Sigi Benker (Grüne): Wir sind nicht nur die nette Wohlfühlpartei

München - Die Münchner Grünen feiern Jubiläum. Doch was ist geblieben von den alten Idealen? In der AZ erinnert sich Sigi Benker. Der 62-Jährige ist Münchner Grüner der ersten Stunde. 1996 bis 2013 war er Fraktionsvorsitzender, heute leitet er den Münchenstift.
AZ: Herr Benker, vor 40 Jahren waren die Münchner Grünen eine Subkultur, jetzt sind sie – geht man nach den jüngsten Wahlergebnissen – stärkste Kraft in München. Hätten Sie das damals erwartet?
SIGI BENKER: Wir waren damals eine wilde Gruppe aus der Ökologie-, Frauen-, Bürgerrechts- und Anti-Atomkraft-Bewegung. Dass es uns in 40 Jahren überhaupt noch geben würde, darüber hat sich damals kein Mensch Gedanken gemacht. Das tolle an dem Wahlergebnis ist, dass die Dringlichkeit des Klimaschutzes als eines der großen Themen, die uns schon damals beschäftigt haben, endlich bei den Menschen angekommen ist.
"Unsere Themen sind jetzt in der GroKo angekommen"
Frustriert es Sie nicht, dass es 40 Jahre dafür gebraucht hat?
Ja, schon. Viele Forderungen, etwa die zur autofreien Altstadt, gehörten schließlich schon 1990 zu unserem Parteiprogramm. Jetzt übernehmen viele Parteien plötzlich unsere Initiativen. Wirklich schade, dass in dem Bereich jahrzehntelang zu wenig geschehen ist. Und dass unsere Themen erst jetzt auch bei der GroKo angekommen sind.
Wie war es damals für Sie, als neue Partei in den Stadtrat einzuziehen?
Ganz ehrlich? Wir hatten von Kommunalpolitik keine Ahnung. Den ganzen Papierkram haben wir auf einen Stapel gelegt. Der wurde immer größer. Bis unser Gründungsmitglied Georg Welsch das gesehen hat. Da gab es riesigen Ärger. Danach haben wir uns massiv in die Arbeit reingefräst.
"Rot-Grün hat viele Spuren in München hinterlassen"
...und mussten gegen stramme CSU-Konservativen wie Erich Kiesl, Hans-Peter Uhl und Peter Gauweiler ankämpfen. Die Auseinandersetzungen waren damals doch sicher sehr hart?
Ja, definitiv. Da war ein Kiesl, der in einer Bürgerversammlung einem Redner das Mikro weggenommen hat, weil der Dinge gesagt hat, die ihm nicht passten. Da war ein Gauweiler, der Aidskranke kasernieren wollte. Und ein Uhl, der Ausländer als Sündenböcke unserer Gesellschaft gesehen hat. Das war schon eine bleierne Zeit, eine repressive Zeit, wie sie heute gar nicht mehr vorstellbar ist im liberalen München.

