Reiter vs. Schmid: Das OB-Duell

München - Als Verlierer wollte sich gestern noch niemand fühlen. SPD-OB-Kandidat Dieter Reiter war „rundherum zufrieden“. Und der CSU-Herausforderer Josef Schmid sprach in einer Tour vom „Aufwind“, den er für seine Partei sehe. Bloß nichts verloren geben, bevor es verloren ist.
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Im vorläufigen Ergebnis lagen die beiden nicht mal vier Prozentpunkte auseinander. Reiter holte 40,5 Prozent der Stimmen, Schmid 36,6. Ein zumindest scheinbar knappes Rennen also, das nun erst in zwei Wochen bei der Stichwahl seine Fortsetzung findet – übrigens die erste Stichwahl in München seit 30 Jahren. Doch selbst wenn formal noch nichts entschieden ist: Es sieht danach aus, dass München auch in Zukunft von einem SPD-Oberbürgermeister regiert wird. Kaum vorstellbar, dass die grünen Wähler zum Königsmacher für Josef Schmid werden – nach 24 Jahren rot-grüner Rathaus-Ehe.
„Wir wollen die ökologisch-soziale Koalition fortsetzen“, gab Grünen-Chef Sebastian Weisenburger als Marschroute aus. Und die grüne OB-Kandidatin Sabine Nallinger, der mehrfach schwarz-grüne Ambitionen nachgesagt worden waren, betonte: „Ich habe immer gesagt: Meine Wunschkoalition ist rot-grün/grün-rot.“ Falls es dafür im Stadtrat nicht reichen sollte, wolle sie nach weiteren kleinen Partnern Ausschau halten. Am späten Abend sah es klar danach aus, dass dies auch nötig sein wird.
Ob Sabine Nallinger den grünen Wählern nun für Teil zwei der Wahl am 30. März nahelegt, ihr Kreuz bei Dieter Reiter zu machen, entscheidet eine Stadtversammlung der Grünen am Donnerstagabend. Alles andere als ein „Ja zu Dieter Reiter“ wäre eine Riesen-Überraschung. Zumal dieser bereits in Aussicht gestellt hat, dass er zu der Veranstaltung kommen wird. Bei diesen Vorzeichen ist es nicht weiter verwunderlich, was Petra Reiter, die Frau des SPD-Kandidaten, von dem Moment berichtet, als ihr Mann die erste Prognose sah: „Er hat gegrinst von einem Ohr bis zum anderen.“ Wohingegen Natalie Schmid schildert, der Ausdruck ihres Mannes sei in diesem Moment „sachlich“ gewesen.
Im Foyer des Kreisverwaltungsreferats wurde der CSUler jedoch nicht müde zu betonen, es fänden sich auch viele Wertkonservative bei den Grünen. „Ich bin bester Dinge.“ Dass in der Ära nach Bürgerkönig Ude keine Traum-Mehrheiten von 66,8 Prozent mehr drin sind – so viel hatte Ude 2008 geholt – war zu erwarten. Aber warum ist es keinem der Kandidaten gelungen, wenigstens eine knappe Mehrheit der Münchner von sich zu überzeugen? Mehrere Faktoren spielten dabei eine Rolle. Allen voran das gute Ergebnis der grünen OB-Kandidatin Sabine Nallinger. Hatte ihr Vorgänger Hep Monatzeder vor sechs Jahren gerade mal 3,4 Prozent der Stimmen geholt und damit seinem Freund Christian Ude nicht allzu weh getan, fuhr Nallinger auf Anhieb 14,7 Prozent der Stimmen ein.
Sie hatte von vornherein bei den Grünen-Wählern darum geworben, dass diese nicht aus rein taktischen Gründen den SPD-Kandidaten wählen - nur um CSU-Mann Schmid zu verhindern. Auch wenn sie selbst kleinlaut zugab, früher ebenfalls aus strategischen Gründen den SPD-Mann Ude angekreuzt zu haben. Jetzt aber beschwor sie alle, die „Sensation“ möglich zu machen und ihr in die Stichwahl zu helfen. Das brachte ihr nun einen Achtungserfolg ein, torpedierte aber auch eine Mehrheit für Reiter.
