Abreißen? Flüchtlinge? Dieses Haus soll bleiben!
Ausgerechnet im Gärtnerplatzviertel – dort also, wo angeblich jeder vitale Münchner und Zugereiste sowieso gern leben möchte – sind Menschen verärgert. Klar, einige von den spät angekommenen Besserverdienern, die ungerührt 18,50 Euro kalt für ihren Altbau zahlen, empören sich darüber, dass gleich in der Thalkirchner Straße 9, in Bestlage also, ein Heim für Wohnungslose entstehen soll. Also sowas. Deswegen sind sie ja nun wirklich nicht hergezogen.
Aber diese Sorte Leute finden weder Stimme noch Gehör bei jenen Menschen, die im Viertel den Ton angeben. Das sind Künstler, Kreative, Karitative. Stadtteilpolitiker und Macher, die das Viertel bunt und gelebt tolerant halten wollen. Von denen sind etliche gerade noch viel, viel verärgerter.
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Sie wollen nicht einsehen, dass die Stadt in ihrem Viertel ein Haus abreißt, das doch angeblich noch nutzbar ist. Aktuell etwa für die Unterbringung von Flüchtlingen.
Es geht um das Haus in der Pestalozzistraße 2. Jenen grünen Klotz, an dem wohl jeder am Altstadtring gleich beim Sendlinger Tor schon mal vorbeigefahren ist.
„Flüchtlinge gehören ins Stadtzentrum“
2012 bereits hat der Stadtrat beschlossen, das Gebäude wegzureißen und dort etwas Neues zu bauen. Womöglich für Flüchtlinge, später. Aber die leiden doch jetzt, in der Gegenwart, größte Not. Das Thema, sagen die Aktivisten, könne nicht warten, bis Abbruch, Planung, Neubau in ein paar Jahren abgeschlossen sind. Das Haus steht seit 2011 leer. Geht es nach den Machern aus dem Viertel, sollen hier mindestens 50 Menschen, Flüchtlinge, unterkommen. Lieber gleich als irgendwann. In den Ladenräumen im Erdgeschoss ließe sich ein Begegnungszentrum einrichten, Platz für kulturelle Veranstaltungen.
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„Flüchtlinge, Wohnungslose, Alte, sozial Benachteiligte – die gehören ins Zentrum der Stadt, nicht an ihren Rand“, sagt Matthias Weinzierl, Geschäftsführer des Bayerischen Flüchtlingsrates. „Es macht einen sprachlos, dass die Stadt im Zentrum Wohnraum ungenutzt lässt – erst recht angesichts der aktuellen Situation um die Flüchtlinge.“ Das Haus in der Pestalozzistraße sei „mit ein bisschen Aufwand bald bewohnbar“, argumentiert Weinzierl.
Eben nicht, kontert die Stadt. Genauer: das Kommunalreferat, das für Liegenschaften zuständig ist. Das Haus sei entkernt, sagt der Referent Axel Markwardt, kein fließend Wasser, die Stromleitungen sind gekappt, es schimmelt.
Das mit dem Schimmel stimmt, was auch daran liegt, dass das Haus verrammelt und seit Monaten nicht gelüftet worden ist. „Auftragsgemäß nach dem Stadtratsbeschluss“ werde das Objekt geschleift, sagt Markwardt. Beschlossene Sache; er ist da nur das ausführende Organ.
Das bringt ihn in die Schusslinie der Aktivisten. Für den morgigen Dienstag um 18 Uhr haben die zur Kundgebung, sagen wir ruhig, zur Demo aufgerufen. „Amts-Schimmel verhindern!“ heißt deren Motto, und auf dem zugehörigen Plakat, einer Fotomontage, sieht man Axel Markwardt knapp bekleidet auf einer Abrissbirne reiten, als Vorlage dienten die Sängerin Miley Cyrus und ihr Video zum Lied „Wrecking Ball“. Über dem optisch verhöhnten Markwardt steht der Text: „Das Münchner Kommunalkindl rät allen Immobilienbesitzern: Haus abreißen statt lüften.“
Es hat sich ein breites Bündnis zusammengetan gegen die Stadtverwaltung und -regierung. Die Macher der Initiative Goldgrund um den bekannten Kleinkunst-Gastronomen Till Hofmann sind dabei: Die haben schon seit Jahren – etwa als Gorillas verkleidet, mit prominenten Mitstreitern wie Mehmet Scholl und damals noch Dieter Hildebrandt († 86) – den städtischen Wohnungsleerstand angeprangert. Vorn in der Müllerstraße, dann in der Pilotystraße 6. „Passiert ist nichts“, klagt Hofmann. Jetzt haben sie das grüne Haus in der Pestalozzistraße im Visier.
