wie man der Entwicklung entgegenwirken könnte. "Ich stelle mir vor, dass es für die kleineren Läden auch Kündigungsschutz und eine Mietpreisbremse geben muss. Aber das ist noch Zukunftsspinnerei.“


Comic Company - keine Angst vor der Gentrifizierung

Comics in allen Varianten gibt es bei der Comic Company in der Fraunhoferstraße 21 – und das schon seit 16 Jahren. Für den Laden laufe das Geschäft nach wie vor sehr gut, sagt Verkäufer Max Aimer. "Wir haben viele Stammkunden und tun alles, damit aus Neukunden auch Stammkunden werden", erklärt er das Geheimnis. Dazu gehöre vor allem intensive Beratung "und das Gespräch mit den Kunden auf Augenhöhe".

Den Wandel in der Nachbarschaft beobachtet auch er trotzdem schon seit einigen Jahren. "Das ist eben München: Die Quadratmeterpreise sind horrend und das Zielpublikum wird immer gehobener", sagt er. Für Clubs und Bars sei der Ruf der Gegend als Szeneviertel oft Gift: "Immer mehr Grafikdesign-Familien ziehen her, weil es hip ist. Die wundern sich dann, dass hier das Leben pulsiert und es laute Gaststätten und Clubs gibt. Dann beschweren sie sich und die Läden müssen aufgeben."


 

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