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Zum anderen sorgte allein die Vielzahl an OB-Bewerbern kleiner Parteien dafür, dass eindeutige Mehrheiten ausblieben. Zwölf Kandidaten strebten den OB-Sessel an. Zum Vergleich: Bei der OB-Wahl 2008 waren es bloß sechs, also gerade mal halb so viele, gewesen. Insgesamt brachten es die Kleinen (ohne die Grünen) nach einem vorläufigen Trend auf 8,3 Prozent der Stimmen. Die meisten davon fuhr FDP-Mann Michael Mattar ein (1,4 Prozent).
CSU-Kandidat Josef Schmid bekam – zumindest nach dem Zwischenstand der Auszählung, den es gestern für die Stadtratswahl gab – sogar ein wenig mehr Stimmen als seine Partei. Daraus ließe sich schließen, dass seine betont liberale Grundhaltung auch Wähler ansprach, die sonst nicht schwarz abstimmen. Gleichzeitig hatte er im Wahlkampf aber vor allem mit einem Gegner zu kämpfen – und der saß in der Staatskanzlei. Der GBW-Verkauf, drohende Zuschusskürzungen, die Debatte um Lehrerstellen und Homosexuelle – all das wollte nicht so recht zum großstädtischen und weltoffenen Image des OB-Kandidaten passen.
Auch Dieter Reiter rang im Wahlkampf vor allem mit seiner eigenen Partei und rot-grünen Baustellen. Altlasten wie die von der Insolvenz bedrohten Stadtkliniken, die peinlichen Leerstände in städtischen Wohnungen oder sanierungsbedürftige Schulen waren nicht unbedingt das, was man sich an Wahlkampfhilfe aus den eigenen Reihen wünscht. Dass er dennoch als Wahlslogan „Damit München München bleibt“ auswählte, dürfte all diejenigen vor den Kopf gestoßen haben, die sich bei manchen Themen Veränderungen oder auch nur frischen Wind wünschen.
Klar ist seit gestern außerdem: Auf eine reine Ude-Dankbarkeitswahl, die dessen Wunsch-Kronprinzen auf Anhieb ins Amt hievte, hatten die Münchner keine Lust.
Und noch ein letzter Punkt: Der lahme Wahlkampf hat mit Sicherheit auch dazu geführt, dass es bei der OB-Wahl jetzt in die zweite Runde geht. Die Kandidaten mieden alles Krawallige und tauschten ihre teils immer ähnlicher erscheinenden Positionen bei so vielen Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen aus, dass sie sich schon seit Wochen wechselseitig hätten vertreten können.
Bei Münchens zentralen Fragen gab es ohnehin keine großen Unterschiede zwischen ihnen: Mehr Bauen und mehr Kinderbetreuung wollten alle. Das spiegelt sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung wieder: Gerade mal 42 Prozent der Abstimmungsberechtigten bemühten sich an die Wahlurne – und damit nochmal weniger als vor sechs Jahren.
Nun also werden die Münchner nochmal gebeten, ihren Wählerwillen kundzutun.
In den zwei Wochen bis dahin könnten Sabine Nallinger und Dieter Reiter schon mal einen kleinen, rein sprachlichen Schritt aufeinander zugehen. Bisher sind die beiden nämlich noch beim „Sie“, obwohl Nallinger und CSU-Mann Schmid sich munter duzen. Nallinger kündigte aber schon an, auch mit Reiter zum Du übergehen zu wollen: „Ich denke, das werden wir bald ändern.“
Ein klares rot-grünes Signal gab’s im Kreisverwaltungsreferat gestern Abend schon zu sehen: Nallinger umarmte Dieter Reiter bei der Gratulation, ihrem Duz-Kollegen Schmid schüttelte sie dagegen nur die Hand.