Haidhausen: Aus Leerstand wird Luxus
Haidhausen - Wohnraum. Idealerweise bezahlbarer Wohnraum. Das ist und bleibt das große Thema in München. Ob die alleinstehende Krankenschwester, der Azubi oder die Familie mit den kleinen Kindern - wer in München nicht zu den Top-Verdienern gehört, tut sich sehr schwer, eine Bleibe zu finden. Erst recht eine, deren Miete nicht den Großteil des Einkommens auffrisst.
Wenn also in dieser seit Jahren angespannten Lage schon vorhandener Wohnraum leersteht oder verschwindet und durch teureren oder gar luxuriösen Wohnraum ersetzt wird, dann fragt sich der Otto-Normal-Münchner schon: Wie kann das sein?
In Haidhausen - auf dem Immobilienmarkt heiß begehrt - gibt es derzeit gleich zwei solcher Fälle. Zumindest scheinbar.
Schicker Neubau am Johannisplatz
Das Johanniscafé, legendäre Haidhauser Spät-Boazn mit Jukebox und warmen Wienern bis spät in die Nacht, bekommt bald geldige Nachbarn. Das Haus Johannisplatz 16 liegt direkt daneben und wird demnächst abgerissen und durch einen schicken Neubau ersetzt. Wie der aussehen könnte, lässt sich auf der Webseite der Edel-Immobilienfirma Legat Living bewundern. Die hat das Anwesen Ende 2020 erworben und setzt dort nun den Neubau um, "Verkaufsstart Frühjahr 2021".
Das Haus hat den Bezirksausschuss (BA) Au-Haidhausen über Jahre immer wieder beschäftigt. Zuletzt stand es lange fast komplett leer, nur noch eine Mietpartei wohnte darin. Mehrmals wechselte der Eigentümer, bereits seit März 2015 besteht hier eine Baugenehmigung für ein Wohn- und Geschäftshaus mit Tiefgarage.
Die Viertelpolitiker fürchteten, dass hier entmietet und - wegen des Leerstands - zweckentfremdet wird und wandten sich in Anfragen an die Stadt. Zuletzt die BA-Fraktionen von CSU und Linken gemeinsam im November 2020.
Allerdings: Von behördlicher Seite stellte der Leerstand hier keinen Fall von Zweckentfremdung dar, auch dass Eigentumswohnungen entstehen, sei zulässig, da das Haus seit Jahren in Eigentumswohnungen aufgeteilt ist, lautete die Antwort des Sozialreferats im Januar 2021. Die letzte Mietpartei, die als Grund für die Verzögerung des Bauvorhabens genannt wird, sei nun ausgezogen. Die neuen Eigentümer legen los. Fall geschlossen.
Kellerstraße 3: Seit Jahren Leerstand
Gleich hinterm Gasteig, an der Kellerstraße 3, steht ebenfalls ein Wohnhaus seit Jahren leer, ein ziemlich großes sogar. Die AZ berichtete im November 2020 über den Leerstand und dass es für das Haus seit 2019 ein Negativattest gebe. Es gilt damit nicht mehr als Wohnraum, ein Abriss ist ohne weitere Auflagen möglich. Ebenfalls im November 2020 hakte die Linke-Fraktion des BA bei der Stadt nach. Das Sozialreferat antwortete im Januar, es bestünden schwere bauliche Mängel und die Wiederbewohnbarkeit könne "nicht mit einem objektiv wirtschaftlichen und zumutbaren Aufwand wiederhergestellt werden".

Dies sei stets der Fall, wenn wie hier "die Kosten des Abbruchs zuzüglich der Neuerrichtung die eines vergleichbaren Gebäudes erreichen". Vorschriften der Zweckentfremdungs- oder auch der Erhaltungssatzung seien hier nicht mehr anwendbar.
Was mit dem Wohnhaus passieren soll, scheint aber dennoch unklar: Laut Planungsreferat wurde bisher kein Bauantrag gestellt, es gab aber seit dem Jahr 2016 mehrere Bauberatungen, erst für eine Sanierung, ab 2018 für einen Neubau. Eine Zwischennutzung oder ein Ankauf durch die Stadt, wie der BA vorschlug, komme wegen der schlechten Bausubstanz und weil das Haus nicht zum Verkauf stehe, nicht in Frage, heißt es.
Der BA ist damit ganz und gar nicht zufrieden. Für das Gremium ist "nicht vermittelbar", dass ein Negativattest ausgestellt wurde und es will nun genauere Auskunft, was zu dieser Entscheidung führte.
Lässt man hier also, im Erhaltungssatzungsgebiet, Wohnraum absichtlich verfallen, weil's billiger ist, als zu sanieren? Oder weil neue Luxuswohnungen mehr Profit versprechen?
BVG kassiert 2019 verschärfte Zweckentfremdungssatzung
"In diesen beiden Fällen ist das Negativattest das Problem", sagt Brigitte Wolf (Linke), die nicht nur Stadträtin, sondern auch BA-Mitglied ist. Wenn man das Projekt Johannisplatz betrachte, "dann weiß man sofort, dass das einfach nur Luxuswohnraum wird, der natürlich den Kriterien der Erhaltungssatzung in Haidhausen in keinster Weise entspricht", sagt sie. "Wenn in einem Stadtviertel viele Projekte so laufen, dann gefährdet das auch den Fortbestand der Erhaltungssatzung."

