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So geht's in den Problemvierteln in München wirklich zu: "Betrunkene und bekiffte Jugendliche"

Schlägereien, Raub, räuberische Erpressung, Vandalismus, Drogen – die Jugendgewalt in München nimmt zu. Die Brennpunkte wechseln, ebenso die Beteiligten. Mehr Polizei auf den Straßen soll helfen. Die AZ hat eine Streife abends und nachts begleitet.
Ralph Hub
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Alltag für Polizisten: Nach einer Prügelei auf dem Marienplatz werden Zeugen und Beteiligte befragt.
Alltag für Polizisten: Nach einer Prügelei auf dem Marienplatz werden Zeugen und Beteiligte befragt. © Bernd Wackerbauer

München- Alkohol und Drogen, das sind die beiden Schmiermittel, die die Stadt selbst an einem lauen Sommerabend im August nicht richtig zur Ruhe kommen lassen.

Vor allem betrunkene oder bekiffte junge Männer und Jugendliche sorgen immer wieder für Ärger. Die Polizei hält mit mehr Präsenz in problematischen Gegenden dagegen. Ein AZ-Reporterteam hat die Arbeit der Polizisten einen Abend lang in der Messestadt in Riem und in der Altstadt begleitet.

Polizei verstärkt Präsenz an den Brennpunkten in München

Es ist kurz vor 22 Uhr, der Funk im Polizei-Bully wird schlagartig lebendig: "Mann von drei Tätern am Marienplatz angegriffen und verletzt", gibt die Einsatzzentrale im Präsidium durch. Minuten später trifft die erste Streife ein.

Ein junger Mann spricht zwei Beamte im VW-Bus an. Nüchtern ist er nicht, entsprechend wirr sind seine Schilderungen. Er sei geschlagen worden, sagt er. Sein T-Shirt ist an der linken Schulter zerrissen. Schnell ist klar, es geht um ein Mädchen, mit dem er offenbar kurz zuvor gerne hätte anbandeln wollen.

In der Münchner Innenstadt kommt es zu einer Schlägerei: Alle Beteiligten sind betrunken

Am Montagabend ist die junge Frau allerdings nicht alleine. Ihr Begleiter, ein Bekannter, nicht ihr fester Freund, reagiert gereizt auf Flirtversuche anderer Männer. Er geht dem Konkurrenten an den Kragen, zerreißt ihm dabei das T-Shirt. Die Männer schreien sich gegenseitig an, dann wirft er eine Bierflasche nach dem Nebenbuhler, die aber ihr Ziel verfehlt und auf den Betonplatten zerplatzt.

Das Opfer hat offenbar auch zugeschlagen. Der Angreifer ist verschwunden, als die Polizei eintrifft. Es sind nicht drei Angreifer, wie zuerst gemeldet, sondern nur einer. Die Beamten können den Verdächtigen schließlich im Zwischengeschoss unterm Marienplatz aufstöbern. Auch er ist angetrunken, genauso wie die Frau, deren Ehre der Mann vor ein paar Minuten noch so hingebungsvoll verteidigt hat.

Zwei Personen klagen nach der Rauferei am Marienplatz über gesundheitliche Probleme und werden von Rettungskräften im Sanka versorgt.
Zwei Personen klagen nach der Rauferei am Marienplatz über gesundheitliche Probleme und werden von Rettungskräften im Sanka versorgt. © Bernd Wackerbauer

Schlägereien, Pöbeleien: "Das ist inzwischen unser Alltag", sagt ein Münchner Polizist

Inzwischen stehen drei Polizeiautos und ein Rettungswagen rund um die Mariensäule. Die Beamten nehmen Aussagen aller Beteiligten und einiger Zeugen auf, Personalien werden festgehalten.

Die Sanis kümmern sich um die Blessuren aller Beteiligten. "Das ist inzwischen unser Alltag", sagt Polizeisprecher Sven Müller. Juristisch gesehen eher Kleinkram: eine versuchte gefährliche Körperverletzung und eine einfache Körperverletzung.

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Ein betrunkerer Mann übersieht die Trambahn: Er ist schwer verletzt

Nur Minuten später der nächste Einsatz. Am Bahnhofsplatz im Bereich der Prielmayerstraße hat es gekracht. Ein Mann (1,4 Promille) radelt und hantiert mit seinem Handy. Er übersieht dabei eine Tram, die auf den Bahnhofsplatz abbiegt. Der 36-Jährige wird erfasst, aber zum Glück nicht unter die Tram gezogen. Bewusstlos liegt der Radler mit einer üblen Verletzung am Kopf am Boden. Ein Notfallmediziner des Klinikums Großhadern ist zufällig in der Nähe und übernimmt die Erstversorgung des Verletzten.

