Reptilien-Auffangstation in der Krise: Stromsparen ohne Lurchi
München - Was weiß ein Gecko von der Energiepreiskrise? Nicht viel. Zu spüren bekommt er sie trotzdem.
Ein Gecko in Deutschland braucht nämlich Strom zum Leben. Heizung, grelles Licht, hochwattige Scheinwerfer. So wie die meisten Reptilien. Weil aber immer mehr Münchner sich den Strom für diese Bedürfnisse inzwischen nicht mehr leisten können, klingelt in der Reptilien-Auffangstation seit Wochen das Telefon Sturm.
"Am Anfang war das noch eher ein vorsichtiges Vorfühlen, so nach dem Motto, wir ziehen demnächst wahrscheinlich um, könnten Sie die Tiere dann nehmen?", erzählt Stationsleiter Markus Baur. "Inzwischen sagen die Leute ganz offen, sie können sich die Tiere nicht mehr leisten und möchten sie abgeben."
Reptilien-Auffangstation bereits überfüllt
Aber Markus Baur kann den Leuten häufig auch nicht helfen. Denn die Auffangstation ist bereits überfüllt. In manchen Räumen, erzählt Baur, stapeln sich die Terrarien bereits bis an die Decke. "Wenn es um einen kleinen Gecko geht, dann ist das nicht so schlimm, den kriegen wir schon irgendwie unter", sagt er. "Aber gerade bei größeren Tieren wie Schlangen müssen wir 99 Prozent der Anfragen absagen."
Markus Baur sitzt in seinem kleinen Büro im Münchner Univiertel, um ihn herum stehen Terrarien voller Schildkröten. Baur ist 55 und liebt seinen Job. Aber in den letzten Wochen ist es zunehmend schwierig geworden. "Man muss sich ja überlegen, was passiert mit den Tieren, wenn wir den Haltern sagen, dass wir sie auch nicht nehmen können?", sagt er. Viele würden versuchen, die Tiere zu verkaufen, natürlich. Die Preise für Reptilien befinden sich im freien Fall. Aber was, wenn niemand das Tier kaufen möchte?

"Es ist zu befürchten, dass viele dann anfangen, am Tier zu sparen und beispielsweise die Zeiten verkürzen, in denen das Licht angeschaltet ist", sagt Baur. Tierquälerei sei das. "Oder die Menschen setzen die Tiere auf die Straße."
Seit einiger Zeit verzeichnet die Station beispielsweise einen auffälligen Anstieg an Schildkröten-Findlingen. "Die Leute romantisieren das oft, nach dem Motto, ich entlasse das Tier in die Freiheit", sagt Baur. "Aber diese Freiheit ist leider mit dem Sterben verbunden."
Pythonschlange kommentarlos vor Tierheim abgestellt
Und nicht nur Schildkröten werden inzwischen immer häufiger einfach auf die Straße gesetzt: Aktuell beherbergt die Münchner Auffangstation unter anderem eine mehr als drei Meter lange Pythonschlange, die vor einigen Tagen kommentarlos vor einem Tierheim in Oberfranken abgestellt wurde.
"Da stand dann plötzlich eine große Styroporbox vor der Tür. Eine Pflegerin hat die aufgemacht, gesehen, dass da eine sehr große Schlange drinliegt und mich angerufen", erzählt Baur. "Und ich: Ohje, mach bloß den Deckel wieder zu!". Jetzt wohnt der Python in der Münchner Reptilien-Auffangstation und Baur rät allen Besuchern zu respektvollem Abstand.

Das Telefon klingelt. Eine Frau ist in der Leitung, sie hat eine Schildkröte in der Isar gefunden. Ob die Station jemanden vorbeischicken könne? "Das geht leider nicht", sagt Baur. "Wenn Sie an die Schildkröte rankommen, bringen Sie sie doch vorbei." Ansonsten könne er leider nicht helfen.
Genug Mitarbeiter, um gefundene Tiere abholen zu können, hatte die Station noch nie und jetzt ist sie am Rande ihrer Kapazitäten. Der Platzmangel. Die Energiepreise. "Die Kosten für unseren Strom erhöhen sich ja auch", sagt Baur. "Und bislang sind wir noch bei allen Entlastungspaketen vergessen worden."
Die aktuelle Situation, sagt Baur, sei für viele Tiere eine Katastrophe. Und nicht nur für sie. "Gerade in der Reptilienhaltung gibt es viele Menschen, deren gesamte Freizeit sich um ihre Tiere dreht", sagt Baur. "Wenn sie die abgeben müssen, sind sie verzweifelt."
Er wünscht sich mehr Unterstützung von der Regierung. Denn: "So wie jetzt kann es auf jeden Fall nicht weitergehen."