So feiert die Jüdische Gemeinde Jom Kippur in prekären Zeiten

Wie feiert die jüdische Gemeinde das Fest der Versöhnung in einem Jahr voller Bedrohung?
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Die Synagoge am Jakobsplatz ist schon dekoriert.
Die Synagoge am Jakobsplatz ist schon dekoriert. © Shmuel Aharon Brodman

München – Shmuel Aharon Brodman ist nervös. Am Donnerstagnachmittag arbeitet er noch an seiner Predigt. Die große Synagoge am Jakobsplatz ist da bereits feierlich mit weißen Decken und Hussen dekoriert. Brodman ist der Rabbiner der größten jüdischen Gemeinde in Deutschland.

Von Freitag- bis Samstagabend wird er den Gottesdienst und die Gebete zu Jom Kippur halten. "Das muss eine besonders gute Predigt werden ‒ an Jom Kippur kommen auch viele Gemeindemitglieder, die das Jahr über selten oder nie in der Synagoge sind." Es sei der höchste jüdische Feiertag: Aber ein ruhiges, andächtiges Fest mit vielen hebräischen Gebeten, Reden, Geschichten aus der Tora und Gesängen.

Jüdischer Feiertag Jom Kippur: Ein Fest der Versöhnung in Krisenzeiten

Doch hier in München hat Anfang September erst ein bewaffneter Mann aus Österreich versucht, das israelische Generalkonsulat anzugreifen und wurde bei einem Schusswechsel mit der Polizei getötet. Vor wenigen Tagen jährte sich der Terrorüberfall der Hamas auf Israel; noch immer sind über 100 Geiseln entführt.

Und nach Zahlen des Zentralrats der Juden in Deutschland haben Anfeindungen gegen jüdische Gemeinden seit dem 7. Oktober 2023 stark zugenommen. Sie stünden seit einem Jahr im "Ausnahmezustand". Das alles lastet auf der Münchner Gemeinde vor diesem Feiertag. Wie also feiert man das Versöhnungsfest Jom Kippur in solchen Zeiten?

Rabbiner Shmuel Aharon Brodman beim Gedenk- und Festakt anlässlich des 20. Jahrestags der Grundsteinlegung für die neue Hauptsynagoge „Ohel Jakob“ und das Jüdische Zentrum München sowie zum Andenken an den 9. November 1938 (Archivbild).
Rabbiner Shmuel Aharon Brodman beim Gedenk- und Festakt anlässlich des 20. Jahrestags der Grundsteinlegung für die neue Hauptsynagoge „Ohel Jakob“ und das Jüdische Zentrum München sowie zum Andenken an den 9. November 1938 (Archivbild). © IKG München und Oberbayern/Daniel Schvarcz

Das Fest stehe auch für Einheit und Verbundenheit, sagt Rabbiner Brodman. "Das kann uns jetzt helfen, uns zu verbinden und uns als starke Gemeinschaft zu fühlen." Am Ende des Abendgebetes am Samstag wird der Turm der Synagoge nach oben geöffnet und Rabbiner Brodman wird alle 101 Namen der verbliebenen Geiseln vorlesen und ein Gebet für sie sprechen. "Man muss sich das vorstellen, da sind immer noch zwei Babys in den Tunneln", sagt Brodman, der selbst mehrere Jahre in Israel gelebt hat.

Charlotte Knobloch (Archivbild).
Charlotte Knobloch (Archivbild). © Sven Hoppe/dpa

Es ist ein schweres Jahr für die Münchner Gemeinde, das sagt auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der israelischen Kultusgemeinde. "Die Wunden des 7. Oktober sind noch nicht ansatzweise verheilt, die Unsicherheit unter unseren Gemeindemitgliedern ist groß", sagt sie am Donnerstag zur AZ.

Wenn sie in diesem Jahr um Frieden, Glück und Segen bitten würden, dann sei das nicht nur ein Wunsch, sondern eine Hoffnung mit besonderer Bedeutung.

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Die Jom-Kippur-Zeremonie beginnt am Freitag zu Sonnenuntergang. Von da an fasten die Gemeindemitglieder 25 Stunden lang, Essen und Trinken. "Wir beten, dass uns unsere Sünden vergeben werden", sagt Brodman. "Fehler macht jeder von uns." Aber an Jom Kippur habe der Mensch die Chance, sich mit Gott und seinen Mitmenschen zu versöhnen.

Damit Shmuel Aharon Brodman selbst die 25 Stunden ohne Essen und Trinken durchhält, isst er am Freitag Trauben und Wassermelonen. Jungen würden traditionell ab dem 13. Lebensjahr und Mädchen ab dem 12. Lebensjahr mit dem Fasten beginnen. "Aber wer sich unwohl fühlt, darf raus, an die frische Luft und auch etwas essen."

Der Feiertag endet mit dem Fastenbrechen am Samstagabend. "Da gibt es einen schönen gemeinsamen Empfang auf dem Jakobsplatz." Er selbst fühle sich mit dem Schutzkonzept der Polizei sicher. Aber Empfehlungen will er nicht aussprechen: Jeder müsse selbst entscheiden, ob er sich auch außerhalb der Synagoge wohlfühlt, die Kippa zu tragen.

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2 Kommentare
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  • Witwe Bolte am 11.10.2024 15:09 Uhr / Bewertung:

    Das Christentum ist die einzige Weltreligion, wo Frauen und Männer im Gottesdienst zusammen sitzen und beten dürfen.
    Früher aufm Land war es allerdings so, dass in kathol. Gottesdiensten Weiblein und Männlein getrennt saßen. Heute undenkbar.

  • Wickie712 am 12.10.2024 10:01 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Witwe Bolte

    Eine Geschlechtertrennung in der Kirche ist seit dem Frühchristentum und daher in allen drei Hauptkonfessionen (röm.-kath., evang., orthodox) bekannt. In katholischen Kirchen sitzen gewöhnlich die Männer rechts (Süden) und die Frauen links, es gibt jedoch auch Ausnahmen.Jedenfalls gilt im traditionellen Raumprogramm der Sakralarchitektur die Epistelseite (rechts) als Männerseite und die Evangelienseite (links) als Frauenseite. Dementsprechend sind Seitenaltäre, die Christus oder einem männlichen Heiligen geweiht sind, in der Regel rechts, Marienaltäre dagegen links zu finden. Mit der Geschlechtertrennung sollte im Gotteshaus eine zu große „sündige“ körperliche Nähe zwischen Männern und Frauen verhindert werden. Darüber hinaus gab es aber auch soziale Trennungen, beispielsweise von Adel und Geistlichkeit, von Kindern (vorderste Bänke) oder von verheirateten Männern (Empore).

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