Schüler in Schwabing: "Rettet unseren Freund!"

München - Die Sechstklässler sind voll bei der Sache. Alle haben den Finger gehoben, einige schnipsen. Jeder will etwas sagen. Ein Bild, von dem Lehrer träumen.
Doch an diesem Nachmittag geht es an der Schwabinger Ricarda-Huch-Realschule nicht um Geometrie oder Grammatik – sondern um das Leben eines Mitschülers: Noah S. (12) hat Blutkrebs, nur eine Stammzellspende kann ihn retten.
Am Samstag findet auf dem Marienplatz eine Typisierungsaktion statt, bei der ein passender Spender gefunden werden soll.
Noahs Klassenkameraden wollen möglichst viele Menschen zum Mitmachen bewegen. „Helft Noah – Bitte!“ haben sie in großen Buchstaben auf die Tafel geschrieben.
„Noah liebt Fußball. Er ist ein Spitzen-Torwart, aber am liebsten spielt er im Sturm“, sagt Jasin (12). „Tischtennis mag er auch“, sagt Lolita (12), „Und er kann super schmettern“, ergänzt Aleyna (12). „Er kann gut Witze erzählen und lustige neue erfinden“, sagt Kilian, der den kranken Buben seit der Grundschule kennt. Der Elfjährige besucht seinen Freund so oft es geht. „Noah hat jetzt Schläuche am Körper und ein Kästchen an der Brust (ein Katheter, d. Red.)“, erzählt er traurig.
Im Raum wird es still. Dann findet die zwölfjährige Sarah die Sprache wieder: „Wir wollen, dass er weiterlebt – er hat doch sein ganzes Leben noch vor sich.“ Und Roya (12) fügt hinzu: „Wir möchten, dass er wiederkommt.“
Momentan ist ein Schulbesuch unmöglich. Noahs Immunsystem ist zu schwach. „Jede Infektion, jeder Unfall könnte lebensbedrohlich sein“, sagt Hans Knabe, Vorstand der Stiftung „Aktion Knochenmarkspende Bayern“ (AKB).
Kurz vor Weihnachten wird bei Noah extremer Vitaminmangel festgestellt. Die Ursache ist zunächst unklar. „Wir haben tausende Untersuchungen machen lassen“, erzählt Noahs Mutter Rosalia S. (44). Dem Buben geht es stetig schlechter. „Er hatte Kopfschmerzen, sein Bauch tat weh und er wurde immer schwächer.“
Sein Blutbild verändert sich dramatisch: Der Hämoglobin-Gehalt sinkt auf 60 Gramm pro Liter, normal sind 150. Weiße Blutkörperchen sind nur noch 1200 je Mikroliter nachweisbar – bei einem gesunden Kind sind es mindestens 5000.
Besonders drastisch bricht die Thrombozyten-Zahl ein: Normal sind rund 300 000 Blutplättchen pro Mikroliter. „Bei Noah liegt der Wert manchmal nahe Null“, sagt seine Mutter.
Erst Ende Februar erfährt die alleinerziehende Sachbearbeiterin, was ihrem Sohn fehlt: Er leidet am Myelodysplastischen Syndrom, einer Funktionsstörung des Knochenmarks, einer Vorstufe von Leukämie. Die Ärzte, die ihr die schlechte Nachricht überbringen, sagen: „Es gibt nur eine Lösung – einen Spender.“
Bis der gefunden ist, braucht Noah jede Woche eine Blutkonserve und alle drei Tage frische Thrombozyten.
Eine Bekannte der Familie nimmt Kontakt zur „Aktion Knochenmarkspende“ auf. Die Gautinger Stiftung verfügt über eine Datei mit 270 000 potenziellen Spendern aus Bayern. Außerdem haben die Experten über ein internationales Netzwerk Zugriff auf 30 Millionen weitere Datensätze. Doch ein passender Kandidat für Noah ist nicht dabei – deshalb die Typisierungsaktion (siehe unten).
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Noahs Mitschüler, seine Lehrer und der Direktor sind wild entschlossen, bei der Suche nach dem Lebensretter zu helfen. Das Kollegium hat Plakate an andere Schulen geschickt, auf denen zur Typisierung aufgerufen wird. Beim Tag der offenen Tür war die Aktion Thema. Kilian, Jasin, Lolita und die anderen verteilen Flyer, die zur Teilnahme auffordern.
Die Sechstklässler selbst sind noch zu jung, um sich testen zu lassen. Man muss volljährig sein – wie Alessandra und Natalie aus der Zehnten.
Die beiden 18-Jährigen werden sich am Samstag Blut abnehmen und es untersuchen lassen. „Klar fragt man sich erst: Was mache ich, wenn’s dann wirklich passt?“, sagt Alessandra. „Aber dann denkt man sich: Im schlimmsten Fall habe ich ein bisschen Schmerzen – aber dafür habe ich jemandem das Leben gerettet. Und dafür nehme ich das gern in Kauf.“
Die Typisierungsaktion findet am Samstag, 9. Mai, von 11 bis 16 Uhr statt. Die Anmeldung erfolgt auf dem Marienplatz, die Blutabnahme im Prunkhof des Rathauses.
Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage der Stiftung "Aktion Knochenmarkspende Bayern".