Rettung nach Unfall: Je moderner das Auto, desto mehr Gefahren?

München - Der Aufprall war so heftig, dass der BMW-SUV von außen nur noch schwer als solcher zu erkennen war. Einzig die schiere Masse des neuen X7 war für die Retter zu ahnen.
Erna M. war mit dem riesigen Auto ihres Mannes auf einer kleinen Landstraße südlich von München verunglückt. Es war nass und die Münchnerin schlicht zu schnell unterwegs. Die Freiwillige Feuerwehr des Ortes war zwar schnell vor Ort, doch die Helfer konnten nicht sofort mit der Rettung beginnen. Es war das erste Mal, dass sie einen BMW diesen Typs vor sich hatten, bis ans Dach vollgestopft mit Elektronik. Sensoren, Airbag-Gasgeneratoren, Steuergeräte, hochfeste Strukturen, eventuell auch Hochvolt-Batterien: Wird da der Rettungsspreizer an der falschen Stelle angesetzt, kann das im schlimmsten Fall auch für die Retter böse Folgen haben.

Wie M. erging es auch Walter P. Der pensionierte Ingenieur war Anfang des Jahres mit seinem Tesla Model X verunglückt, auch bei ihm startete die lokale Feuerwehr nicht sofort nach Ankunft mit den Schneidearbeiten. "Die mussten sich erst informieren, ob und wo es etwaige gefährliche Stellen gibt", so P. zur AZ. Heute kann er das nachvollziehen, damals verstand er nicht, warum ihm nicht sofort geholfen wurden.

Das Rettungsdatenblatt haben die wenigsten Fahrer dabei
Was die freiwilligen Feuerwehrler in beiden Fällen nämlich nicht vor Ort fanden, war das Rettungsdatenblatt. Dieses zeigt an, wo im Auto was verbaut ist. Erst, als sie ihrer Leitstelle das Modell des verunfallten Autos mitteilten, konnte diese helfen: Keine Gefahr beim Ansetzen der Rettungsgeräte an den bekannten Stellen, das Prozedere konnte starten. Beide Münchner wurden aus ihren SUV befreit und mit schweren Verletzungen in eine Klinik gebracht.

Ist die Rettung aus modernen Autos für die Feuerwehr ein Problem? Keineswegs, sagt Michael Gaertner, der bei der Berufsfeuerwehr München für die Ausbildung der Einsatzkräfte in der technischen Rettung zuständig ist."Wir üben regelmäßig, auch an neuesten Modellen. Sämtliche Herausforderungen und Lösungen werden genau protokolliert und das Wissen geteilt", schildert der 39-Jährige. Aber natürlich kann es manchmal vorkommen, "dass gerade Feuerwehren mit geringeren Einsatzzahlen noch nicht sofort alle neuen Modelle und ihre Spezifika kennen", so Gaertner. So auch im Fall von Erna M. und Walter P. Aber auch die Freiwilligen Feuerwehren seien hervorragend geschult und bilden sich regelmäßig fort.

Die Vertreter der Feuerwehren in ganz Deutschland tauschen sich zudem regelmäßig mit der Industrie aus, auch und gerade im Hinblick auf sicherheitsrelevante Neuerungen. "Wir wissen also, was Stand der Technik ist und was die Autohersteller planen", erklärt Gaertner, der für die Münchner Berufsfeuerwehr in diesem Gremium sitzt. Dort wird zum Beispiel über versenkte Türgriffe diskutiert oder über die Problemstellung von Sitzen, die sich im Notfall nicht mehr per Hand verstellen lassen. Oft sind es die Komfort-Ausstattungen, die zwar angenehm für den Fahrer sind, für die Retter aber im Zweifel hinderlich.
Leitungen, Einbauten, Antrieb: Retter müssen Spezifika wissen
Zudem arbeite man derzeit daran, dass die Feuerwehren schon bei Alarmierung das Rettungskartenblatt des verunfallten Automodells digital zugeschickt bekommen. "Das würde jegliche Zweifel schnell beseitigen und den eingesetzten Kollegen vor Ort helfen", sagt Gaertner. Eine flächendeckende Ausstattung der Feuerwehren mit derlei digitaler Technik sei aber noch nicht gegeben - eine Frage des Geldes und des politischen Willens.
Vor allem bei Hybrid- und E-Antrieben ist es wichtig zu wissen, wo elektronische Leitungen verlaufen, Steuergeräte sitzen oder Deaktivierungsmöglichkeiten bestehen, um die Autos gefahrlos "abzuschalten", erklärt Gaertner. "Dann können wir die Patienten so gefahrlos und schonend wie möglich befreien".
Das kann mitunter noch herausfordernd sein, gerade bei sehr modernen oder besonders ausgerüsteten Autos. Die grundlegenden Rettungstechniken mit den Geräten der Feuerwehr führen bisher auch ohne digitale Unterstützung zum Erfolg, aber unter erschwerten Bedingungen. "Wir mussten aber noch nie einen Patienten samt der Karosserie in die Notaufnahme fahren", versichert Gaertner augenzwinkernd, "und das wird auch so bleiben".
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