Die Passagiere der Tram müssen aussteigen. Zwei nicht mehr ganz nüchterne Männer, einer mit Hund, der andere mit nacktem Oberkörper, sind neugierig. Die Beamten fackeln mit Gaffern nicht lange. Sie stampern sie weiter. Der Tarzan mit der nackten Brust plustert sich auf, krakelt rum, schreit etwas von "Polizeiwillkür", trollt sich dann aber samt seinem Kumpel.

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Wenn es in München mild ist, ist es in der Stadt auch noch um Mitternacht voll

Der Einsatz am Bahnhofsplatz läuft noch, da kommt über Funk schon die nächsten Meldungen: Betrunkener belästigt in der Kapuzinerstraße Kunden einer Tankstelle. Zudem eine Prügelei unter Jugendlichen. Inzwischen ist es fast Mitternacht. Es hat noch immer gut 20 Grad, viele Leute sitzten draußen vor Cafés und Bars, genießen den lauen Sommerabend.

Etwas weiter im Osten, in der Messestadt Riem sind wie immer Polizeistreifen unterwegs. Die Beamten sitzen in ihren VW-Bussen. Die Jugendlichen im Viertel sehen die markanten blau-silbrigen Bullys mit dem Blaulicht auf dem Dach schon von weitem. "Die schikanieren uns, wo sie nur können", erzählt ein 16-Jähriger. Fünf bis sechs Mal am Tag würden er und seine Freunde von Beamten manchmal kontrolliert — natürlich völlig grundlos, wie die Gruppe sofort beteuert.

Vier Jugendliche aus Riem, die Schüler sind hier aufgewachsen. Die ständigen Polizeikontrollen empfinden sie als Schikane.
Vier Jugendliche aus Riem, die Schüler sind hier aufgewachsen. Die ständigen Polizeikontrollen empfinden sie als Schikane. © Bernd Wackerbauer

In der Messestadt Riem sind die Jugendlichen keine Fans der Münchner Polizei

Man spürt sofort, die Teenager hinterm Willy-Brandt-Platz sind keine Fans der Polizei. Die verstärkten Kontrollen, die die Beamten über mehrere Wochen bis Ende Juli in Riem und Neuperlach durchführten, scheinen allerdings Wirkung zu zeigen. Es ist ruhig an diesem Abend im Viertel. Ob's an der Ferienzeit liegt, oder an der verstärkten Polizeipräsenz? "Das muss die Auswertungen der Zahlen ergeben", sagt Polizeisprecher Christian Drexler, "noch ist es dazu zu früh."

Tagsüber gibt es am Riemer See für die Polizei fast nichts zu tun. Später, als die Sonne untergeht, ist im Wasser kaum mehr etwas los. Dafür wird jetzt am Ufer mehr gefeiert. Die Mitarbeiter der Parkaufsicht sind nur bis 22 Uhr unterwegs. "Wenn die weg sind, packen wir unsere Shisha-Pfeifen aus und machen Party", erzählen ein paar Schüler, die regelmäßig am See chillen. Dann dröhnen die Bässe der Bluetooth-Boxen bis tief in die Nacht. Nicht allen Bewohnern der Messestadt gefällt der Trubel am See.

Blaulicht nachts in der Messestadt Riem. Viele Bewohner beschleicht da automatisch ein ungutes Gefühl.
Blaulicht nachts in der Messestadt Riem. Viele Bewohner beschleicht da automatisch ein ungutes Gefühl. © Bernd Wackerbauer

Drogen, Gewalt: Manche Straßen haben einen üblen Ruf

Manche Straße in der Messestadt haben einen echt üblen Ruf — die Helsinkistraße oder die Selma-Lagerlöf-Straße sind nur zwei Beispiele. "Da hat jemand am Wochenende einen Fernseher und eine Waschmaschine aus dem Fenster geworfen und angezündet", erzählt ein Jugendlicher aus der Selma-Lagerlöf-Straße. Zu sehen ist davon am Montagabend nichts mehr.

Wer sich mit den Menschen aus dem Viertel unterhält, bekommt immer wieder die beiden Straßennamen genannt. Manche im Viertel, so heißt es, würden es schon bereuen, in die Messestadt gezogen zu sein. Zu viel Vandalismus, zu viel Kriminalität, zu viele Drogen, beklagen manche Anwohner.