Ein bekanntes Problem. Das Sozialreferat betont auf AZ-Anfrage: "Ein Abbruch und Neubau von Wohnraum kann mit den Mitteln der Zweckentfremdungs- und Erhaltungssatzung nicht verhindert werden." Neben der Wohnungslosigkeit sei das Thema Zweckentfremdung eines der ganz Großen. Das Referat unternehme "alles im Rahmen der Satzungen Mögliche, um vorhandenen Wohnraum zu schützen und illegal zweckentfremdeten wieder dem Wohnungsmarkt zuzuführen".
Tatsächlich hat der Stadtrat erst 2019 die Zweckentfremdungssatzung verschärft. Wenn ein Hausbesitzer abreißt, muss er den Wohnraum ersetzen, der dadurch verloren geht. Und zwar im gleichen Stadtbezirk oder in einer vergleichbaren Gegend. Heißt: Wer in Haidhausen abreißt, kann nicht am Hasenbergl Ersatzwohnungen anbieten. Der Mietpreis für den Wohnraum muss sich am Mietspiegel orientieren.
Diese Verschärfungen hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof jedoch im Januar 2021 kassiert, nachdem Haus und Grund geklagt hatte. Das Zweckentfremdungsrecht schützt laut dem Gericht nicht den Bestand an günstigem Wohnraum in einem bestimmten Viertel. Vielmehr komme es auf den Bestand im gesamten Stadtgebiet an. Das Sozialreferat kritisiert: "Das bedeutet in der Konsequenz, dass bezahlbare Mietwohnungen, die abgerissen werden, nun wieder durch luxuriöse Eigentumswohnungen ersetzt werden können." Der Ersatzwohnraum kann also auch irgendwo anders in der Stadt entstehen.
"Wir wollen uns im BA jetzt auf den Wohnraumerhalt konzentrieren"
Eine Niederlage für die Stadt, die aber weitere rechtliche Schritte gehen will. Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) bedauert: "Es ist leider gängige Praxis, dass im Falle des Abbruchs von Mietwohnraum trotz akzeptabler Bausubstanz und gutem Erhaltungszustand, im Neubau Eigentumswohnungen entstehen, die sich nur noch sehr wenige leisten können." Sie fordert daher: "Die Bundes- und Landesregierung müssen hier dringend die gesetzlichen Grundlagen schaffen, um in den Ballungsräumen entsprechende Mieterschutzsatzungen zu ermöglichen."

Auch der Haidhauser BA will das Thema weiter angehen. Brigitte Wolf erklärt: "Wir wollen uns im BA jetzt auf den Wohnraumerhalt konzentrieren." Wenn jemandem auffalle, dass "etwas vor sich hingammelt, auch schon vor einem Leerstand", wolle man eruieren, ob und wie BA oder Stadtrat die Instandhaltung einfordern können. Die sei "ja eigentlich Bestandteil der Miete", so Wolf, "also müssten Eigentümer ihren Wohnraum in Stand und bewohnbar halten". In Vierteln wie Haidhausen ein schmaler Grat, denn: "Wir wollen mit unserem Engagement natürlich nicht erreichen, dass noch mehr teuer saniert wird".
Der zähe Kampf gegen Gentrifizierung
Um bestehenden Wohnraum zu schützen, besteht in München seit 1972 das Zweckentfremdungsverbot für Wohnraum. Eine Zweckentfremdung liegt allgemein vor, wenn Wohnraum gewerblich genutzt wird, über acht Wochen im Jahr komplett zur Fremdbeherbergung, etwa als Ferienwohnung oder an Medizintouristen, genutzt wird, länger als drei Monate leer steht oder abgerissen wird.
Die Stadt ist möglicher Zweckentfremdung stets auf der Spur, Ermittlung und Nachweis sind oft aufwendig. Bürger können einen solchen Verdacht dem Amt für Wohnen und Migration melden, auch online.
Laut Statistik des Sozialreferats von 2019 wurden 350 Wohneinheiten vor einer illegalen Zweckentfremdung bewahrt und Zwangsgelder in Höhe von 495.000 Euro vereinnahmt. Zudem wurden Bußgelder in Höhe von insgesamt 1.093.300 Euro festgesetzt.
Preisspirale lässt sich nicht stoppen
Die 30 Erhaltungssatzungen sollen preiswerten Wohnraum erhalten, gewachsene Bevölkerungsstrukturen bewahren und Verdrängungsprozesse vermeiden. Seit 30 Jahren werden sie in München erlassen, sie gelten unbefristet, alle fünf Jahre wird aber geprüft, ob sich die jeweiligen Gebiete noch eignen.
In Haidhausen gilt die Erhaltungssatzung seit 2016 und wurde zuletzt am 3. März erneut beschlossen. Die Großstadt-typische Preisspirale lässt sich damit jedoch nicht stoppen. Im Gärtnerplatzviertel, wo Aufwertung und Gentrifizierung bereits weit fortgeschritten sind, kann man beobachten, wie ein Viertel aus der Erhaltungssatzung herauswächst.
Am Mittwoch verlängerte der Stadtrat die Erhaltungssatzung hier, allerdings nur um ein Jahr. Mehr lasse die Rechtslage derzeit nicht zu, hieß es. Die Stadt arbeitet an Möglichkeiten, auch Viertel mit hoher Gentrifizierungsdichte weiter zu schützen. Immer wieder fallen in Erhaltungssatzungsgebieten Häuser oder einzelne Straßen aus dem Schutzgebiet heraus.
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