Sind und bleiben Kult in München: Vorher-Nachher-Bilder der Kioske
München - In den Jahren nach dem Millennium fotografiert Juri Gottschall viele Treffpunkte in der Stadt. Erkennen Sie die Kioske? Und wie schaut es dort heute aus? Wir haben nachgeschaut.
Erinnert sich noch jemand an den Miniaturkiosk an der Leonrodstraße, der so putzig mitten in der Einfahrt zwischen den Häusern 65 und 67 stand? Oder an das pavillonartige türkise Kioskhäusl rechts an der Schleißheimer Straße, dort, wo nach Norden hin die Lerchenauer abzweigt? Noch gar nicht so lange her – und trotzdem längst vorbei.
Ein bisserl in München-Nostalgie schwelgen
Der Münchner Fotograf Juri Gottschall ist in den Nuller- und zu Beginn der Zehnerjahre viel durch München gefahren und hat mit liebevollem Blick Orte beobachtet, an denen Menschen zusammenkommen. Zufällig oder absichtlich. Für flüchtige Sekunden, oder um gesellig Themen des Tages zu besprechen. Bei seinen Streifzügen hat er viele der Kioske von damals fotografiert. Auch Waschsalons, Imbissbuden und Boazn. Einige dieser Fotoserien sind 2011 im Lokalteil der "SZ" erschienen. Und weil es Freude macht, in München-Erinnerungen zu schwelgen, zeigen wir ein paar davon in einer dreiteiligen AZ-Serie nun wieder.
Bei uns geht es mit den Kiosken der Nullerjahre los. Manche – zumal die kultigen entlang der Isar – haben sich über die Jahre gehalten, wenn auch teils mit jetzt neuem Namen. Andere, die ans Herz gewachsen waren, sind abgerissen oder weggeräumt – und kommen auch nicht wieder. Was war und was dort heute ist – wir haben nachgeschaut und am selben Standort neue Fotos gemacht.
Miniatur an der Leonrodstraße 65
Ein roter Coca-Cola-Stehtisch, ein Kuhmuster-Mülleimer, ein Guckfensterchen, Tabakwaren, Getränke, Zeitschriften, Spirituosen: So richtig sicher konnten sich Passanten nie sein, ob der Winzlingskiosk an der Leonrodstraße geöffnet war, der in den Nullerjahren recht abenteuerlich mitten in der Einfahrt zwischen den Hausnummern 65 und 67 stand.

Mal war nachmittags jemand da, mal nur vormittags. Ob er sich deshalb nicht gehalten hat? Jedenfalls, so erzählt es ein Nachbar aus dem Asia Imbiss nebenan, sei der urige Winzling schon "vor zehn, 15 Jahren" verschwunden. Schade.

Bogenhauser Eckhauskiosk
Das war schon praktisch, so ein kleiner, fast quadratischer Zeitungskiosk auf dem Gehsteig mitten im Wohnviertel – wie zu Beginn des Jahrtausends in Bogenhausen an der Sternwart- Ecke Ismaninger Straße.

Sogar der Marlboro-Mann hat damals noch fürs Rauchen werben dürfen. Vorbei, das ist gut so. Nur den Kiosk, der vor einigen Jahren an der Ecke verschwunden ist (und sowieso das rotweiße Schild der Abendzeitung) hätten wir natürlich gerne behalten.

Noch ganz unwahnsinnig: "Der Kiosk" an der Wittelsbacherbrücke
Roter Fensterrahmen, blaues Dach, Biergartengarnituren und ein ganz unprätentiöser Name. "Der Kiosk" hat dieses Häusl an der Wittelsbacherbrücke (Nordseite) in den Nullerjahren noch geheißen.

Zum Millennium hatte das freundliche Paar Cornelia und Gundolf Straub den heruntergekommenen Kiosk an der Isar gekauft und hergerichtet. 2011, als Juri Gottschall die Cornelia im Holzfällerkarohemd mit Weste fotografiert hat, kostete die Tasse Kaffee 1,70 und der Erbseneintopf 2,50 Euro. Später haben die Straubs ihr Häusl umbenannt in "Kiosk Isarwahn".

