Arabella-Hochhaus in München vor dem Abriss: Es ist 50 Jahre alt
München - Mitten in den blauroten Schwaden einer Rauchkerze setzte der hauseigene Hubschrauber auf der Plattform des 23. Stockwerks auf. Münchens Stadtoberhaupt kletterte heraus und kalauerte vor Hunderten von frierenden Ehrengästen: "Kommt ein Vogel geflogen." So fröhlich feierte man am 11. Dezember 1968 in 75 Metern Höhe das Richtfest eines "Boarding House", einer Kombination von Hotel und Appartementhaus, die nach den Worten des Bauherrn der kommenden "Vergnügungskultur" angepasst sei.
Mietern wurden 750 teilweise zweistöckige Wohneinheiten geboten, dazu gab’s eine eigene Privatklinik, eine Klimazentrale, einen Aufzug für fertige Menüs und viele andere Dienstleistungen. Das wabenförmige Wohnhaus war das Renommierstück eines Mannes, der mit viel Geld, viel Glück und viel Einfluss die Erfolgsleiter eines bayerischen Unternehmers bestiegen hatte.
Hier entstand der Arabella-Park - benannt nach der Schörghuber-Tochter
Als ältestes von sechs Kindern eines Schreinermeisters hatte dieser Josef Schörghuber nach dem Krieg den väterlichen Betrieb im oberbayerischen Mühldorf ganz auf Sperrholz und Spannplatten eingestellt, womit er zum unentbehrlichen Zulieferer des heimischen Baugewerbes wurde. Das damit verdiente Geld reichte, um 1954 in weiser Voraussicht des ersten Münchner Bau-Booms nach 1945 eine Schafweide im Münchner Osten aufzukaufen. Hier entstand nun der "Arabella-Park".

Benannt hatte ihn der Baulöwe nach seiner Tochter Arabella, deren Name wiederum auf die Oper von Richard Strauss zurückzuführen war. Eigentlich sollte zunächst ein Hotel entstehen. Als sich dann aber herausstellte, dass sich die zu den Olympischen Spielen 1972 erwarteten Übernachtungs-Rekorde vielleicht doch nicht einstellen könnten, verwandelte Schörghubers "Bayerische Hausbau GmbH" das entstehende Hochhaus noch vor der Richtfestfeier flugs in ein Wohnhaus und verkaufte es, für bis zu 2800 Mark pro Quadratmeter.
Nur in den Obergeschossen verblieb ein kleineres 4-Sterne-Hotel. Amerikanische Hotelkonzerne dagegen vertrauten weiter auf die olympische Magnetwirkung und investierten in Münchner Projekte. Eines moderner, größer, luxuriöser als das andere. Gegenüber dem damals futuristischen "Arabellahaus" war bereits die riesige Baugrube für das 1200-Betten-Hotel "Bavaria" ausgehoben, das dann die größte Hotelgruppe der USA, Sheraton International, übernahm. Es bekam selbstverständlich einen Pool, einen Roof Garden im 20. Stock, einen Kongresssaal für 1800 Personen und hatte, so schwärmte der Manager, eine in Europa einmalige Lage. Inzwischen heißt es "The Westin Grand Munich".
Olympia 1972 in München sollte alles übertrumpfen
Wohnen, konsumieren, flanieren – und alles unter einem Dach Auch die Konzerne Intercontinental und Hilton, die American Hotel Corporation sowie die Esso-Motel-Gruppe sicherten sich damals Grundstücke in International Munich. Damit begann gleichsam die Globalisierung einer alten Residenzstadt, die sich Jahre zuvor schon den – vom neuen OB Vogel nicht sehr geschätzten - Werbeslogan "Weltstadt mit Herz" zugelegt hatte.
Olympia 1972 sollte alles übertrumpfen und überstrahlen. Angesichts solcher Aussichten kam den bodenständigen Hoteliers das Grausen. Auf einer turbulenten Versammlung erhoben sie ihre Stimme gegen die "olympische Euphorie", warnten vor einer "Hotelkatastrophe" und verwiesen auf das abschreckende Berliner Beispiel. Sie erwogen "Kampfmaßnahmen" wie den Zusammenschluss kleinerer Betriebe, Wochenend-Arrangements und ein westeuropäisches Reservierungssystem. Als Herzstück des neuen Stadtteils Arabellapark wurde das 1969 fertiggestellte Hochhaus an der Arabellastraße Nr. 5 – 7 zu einem Wahrzeichen Bogenhausens, ja Münchens.
Die optisch so auffallend gegliederte, 154 Meter lange Fassade, entworfen von Toby Schmidbauer, prägt die Silhouette im Osten der Stadt. Die anspruchsvolle Grundidee wurde realisiert und von den Mietern genossen: komfortabel wohnen, konsumieren, amüsieren, flanieren, konferieren, medizinisch versorgen, Gäste einquartieren – alles unter einem Dach. Auch musiziert wurde im Arabella. Die Rolling Stones, Deep Purple, Led Zeppelin, Fred Mercury und viele andere Stars erarbeiteten dort neue Alben in den berühmten Musicland Studios.
114 Meter hohe Hypo-Zentrale - Manhattan an der Isar
Nachdem nebenan die 114 Meter hohe Hypo-Zentrale mit einer sehr gewagten Architektur emporgeschossen war, kam das Wort "Manhattan an der Isar" in Umlauf, was vielleicht in manchen Ohren eher abschreckend klang. Es dauerte auch nicht lange, bis die besonderen Service-Angebote in dieser schönen neuen Welt ziemlich geschrumpft waren. So wurde der beliebte Swimmingpool in eine künstliche Tropenlandschaft verwandelt.

Das Sonnenbad auf dem Dach wurde verboten, weil von dort oben immer wieder Menschen in den Tod gestürzt waren. Der hauseigene Cateringservice überlebte auch nicht. Über 30 der rund 500 Mietwohnungen wurden für arabische Medizintouristen heimlich zweckentfremdet. Zeitweise hatte das Boarding House sogar den Ruf eines gehobenen Bordells. Immer wieder wurde repariert, renoviert, modernisiert. Doch der Zahn der Zeit nagte. Mauern rissen, Balkone bröckelten, das Dach wurde undicht, die Fenster blind, der Brandschutz ungenügend. Eines Tages erschien dem Hausbau-Konzern das Flickwerk nicht mehr sinnvoll.
So flog den Mietern - immerhin beizeiten - die Mitteilung ins Haus, der Betrieb könne nur noch bis 2026 aufrechterhalten bleiben. Danach solle ein internationaler Architektenwettbewerb über den Neubau entscheiden. Das Landesamt für Denkmalschutz wollte das bedrohte Objekt auch nicht auf seine Liste setzen; die Begründung klang nicht sehr charmant: Das Arabellahaus sei zwar sehr markant, aber halt doch "nur ein gewöhnliches Scheibenhaus".
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