Illegaler Abriss in München-Giesing: Denkmaldrama ums Uhrmacherhäusl vor Gericht
Giesing - Die Vorsitzende Richterin Marion Pauli-Gerz kündigt es schon an: "Da kommt eine Latte von Prozessen auf Sie zu", und meint mit "Sie" den Angeklagten Andreas S. und die Stadt, gegen deren Anordnung auf Wiederaufbau des Uhrenmacherhäusl in der Oberen Grasstraße 1 in Giesing S. klagt.
Parallel ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Sachbeschädigung gegen S. und prüft dabei, ob er die Schuld am Abriss trägt. Das könnte ihn ein Bußgeld von bis zu 500.000 Euro kosten.
Und auch beim Prozess am Montag geht es darum, wer nun der "Handlungsstörer" war, wie es im Verwaltungsdeutsch heißt: S., dem das Haus gehört, oder die Baufirma. Für die vielen Anwohner und Mitglieder vom Bündnis Heimat Giesing, die den Raum im Verwaltungsgericht so füllen, dass sogar Stühle hinzugestellt werden müssen, ist der Schuldige klar.

Abriss des Uhrmacherhäusls: Ein Missverständnis mit der Baufirma?
Darunter Angelika Luible vom Bürger-Bündnis. Sie erinnert sich an jenen Tag im September 2017, an dem das historische Handwerkerhäusl aus dem 19. Jahrhundert abgerissen wurde. "Genehmigt war nur eine Sanierung, doch dann war innerhalb weniger Stunden alles weg", sagt sie der AZ.
Die Empörung unter Politik und Bevölkerung ist damals riesig: OB Dieter Reiter (SPD) kündigte an, den Wiederaufbau des denkmalgeschützten Uhrmacherhäusls mit allen rechtlichen Mitteln durchsetzen zu wollen. Im April 2018 forderte der Jurist des Planungsreferates, den Eigentümer des Häusls auf, das Gebäude in der ursprünglichen Größe wiederherzustellen.
Durch den Abriss würde das gesamte denkmalgeschützte "Ensemble Feldmüllersiedlung" beeinträchtigt. Doch der Besitzer beharrt darauf, dass er mit dem Abriss nichts zu tun gehabt habe, es habe sich um ein Missverständnis mit der Baufirma gehandelt.
Geschäftsführer der Baufirma nimmt Schuld auf sich
Die Verantwortlichen dürfen "mit ihren Märchen von fehlgeleiteten Baggern nicht durchkommen", sagte OB Dieter Reiter (SPD) bei einer Vorort-Besichtigung im Januar 2019 und kündigt damals an, die Sache voran zu bringen. Reiter: "Das wäre ein fataler Präzedenzfall."
Am Montag wird deutlich: Tatsächlich hat der Geschäftsführer der Baufirma bereits in den Ermittlungen beim Strafverfahren alle Schuld auf sich genommen – von einer psychischen Erkrankung ist die Rede, als er nach einem Einschreiten der Behörden das Haus dem Erdboden gleich machte. "Das darf bezweifelt werden", sagt die Richterin.
Aber: Trotzdem habe die Stadt es versäumt, auch gegenüber ihm, Ansprüche zu erheben – auf den Wiederaufbau des historischen Häusels. "Der kriegt den Bescheid und setzt sich sofort in die Türkei ab", sagt ein Vertreter der Stadt. Die Richterin belehrt ihn: "Rechtlich ist das keine Auswahlentscheidung." Weil sich die Prozesse Jahre ziehen können, schlägt sie eine Einigung vor: Wiederaufbau des Hauses, aber mit einem Stockwerk mehr, was immer noch gut ins Ensemble passe.

Richterin: "Nur ein Akt im Denkmaldrama"
Die Anwohner toben: "Dann hat der sein Ziel erreicht", rufen und zischen sie in Richtung von Andreas S., der vor Gericht selbstzufrieden grinst. Trotzdem erklärt S., dass er zu dieser Einigung bereit sei. Die Stadt hingegen bleibt bei ihrer Position – und wird wohl einen Brief an die Baufirma schreiben, um ihn für den Wiederaufbau zur Zahlung aufzufordern, so wie von der Richterin geraten.
In den nächsten Tagen wird das Urteil den Streitparteien zugestellt. Aber das ist nur ein Akt im "Denkmaldrama", wie es die Richterin nennt. Wie dramatisch die Anwohner den Abriss des Uhrenmacherhäusls für ihr Viertel sehen, wird bereits am Montagmorgen vor dem Prozess deutlich. Denn da versammeln sich rund 20 Mitglieder des Bürgerbündnisses dort, wo 2017 noch das Uhrenmacherhäusl stand.

Die Giebelteile sind noch zu erkennen, das Grundstück, auf dem einst das Häusl stand, ist mit einem Zaun abgetrennt. An einer Hauswand hängt ein Banner mit schwarzer Umrandung. "Illegaler Abriss – kriminelles Vorgehen" steht dort. Und: "Obere Grasstraße 1 – R.I.P.".
Anwohnerin Carmen Muck fürchtet sich um die Zukunft ihres Viertels. Der AZ sagt sie: "Hier wohnen viele junge Familien mit Kindern und ältere Leute mit wenig Geld. Wenn alles um uns herum zu Luxuswohnungen saniert wird, wie es S. aller Vermutung nach vorhat, werden wir bald aus unserem eigenen Viertel vertrieben."
Lesen Sie hier: Stadt über Uhrmacherhäusl - "Keine Kompromisse"
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