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Marihuana und Kokain: Zwei Probleme in der Messestadt Riem

Vor allem Marihuana und Kokain scheinen in der Messestadt zunehmend zum Problem zu werden. Bei der Schwerpunktaktion des Präsidiums, die bis Ende Juli ging, wurden innerhalb kurzer Zeit 50 Drogendelikte zur Anzeige gebracht. In der Messestadt gibt es etliche Jugendliche, die gerne provozieren – das spürt man sofort. So wie ein halbes Dutzend junger Männer, die in der Grünanlage zwischen Willy-Brandt-Platz und Riemer See auf einem Mäuerchen hocken. Polizistensehen sie nicht gerne in "ihrem Viertel".

Ein 18-Jähriger erzählt, eine Streife habe ihm vor ein paar Tagen in aller Öffentlichkeit die Hosen runtergezogen, ihm zwischen die Beine gefasst und ihn nach Drogen gefilzt. "Das war entwürdigend", beschwert er sich. "Wenn wir die Beamten nach dem Grund für solche Aktionen fragen", ergänzt sein Kumpel, "bekommen wir immer nur zu hören, das wisst ihr selbst am besten".

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Die Jugendlichen fühlen sich von der Polizei unfair behandelt

Nicht wenige Jugendliche in der Messestadt legen es geradezu darauf an, Ärger mit der Polizei zu bekommen. So wie ein junger Bursche, der sich seelenruhig einen fingerlangen Joint dreht. Und das, obwohl keine 50 Meter entfernt gerade ein Polizeiauto vorbeifährt und nur einen Steinwurf entfernt ein weiteres Polizeiauto steht. Der Kiffer ist die Ruhe in Person, was seine Freunde amüsiert.

An der Ecke Caroline-Herschel- und Lehrer-Wirth-Straße flackert Blaulicht in der Dunkelheit. Die Feuerwehr ist mit zwei Fahrzeugen vor Ort. In einem Mietshaus sitzen mehrere Personen in einem steckengebliebenen Lift fest. Der Hausmeister befreit sie. Für die Feuerwehr bleibt nicht viel zu tun. Auch die Polizei fährt wieder.

Feuerwehr vor einem Mietshaus an der Ecke Caroline-Herschel- und Lehrer-Wirth-Straße. In einem Lift sitzen mehrere Mieter fest.
Feuerwehr vor einem Mietshaus an der Ecke Caroline-Herschel- und Lehrer-Wirth-Straße. In einem Lift sitzen mehrere Mieter fest. © Bernd Wackerbauer

Eine Querstraße weiter stoppt eine Frau den Polizei-Bus auf der Kreuzung. "Geht's da hinten um Drogen?", will sie wissen. Die Frau hat zwei Söhne, wie sie erzählt, elf und 14 Jahre alt. "Ich mache mir Sorgen um sie. Drogen sind in der Messestadt ein großes Problem".

Eine Anwohnerin sagt: In einer Nachbarwohnung würde Gras verkauft

Mit dem Finger zeigt sie anschließend auf einen der Wohnblöcke gegenüber und dort auf ein ganz bestimmtes Fenster. "Da lebt ein Hartz-IV-Empfänger, der massenweise Gras in seiner Wohnung hortet", erzählt sie. Die Frau scheint sich im Viertel gut auszukennen. Seit mehr als 15 Jahren lebt sie in der Messestadt. "Es ist in all den Jahren nicht besser geworden", beklagt sie.

Andere sehen die Lage in der Messestadt entspannter. "Da wird viel übertrieben und aufgebauscht", sagt eine Radlerin am See. Sie selbst wohnt allerdings nicht in der Messestadt, sondern ein paar Kilometer entfernt in Richtung Ottobrunn.

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  • Whitesnake77 am 17.08.2023 05:25 Uhr / Bewertung:

    Ich warte auf den Richter-Spruch, das Opfer hätte eigentlich wissen müssen, dass man sich des Nachts mehr auf der Fläche vor seinem Hauseingang befinden darf und sich somit eine Teilschuld des Opfers ergibt!

  • Matze-G am 16.08.2023 22:05 Uhr / Bewertung:

    Gibt es neuerdings Problemviertel? Davon habe ich früher nur gelesen vom Hasenbergl, vielleicht haben manche Politiker was verpasst oder es kommen zuviele Problem Personen ins Land.
    Es werden Hotels, Schiffe für Problempersonen reserviert und wo sollen enn nun die Fachkräfte schlafen???

  • MUC0 am 16.08.2023 19:02 Uhr / Bewertung:

    KGE steht für: Kawasaki Gas Turbine Europe

    Ich verstehe!

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