Reiters Krisen-Wellenritt: Münchens Corona-Lage spitzt sich weiter zu

In München gibt es kaum noch Intensivbetten. Und in der Verwaltung läuft es auch nicht rund. Dem Christkindlmarkt droht am Dienstag die Absage.
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Dieter Reiter (SPD), Oberbürgermeister der Stadt München, bei einer Pressekonferenz zur aktuellen Corona-Situation. (Archivbild)
Dieter Reiter (SPD), Oberbürgermeister der Stadt München, bei einer Pressekonferenz zur aktuellen Corona-Situation. (Archivbild) © Sven Hoppe/dpa

München - Schon vor acht Wochen kam die Stadt nicht hinterher, zu erfassen, wie viele Menschen tatsächlich mit Corona infiziert waren. Am 15. September meldete das Gesundheitsreferat 501 Fälle nach, am Tag darauf waren es noch einmal 405 Nachmeldungen. Innerhalb eines Tages stieg die Inzidenz in München auf 88 - das war damals der höchste Stand seit Mai. Doch tatsächlich ging die Stadt von einer Inzidenz von 120 aus, wie das Gesundheitsreferat der AZ im September auf Nachfrage mitteilte. Auch den Grund für Verzögerungen nannte das Gesundheitsreferat: Es fehlten Mitarbeiter.

Inzidenz für München: Zahlen noch immer nicht aktuell

Acht Wochen später sind die Corona-Zahlen in München noch immer nicht aktuell. Am Montag meldete das Robert Koch-Institut eine Inzidenz von 337,7, doch tatsächlich liegt sie wohl mindestens doppelt so hoch. Genau weiß das allerdings niemand. Denn erst Ende der Woche sollen die Zahlen aktuell sein. Auf den Intensivstationen gibt es derweil kaum noch freie Betten.

Der Münchner OB Dieter Reiter (SDP) musste sich deshalb am Montag bei einer Diskussion des Münchner Presseclubs die Frage gefallen lassen, was da schief gelaufen ist. Hätten sich die Münchner möglicherweise anders verhalten, wenn sie gewusst hätten, wie ernst die Lage tatsächlich ist? Schließlich bestimmten Inzidenz-Werte zuvor monatelang das öffentliche Leben.

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Inzidenz für OB Dieter Reiter nicht das ausschlaggebende Kriterium

Eine Frage, die Reiter sichtlich nicht gefällt. "Ich habe von niemanden gehört, der München für die Insel der Seligen gehalten hätte", meint er. Dass in den Landkreisen rund um München die Zahlen viel höher lagen, habe jeder in den vergangenen vier Wochen mitbekommen.

Dass wohl nicht viele Menschen in Zeiten, in denen die Clubs und Bars wieder öffnen, Zahlen des Robert-Koch-Instituts miteinander vergleichen, sagt Reiter nicht. Er erwähnt auch nicht, dass es nicht erst seit vier Wochen, sondern schon seit mindestens zwei Monaten zu Pannen kam.

Reiter klingt, als habe die Stadt keine andere Möglichkeit gehabt: Ein paar Hundert städtische Mitarbeiter, die für das Contact-Tracing abgestellt wurden, seien im Sommer wieder zurück in ihre Referate geschickt worden. Damals seien die Zahlen so niedrig gewesen, dass manche nur einen Anruf am Tag beantwortet hätten, so Reiter. Hätte er sie vor den Telefonen sitzenlassen sollen?

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Die Inzidenzen seien für ihn ohnehin nicht das ausschlaggebende Kriterium, so Reiter. Er blicke auf andere Zahlen - nämlich auf die, die ihm die Krankenhäuser melden. Auch die sind dramatisch: Vor etwa einer Woche gab es in München noch 380 Intensivbetten. Als sich abzeichnete, dass diese bald alle voll sein würden, rief die bayerische Staatsregierung den sogenannten "K-Fall", also den Katastrophen-Fall, aus.