Sie – das sind auch: Flüchtlingsrat, Sozialverbände, Bezirksausschuss. Der hat gerade einstimmig für den Erhalt des Hauses gestimmt. Auch bei CSU-Bürgermeister Josef Schmid finden die Aktivisten Gehör.
Für die „Besichtigung“ des Hauses setzt es eine Strafanzeige
Matthias Weinzierl vom Flüchtlingsrat sagt: „Unser Ziel ist eindeutig: Die Stadt muss sich endlich bewegen. Sie muss ein positives Signal senden, um ein Haus für ein Projekt zur Verfügung zu stellen.“ Das Projekt trägt den Arbeitstitel „Bellevue di Monaco“ und soll ein Integrationshaus für Flüchtlinge, Studenten, Kulturschaffende sein.
Kommunalreferent Markwardt, der manchen Aktivisten als Verhinderer gilt, ist selbst in die Offensive gegangen. Er hat Reporter und zuletzt auch die Rathaus-Grünen, die den Goldgrund-Vorschlag unterstützen, durchs Haus in der Pestalozzistraße 2 geführt. Mit Atemmasken, des Schimmels wegen.
Dafür haben die Aktivisten nur Spott übrig: „Wegen einer verschimmelten Wand reißt man kein Haus ab.“ Man habe versucht, „die Gefahr so weit wie möglich aufzubauschen“: „Warum im ganzen Haus der Putz abgeschlagen wurde, die Schimmelstellen aber nicht, obwohl in dem Haus ja Leute des Abbruchunternehmens arbeiteten, entzieht sich unserem Vorstellungsvermögen.“
Die Gruppe fordert, dass noch ein neutrales Gutachten über das Gebäude erstellt wird.
„Es ist vernünftiger, das Haus zu schleifen“
Goldgrund-Macher Till Hofmann hat sich das vergitterte, leere Haus mit einem Bau-Experten neulich erst gründlich angesehen. Es brauchte einen Akkuschrauber, dann waren sie drin. „Die Bausubstanz ist gut“, sagt Hofmann, das habe ihm der Experte bestätigt. Neue Elektrik, Sanitäranlagen, neuer Putz – „da geht schon was“. Bei einem Abriss, warnt Flüchtlingsrats-Chef Weinzierl, habe man dort „über Jahre eine leere Kiesfläche. Das kann nicht sein!“
Goldgrund wettert: „Die Stadt sucht händeringend nach Unterkünften für Flüchtlinge. Jetzt rächt es sich, dass man nicht schon längst begonnen hat, die städtischen Leerstände nutzbar zu machen.“ Und: „Es ist ökonomischer, ökologischer und nachhaltiger, Bestandswohnungen für die soziale Wohnversorgung zu sichern, als neu zu bauen.“
Seine eigenmächtige Hausbesichtigung wird Till Hofmann eine Anzeige einbringen, das sei stets die innerstädtische Politik in solchen Fällen, sagt Kommunalreferent Markwardt: „Es wundert mich schon, dass die Leute, die sich den Rechtsstaat auf die Fahne schreiben, dann solche Dinge tun.“
Markwardt wundert sich auch über den Bezirksausschuss, der jetzt gegen den Abriss ist: „Da versucht man, politisch auf ein Vehikel zu springen, das gerade angesagt ist.“ Er wolle das freilich nicht werten. Aber: „Es ist vernünftiger, das Haus zu schleifen. Der Bezirksausschuss hat nicht mit den Fachleuten geredet und auch keine Ortsbesichtigung vorgenommen.“
Sonst hätte er den Stadtteilpolitikern erklärt, dass auch die Fernwärme-Einrichtung im Haus schon abgebaut sei und das Gebäude als Geschäfts- und nicht als Wohnhaus deklariert sei. Da brauche es erst einmal eine Nutzungsänderung von der Lokalbaukommission. Auch die kann lange dauern.
So lang wollen die Aktivisten nicht warten. Sie machen ihrer Wut auf die Stadt am Dienstagabend Luft. Sie verlangen, dass der Stadtrat endlich ein Haus bei ihnen im Viertel für Flüchtlinge freigibt. „Diese Demo ist bitter nötig“, sagt Matthias Weinzierl vom Flüchtlingsrat, „um zu zeigen, wie und mit wem man leben möchte in diesem Viertel.“ Ein Signal nach außen, aber auch nach innen. Damit die feinen Nachbarn, die sich übers Wohnungslosenheim in der Thalkirchner Straße ärgern, auch mal erfahren, wie das Gärtnerplatzviertel wirklich tickt.