Laden, Werkstatt, Lebens-Hilfe: Radlwerkstatt R18 in Milbertshofen steht vor dem Aus
Milbertshofen - Drei Jahre lang hat Jakob seine Wohnung praktisch nicht verlassen. Heute freut er sich schon am Wochenende darauf, wenn er am Montag aus dem Haus muss, um sich auf den Weg zu seinem Praktikumsplatz zu machen: der Radlwerkstatt R18 in Milbertshofen.
Bis Ende Juni: Fahrradwerkstatt R18 am Wallensteinplatz vor dem Aus
Der 24-Jährige erzählt das vor seiner Werkbank. Seine Finger sind schwarz vom Kettenöl. Früher, sagt er, hätte er den Dreck nicht ertragen. Da habe er Türklinken nur angefasst, wenn er vorher den Pullover über die Handflächen stülpte. Jakob hatte Angst vor Schmutz, Angst vor anderen Leuten. Er hat viele Klinikaufenthalte hinter sich, heute lebt er in einem sozialpsychologischen Zentrum. Er hat noch keine Ausbildung abgeschlossen und wahrscheinlich wäre es schwer, eine Stelle zu finden, das sagt er selbst.
Die Radlwerkstatt würde ihm wohl eine Chance geben. Das Problem: Bis zum Herbst, wenn das Ausbildungsjahr beginnt, gibt es sie vielleicht gar nicht mehr. Denn aus ihren Räumen in Milbertshofen muss die Werkstatt spätestens Ende Juni draußen sein. Einen Ersatz gibt es bis jetzt nicht.
Besonderes Projekt: Radlwerkstatt als Einrichtung der beruflichen Jugendhilfe
Wer die Fahrradwerkstatt R18 am Wallensteinplatz in Milbertshofen zum ersten Mal betritt, merkt auf den ersten Blick wahrscheinlich gar nicht, dass es sich um ein besonderes Projekt handelt.
Dort stehen neue und gebrauchte Damenräder, Rennräder, City-Bikes, Kinderfahrräder, Montain- und Gravel-Bikes und noch alle möglichen anderen Fahrradtypen zum Verkauf. Und dort kann man sein Rad zur Reparatur hinbringen. Die Preise und die Qualität sollen sich nicht von anderen Radl-Geschäften in München unterscheiden.
Gleichzeitig ist die R18 eine Einrichtung der beruflichen Jugendhilfe, wie es im Behördendeutsch heißt. Konkret heißt das: Sie bietet zwölf jungen Menschen wie Jakob eine Perspektive, die sonst zu oft in ihrem Leben hörten, dass sie zu nichts zu gebrauchen seien.


Keine Vertragsverlängerung für R18: Neuer Eigentümer will Wohnungen bauen
Wenn es seinen Mitarbeitern zum ersten Mal gelingt, aus alten Teilen ein Rad zusammenzuschrauben, das wie neu aussieht, sei das für viele das erste Erfolgserlebnis überhaupt, erzählt Fritz Winbeck. Er leitet seit mehr als 30 Jahren die Werkstatt. Eigentlich will er im Sommer in Rente gehen, aber gerade fällt es ihm schwer, ans Aufhören zu denken.
Das Projekt gibt es schon seit Mitte der 80er Jahre. Träger ist die Evangelische Jugend München, die Stadt bezuschusst das Projekt. Im Sommer läuft der Mietvertrag aus. Der neue Eigentümer will auf den Flächen Wohnungen bauen. Doch die Suche nach einem neuen Standort fällt schwer, schildert Winbeck.
Denn die R18 ist Laden und Werkstatt in einem, sie braucht Räume, wo die Sozialpädagogin in Ruhe ein Gespräch führen kann, ebenso wie ein Lager. Denn die erste Aufgabe, die die neuen Mitarbeiter erledigen müssen, besteht darin, alte Schrotträder auseinander zunehmen, um daraus ein neues Rad zu basteln.
Meistens warten diese Räder aber bis zum Sommer auf einen Käufer. Mindestens 800 Quadratmeter seien insgesamt notwendig, sagt Winbeck. So viel Platz gibt es in München oft bloß in Gewerbegebieten am Stadtrand. Doch das kommt nicht in Frage, sagt Winbeck. Denn es sei wichtig, dass Kunden die Werkstatt auch erreichen.
Verena Dietl fordert den Erhalt der Radlwerkstatt R18
Winbeck ist trotzdem optimistisch, dass er bald einen neuen Standort findet. Denn die Unterstützung ist groß: Sowohl die Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) als auch der Chef der Linken im Stadtrat Stefan Jagel schauten vorbei, schrieben Pressemitteilungen und forderten den Erhalt.
Darauf hofft auch Jakob. Sein Praktikum begann er im August. Es gefalle ihm vor allem wegen des Teams, sagt er. "Ich glaube nicht, dass ich woanders so viel Verständnis bekommen hätte."
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