Weil nichts für immer (und auch das Betreiberpaar in die Jahre gekommen) ist, haben die Straubs ihren Kiosk vor zwei Jahren an Boaznwirt Maximilian Heisler (u.a. Geyerwally, Frisches Bier) und seinen Spezl Carsten Fay übergeben. Der Fensterrahmen ist jetzt blau und Erbseneintopf gibt's nicht mehr. Dafür aber viel mehr Bierauswahl, bei gutem Wetter bis 22 Uhr.

Lesen wie auf Reisen
Ein bisschen wie im Urlaub hat man sich gefühlt, wenn man in den ersten Jahren des Jahrtausends am Zeitungskiosk am Elisabethplatz gestanden ist. 900 Zeitungen, Zeitschriften, Magazine in allen erdenklichen Sprachen, waren da gehangen, gesteckt und gestapelt. Italienisch, griechisch, türkisch, französisch, britisch, holländisch – toll! Rosi Stiftner, die rund 40 Jahre dort gesessen hat, war Kult im Herzen von Schwabing. 2016 ist sie mit 71 Jahren gestorben, am geschlossenen Kiosk hat man noch lange Trauerkarten und Blumen aus der Nachbarschaft gesehen.

Eine Zeitlang hat eine junge Betreiberin den Kiosk noch weitergeführt. Dann ist mit den historischen Marktstandln am Elisabethmarkt (die neuen Standl werden bald fertig) auch der alte Kiosk gewichen. Der Nachfolger ist ein geräumigerer Glasbau, Zeitungen gibt's nur noch wenige. Vor allem von Tabak und E-Zigaretten lebt die neue Betreiberin Yasemin Öztürk. Von der Rosi reden die Nachbarn immer noch.

Das älteste Standl
Waldgrün ist die Bretterfassade, auch dahinter ist alles aus Holz. Die Hütte an der Wittelsbacherbrücke (Südseite, gegenüber dem Isarwahn) ist deshalb genaugenommen kein Kiosk, sondern ein Standl –und zwar Münchens ältestes (1848).

2005 hatte André Löwig es gekauft und anfangs nur Bier, Eis und Currywurst verkauft. Erst ab 2015 durfte er Biergartengarnituren aufstellen. Anfang April hat er nach der Winterpause wieder aufgemacht.

Der Kultige – heute in knallbunt
Eis, Gummischlangen, Wiener in der Semmel: Christa Fingerles Kiosk an der Braunauer Eisenbahnbrücke (seit 1951 im Familienbesitz) war in den Nullerjahren schon Kult. Das Häusl an der Isar (Teutoburger Straße 11) hat die Chefin früher jedes Jahr frisch gestrichen.

Weiß meistens, wie man auf Juri Gottschalls Foto rechts sieht. "Inzwischen ist das sinnlos", erzählt sie, "weil es eh wieder besprüht wird." Heute ist es also wie es ist: knallbunt. Und Christa Fingerle ist – wie man es 40 Jahre kennt – immer noch da.

Ein Hauch New York an der Schleißheimer
Dass die Schleißheimer Straße 234 einst einen Kiosk bekommen hat, ist Maggie und Thilo Banatte-Schuster zu verdanken, die nach 20 Jahren New York in den Nullerjahren zurück nach München gezogen sind. Und in den Garten ihres Hauses einen Kiosk gebaut haben.

"New York Corner Café" nannten sie das hellgrüne Häusl, in dem es Kaffee, selbstgebackenen Kuchen, Bagels und Sandwiches in amerikanischer Tradition gegeben hat. Ein paar Jahre haben sie das gemacht. Inzwischen ist das Häuschen an Burger House vermietet.

Das Schwammerldachhäusl am Englischen Garten
Ein putziger Hingucker ist er gewesen, der orange Zeitungskiosk mit dem Schwammerldach im Stil der Fünfzigerjahre an der Oettingenstraße 80 am Englischen Garten. Gefühlte Ewigkeiten hat ihn Kurt Gärtner betrieben. 2012 hat er ihn an die Familie Garbzada untervermietet, danach folgte ein zweiter Zwischenbetreiber.

Seit Herbst ist der Pachtvertrag mit der Stadt gekündigt, das schöne Häusl ist abgerissen. Es kommt leider kein Kiosk mehr nach, die Stadt will den Grund bepflanzen.

Falls Sie selbst noch alte Bilder von Kiosken haben, an die Sie gern erinnern möchten: Schicken Sie sie uns per Mail an: lokales@abendzeitung.de (Stichwort: Nullerjahre).
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