Stadt startet Kampagne gegen homophobe Übergriffe

Pöbeleien und Angriffe auf Homosexuelle gibt es immer noch. Wo die Ursachen liegen, was die Stadt unternimmt.
von  Natalie Kettinger
Anni Effner vom "Aufklärungsprojekt München e.V.". Im Hintergrund: Respekt gegenüber allen Lebensentwürfen – die Plakatkampagne der Stadt "München l(i)ebt Vielfalt".
Anni Effner vom "Aufklärungsprojekt München e.V.". Im Hintergrund: Respekt gegenüber allen Lebensentwürfen – die Plakatkampagne der Stadt "München l(i)ebt Vielfalt". © az/Stadt München

Marcel Rohrlack, Sprecher der Grünen Jugend München, und sein Freund sind nach dem CSD 2015 auf dem Heimweg. Marcel Rohrlack trägt Frauenkleider – ein Outfit, für das er auf der Politparade viel Zuspruch bekommen hat. Das Paar ist guter Dinge – doch dann kreuzt eine Gruppe junger Männer den Weg der beiden. "Schämt ihr euch nicht!", pöbeln sie. Sie zerren Marcel Rohrlack in einen Hauseingang und schlagen ihm mit den Fäusten das Gesicht blutig.

Diese Szene hat sich in der Nähe des Ostbahnhofs abgespielt. Doch mittlerweile hört man Vergleichbares auch aus dem Glockenbachviertel, einst Schutzraum für Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle (LSBTI), wo es lange Zeit niemanden gestört hat, wenn sich zwei Männer auf der Straße küssen oder zwei Frauen Hand in Hand über den Gehsteig schlendern.

"Hey, schwule Sau!"

Doch das gesellschaftliche Klima verändert sich. "Hey, schwule Sau!", "Schaut euch mal die Lesben an!", solche Kommentare seien heute auch im Glockenbachviertel zu hören, sagt Anni Effner vom "Aufklärungsprojekt München e.V.", dessen Aktive in Schulen über queeres Leben sprechen.

Die 30-Jährige hat mehrere Gründe für diese Entwicklung ausgemacht. "Es gibt in der Gesellschaft einen wahnsinnigen Rechtsruck durch die AfD", sagt sie. Gleichzeitig diffamierten erzkonservative homophobe Gruppen wie die "Besorgten Eltern" oder "Demo für Alle" queere Lebensentwürfe.

"Ideologie, Unfug und Aberglaube"

Aktuell zeigt sich das an der Debatte um die Neufassung der "Richtlinien zur Familien- und Sexualerziehung in den bayerischen Schulen", die demnächst eingeführt werden soll. Darin heißt es unter anderem: "Schülerinnen und Schüler verstehen, dass ein wertschätzender, verantwortungsbewusster und selbstbestimmter Umgang mit Sexualität dazu beiträgt, lebenslang erfüllende Sexualität erfahren zu können. Die Vielfalt der Lebensformen und die Themen Hetero-, Homo-, Bi-, Trans- und Intersexualität werden dabei vorurteilsfrei von der Lehrkraft angesprochen."

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Die Gruppierung "Demo für Alle" ("Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie!"), die unlängst zum zweiten Mal in München demonstrieren wollte, die Veranstaltung aufgrund zahlreicher Proteste aber erneut in letzter Minute absagte, sammelt aktuell Unterschriften gegen diesen Entwurf, bezeichnet ihn auf ihrer Homepage als "Ideologie, Unfug und Aberglauben".

"Diese Leute sprechen von Pornografisierung und davon, dass Kinder dadurch sexualisiert würden", sagt Anni Effner und schüttelt den Kopf. "Als ob so etwas jemals durch den Landtag gehen würde."
Doch irgendetwas bleibt immer hängen – und so ist es auch diesmal. "Das Schlimme daran ist, dass hier die Angst der Eltern um ihre Kinder aufgegriffen wird. Und dass viele bereit sind, das einfach zu glauben, anstatt sich zu informieren."

Nebenher geschieht im Gärtnerplatzviertel aber noch etwas anderes: Die Gentrifizierung lässt alte Szene-Treffpunkte sterben, hippe Clubs und Cafés folgen – und mit ihnen das Party-Publikum.

Eine Entwicklung, die Anni Effner traurig macht. "Als ich mich gefunden habe, war es wichtig für mich, zu wissen, wo ich Leute vorfinde, die wie ich sind", sagt sie. Und: "Manchmal möchte man einfach in ein Café gehen, eine Frau anlächeln und wissen, dass sie auch lesbisch ist."

"Übergriffe werden nur selten angezeigt"

Eine Entwicklung, die zudem bedenkliche Folgen hat: "Es kommt zu Übergriffen, die übrigens nur selten angezeigt werden, weil jetzt ein Publikum im Glockenbachviertel feiern geht, das vorher absolut keine Berührungspunkte mit queerem Leben hatte", sagt Anni Effner.

Eine Entwicklung, der die Stadt nicht länger zusehen möchte. Gemeinsam mit dem Aktionsbündnis "Vielfalt statt Einfalt" hat die Landeshauptstadt die Kampagne "München l(i)ebt Vielfalt" aus der Taufe gehoben, wofür sie etliche schwul-lesbischen Vereine, darunter das "Aufklärungsprojekt München", die LesMamas und das Forum Homosexualität München e.V. akquiriert haben, die eigene Veranstaltungen organisierten.

Seit Mai wurden in diesem Rahmen etliche Konzerte, Lesungen, Vorträge und Events angeboten, darunter auch eine Fortbildung für die Türsteher der Clubs im Viertel. Ein Angebot, das in Zukunft noch erweitert werden soll.

Allerdings, sagt Anni Effner, fehle es in dieser Hinsicht noch am Engagement einzelner Clubs in der Landeshauptstadt. "Aber auch sie müssen zeigen, dass ihnen das Thema wichtig ist. Man kann die Verantwortung nicht immer auf andere schieben."

Im Rahmen der Pride-Week und des Respekt-Programms findet heute Abend ein Queergottesdienst statt: Ein Gang durch Bars und Cafés, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Start ist um 20 Uhr am Stephansplatz.

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