24 Jahre lang regierte in München Rot-Grün. Was sind die größten Relikte aus dieser Zeit?
Wir haben viele Spuren hinterlassen. Zum Beispiel im Bereich der Migrationspolitik. Hätte es Rot-Grün nicht so lange gegeben, wäre ein so offener Empfang der Geflüchteten, wie er 2015 in München passiert ist, nicht möglich gewesen. Auch das NS-Dokumentationszentrum und das Eine-Welt-Haus sind solche Spuren. Auch haben wir die Weichen für eine neue, liberale Obdachlosenpolitik gestellt und viele Sozialprojekte auf den Weg gebracht.
Benker: "Der Autoverkehr muss aus der Innenstadt"
Was ist aus Ihrem damaligen Parteiprogramm heute noch relevant?
Unser Programm war eine Folge von monatelangen, teils schrecklichen Debatten und durchwachten Nächten. Entstanden ist ein Programm, das ein überexaktes Bild davon vorgelegt hat, wie wir uns ein München der Zukunft vorstellen. Doch wir sind über die Jahre hinweg konsequent unseren Themen treu geblieben. Das macht auch eine Stärke der Grünen aus. So ist fast alles aus dem Programm noch heute für unsere Politik relevant. Das reicht vom Verkehr über den Wohnungsbau bis hin zum Kampf gegen rechts und für ein bunteres München.
Welche konkreten Grünen-Ziele von damals sind bereits erreicht?
Da fällt mir als erstes unser Müllkonzept ein. Als wir angefangen haben, gab es noch keine Mülltrennung in München. Mit unserem damaligen Konzept zur Müllreduzierung haben wir wirklich etwas geschafft. Nämlich, dass ein zweites Müllkraftwerk verhindert wurde.
Und wo muss es endlich, nach 40 Jahren, mal vorangehen?
Der Autoverkehr muss endlich aus der Innenstadt verdrängt werden. Ein erster Schritt war hier die Fraunhoferstraße, in der jetzt 120 Parkplätze für Radspuren weichen. Das zeigt, in welchem Maße unsere Grünen-Vorschläge die Stadtpolitik beeinflussen.
"München war schon immer reich genug für Klimaschutz"
Doch den Grünen werden oft Elitedebatten vorgeworfen…
Das halte ich für eine vollkommen verkürzte Sicht. Wir wissen: Klimaschutz müssen sich alle leisten können. Und: München war schon immer reich genug – am Geld hat es nie gelegen, wenn der Klimaschutz nicht vorankam.
Wenn Sie selbstkritisch zurückdenken: Was hätten die Grünen besser machen können?
Insgesamt hätten wir noch mehr Biss und Zähne im Stadtrat zeigen können. Da waren die Zähne der SPD manchmal größer.

Und dann kam die GroKo. Hat München durch Rot-Schwarz Rückschläge erlebt?
Durchaus. Vor allem im Bereich der Sicherheitspolitik, aber auch was den Verkehr betrifft. Hier hat die GroKo zu lange geschlafen. Da denke ich zum Beispiel an den Ausbau des ÖPNV, etwa die Tram-Westtangente.
2018 gab es in München Massenproteste gegen das neue Polizeiaufgabengesetz, für den Klimaschutz gehen vor allem junge Münchner regelmäßig auf die Straße. Sie haben selbst in den 80ern an Hausbesetzungen und Sitzungsstreiks teilgenommen. Warum halten Sie es für so wichtig, politischen Forderungen durch solche Aktionen Nachdruck zu verleihen?
Es ist ein sehr schönes Signal, dass viele Münchner sie sich wieder aktiv einmischen, statt bloß zuzuschauen. Einige wichtige Themen sind noch immer nicht Teil der Agenda der altgediegenen Parteien. Und die reagieren oft nur auf Druck. Demos und Streiks sind da nach wie vor ein gutes Mittel.
Benker: "Sind nicht nur die nette Wohlfühlpartei"
Mit manchen Themen wie der autofreien Altstadt oder dem Klimaschutz macht man sich aber auch keine Freunde, oder?
Tatsächlich sind wir Grünen auch in München nicht selten die Überbringer schlechter Nachrichten. Wir sind nicht nur die nette Wohlfühlpartei. Wenn es um Klimaschutz, Gesundheit und Tierwohl geht, müssen die Menschen auch selbst etwas tun. Und sobald man Menschen in ihrer Freiheit beschneidet, fühlen sie sich angegriffen. Dabei probieren wir Grünen immer, auch einfache Lösungen zu zeigen, die jeder umsetzen kann. Und wir bauen dabei nicht auf Druck, sondern auf Freiwilligkeit.
Warum sind die Münchner jetzt offener dafür, sich mit diesen "unangenehmeren" Themen wie dem Klimawandel zu beschäftigen?
2018 war auch in München wieder ein bullenheißer Sommer. Der Klimawandel ist einfach vor der Haustür angekommen.
Eine Grüne als OB? "München ist bereit"
Ist München deshalb bereit für eine grüne Oberbürgermeisterin?
Ja, ganz eindeutig ist die Stadt bereit dafür.
Was kann Katrin Habenschaden, was Dieter Reiter nicht kann?
Sie kann ein Zukunftsprojekt vermitteln und auch durchsetzen. Katrin Habenschaden verbindet Ökologie mit Urbanität. Und genau das braucht München jetzt, um voranzukommen.
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