Rente reicht nicht: Immer mehr Münchner beziehen "Alters-Hartz-IV"
München - Abstiegsängste sind für jeden Menschen furchtbar, unabhängig vom Alter. Bei Senioren aber haben sie eine besondere Dramatik. Denn mehr zu arbeiten, sich einen neuen Job zu suchen – diese Optionen gibt es in den meisten Fällen nicht (mehr).
In München sind Abstiegsängste besonders verbreitet: 40 Prozent der Münchner über 65 gaben 2016 bei einer Befragung der Stadt an, der Aussage "Ich habe Angst, sozial abzurutschen" zuzustimmen. Und: Münchens Alte haben auch besonders viel Grund zu dieser Sorge. Nach offiziellen Zahlen aus dem kürzlich veröffentlichten Armutsbericht der Stadt leben 22,2 Prozent der Münchner Senioren mit einem hohen Armutsrisiko – bundesweit sind es "nur" 14,6 Prozent. "Mit niedrigem Einkommen lässt sich in München mit seinen hohen Lebenshaltungskosten und Mieten nur schlecht leben", sagte Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) kürzlich. Und das gilt besonders für viele Rentner.
Am Mittwoch veröffentlichte die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) dramatische Zahlen des Statistischen Landesamtes. Demnach hat sich die Zahl der Rentner, die in München mit Hartz 4 aufstocken, innerhalb der vergangenen zehn Jahre verdoppelt. 19 942 Bezieher über 65 Jahren gibt es jetzt in München. Im Armutsbericht der Stadt heißt es: "Nach Einschätzung von Experten wird das Altersrisiko in Zukunft deutlich zunehmen." Prognosen für München würden das verdeutlichen.
Sozialreferentin Schiwy verweist darauf, dass die Stadt wenig gegen Altersarmut tun könne – außer Betroffene etwa mit kostenloser Altenhilfe im Alltag zu unterstützen. Die Gewerkschaft NGG nimmt die neuen Schock-Zahlen auch nicht zum Anlass, die Stadt München zu attackieren. NGG-München-Geschäftsführer Mustafa Öz spricht von einem "Weckruf" für die Bundespolitik und fordert einen Kurswechsel in der Rentenpolitik. "Das Rentenniveau – also der Anteil der späteren Rente am Netto-Verdienst – muss unbedingt stabilisiert werden", sagt Öz. Die Bundesregierung gehe von einem weiteren Absinken des Rentenniveaus aus. Nimmt man die ständig weiter steigenden Mieten hinzu, sind all das ziemlich schlechte Aussichten für die Münchner Senioren.
Öz: "Rentenniveau muss stabilisiert werden"
Als armutsgefährdet gilt ein Rentner, dessen Netto-Einkommen unter 958 Euro monatlich liegt. Die NGG München plädiert für eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung. "Das Rentenniveau - also der Anteil der späteren Rente am Netto-Verdienst -– muss unbedingt stabilisiert werden. Im Moment sind es 48 Prozent. Langfristig müssen wir mindestens auf 50 Prozent kommen", sagt Öz.
Die Politik müsse dringend handeln: Denn die Bundesregierung gehe in ihrem aktuellen Rentenversicherungsbericht noch von einem Absinken des Rentenniveaus auf 44,6 Prozent bis zum Jahr 2031 aus. Wichtig sei aber auch die betriebliche Altersvorsorge, die die gesetzlichen Rente unterstütze. Öz: "Sie kann ein Schutz gegen Altersarmut sein - gerade wenn sie fest im Tarifvertrag verankert ist."
Immerhin gilt ab Januar: Betriebsrenten dürfen nicht mehr voll auf die Grundsicherung angerechnet werden. Ein neues Gesetz garantiert hier Freibeträge. "Damit haben etwa Beschäftigte im Fleischerhandwerk oder Bäckereien, zumal wenn sie in Teilzeit gearbeitet haben, im Ruhestand deutlich mehr in der Tasche - vorausgesetzt, der Betrieb ist an die Tarifverträge der NGG gebunden", sagt Öz.
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