Damit wurde es in München möglich, dass auch nicht-städtische Kliniken mithelfen müssen: Seitdem gibt es in München 455 Intensivbetten. Ohne K-Fall, so Reiter, wären in München schon längst die Betten ausgegangen.

OB Reiter: "Es fehlt nicht an Betten oder Gerät, sondern am Personal"

Luft verschafft das Ganze aber kaum: 422 Intensivbetten sind schon wieder belegt. Davon sind 107 Corona-Patienten - und die brauchen eine besonders intensive Betreuung, so Reiter: "Ein Covid-Patient bindet vier Intensivpfleger."

Gleichzeitig werden die Krankenhausmitarbeiter in München knapp. Reiter betont: "Es fehlt nicht an Betten oder Gerät, sondern am Personal." Im Dezember bei den nächsten Tarifverhandlungen will Reiter etwas mehr Geld für sie herausholen. Für viele kommt das allerdings zu spät. Nach zwei Jahren Dauereinsatz während Corona haben einige ihren Job aufgegeben. "Geld ist nicht der einzige Faktor", sagt auch Reiter. Schließlich liege bereits in der Ausbildung die Abbruchquote bei über 30 Prozent.

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Wie sollen die nächsten Wochen also weitergehen? Müssen die Münchner ihre Geschenke wieder online bestellen und den Glühwein daheim auf dem Herd warm machen? "Ich weiß nicht, wie die nächsten Wochen weitergehen", gab Reiter zu. Dass es aber keine Einschränkungen mehr geben wird - etwa bei Kulturveranstaltungen -, bezweifle er.

Ob der Christkindlmarkt abgesagt wird, wolle er gemeinsam mit dem Krisenstab Dienstagvormittag entscheiden. "Das Herz und der Verstand streiten da gerade noch in meiner Brust", so Reiter. Davor will er aber mit den Oberbürgermeistern aus Nürnberg und Augsburg sprechen. Denn aus Reiters Sicht sei es sinnvoll, eine einheitliche Lösung für Bayern zu finden.

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23 Kommentare
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  • TheBMW am 17.11.2021 07:19 Uhr / Bewertung:

    Reiter: "Nach zwei Jahren Dauereinsatz während Corona haben einige ihren Job aufgegeben."

    Er hingegen hat seinen nicht einmal angetreten bzw. auch nur annähernd erfüllt

  • AllesBesser am 16.11.2021 11:14 Uhr / Bewertung:

    Nur wie wollen Sie die Einhaltung von 2G auf einem Christkindlmarkt gewährleisten? Das würde nur gehen, wenn man das Geländer umzäunt und die Ein- und Ausgänge überwacht. Das wird bei den meisten Weihnachtsmärkten gar nicht gehen, und wäre ausserdem viel zu teuer.

  • AlexMuc am 16.11.2021 09:56 Uhr / Bewertung:

    Reiter: "Nach zwei Jahren Dauereinsatz während Corona haben einige ihren Job aufgegeben." - Schlimm, dass jetzt Corona als Ausrede für alles genommen wird. Pflegekräfte sind schon seit mehr als zwei Jahrzehnten am Limit und geben auf. Habe kürzlich einen Bericht über ein Privat-Krankenhaus gesehen: Nachtschicht - eine Pflegefachkraft ist für 27 Patienten zuständig. Das Schlimmste für diese Pflegefachkraft war der psychische Stress: "Du musst immer damit rechnen, dass mehrere Notlampen gleichzeitig angehen... kurzfristig bekommst du dann so schnell keine helfenden Hände." - Das durchschnittliche Monatsgehalt einer Pflegefachkraft: 1820 € netto. In München machst du damit keine großen Sprünge! Das eigentlich Perfide daran ist, dass diese Krankenhäuser "Gelddruckmaschinen" sind, die jährlich Millionen-Gewinne einfahren! Und was hört man aus der Politik: "Der Markt wird es schon richten..."

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