Putsch in München: Wie Hitler versucht hat die Regierung zu übernehmen — und scheiterte
München — Hans Harald von Selchow ist 1923 Adjutant des Chefs der Heeresleitung der Reichswehr, Hans von Seeckt. Am 8. November notiert er in sein Tagebuch: "Abends 11.30 Uhr ruft mich Seeckt an, ich möchte mitkommen ins Reichskanzlerpalais. Kabinettssitzung. Unterwegs erzählt er, daß in München nun doch Revolution. Hitler habe im Verein mit Ludendorff die Reichsregierung für abgesetzt erklärt und sich selbst an die Spitze des Reiches gebracht. Machtergreifung auf illegalem Wege." Die Reichsregierung hatte zuvor in einem Telegramm die Regierungen der Länder über den Putsch in München informiert. "Reichspräsident und Reichsregierung, die entschlossen sind, diesen hochverräterischen Versuch mit aller Energie niederzuschlagen, ersuchen die Länderregierungen, die Reichsregierung hierbei mit allen Kräften zu unterstützen", hieß es darin.
Vor Hitler-Putsch: Bayern im Konflikt mit dem Reich
Bayern war schon seit geraumer Zeit im Konflikt mit dem Reich. Die Affäre um Otto von Lossow hatte die Differenzen auf die Spitze getrieben, und Bayern war auch nicht das einzige Land, das sich renitent gegenüber Berlin zeigte: In Sachsen und Thüringen regierte die SPD mit den Kommunisten. Diese träumten von einer Revolution wie 1917 in Russland und stellten bewaffnete Einheiten auf.
Dass die SPD nicht bereit war, sich gegen die Kommunisten zu stellen, hatte schließlich zur Reichsexekution Sachsens geführt, die Regierung war von Reichspräsident Friedrich Ebert abgesetzt worden. Die Koalition im Reich, an der die SPD beteiligt war, war darüber zerbrochen.
Hitler nannte sich selbst zum politischen Führer
Was das mit Bayern zu tun hatte? Das Triumvirat aus Generalstaatskommissar Gustav von Kahr, dem bayerischen Landeskommandanten Otto von Lossow und Hans von Seißer, Chef des bayerischen Landespolizeiamtes, war angesichts der Tatsache, dass die Reichswehr sich nicht gegen die Regierung stellen würde - worauf sie gesetzt hatten — von seinen Putschplänen abgerückt. Anders als Hitler.
Er wollte die Gelegenheit einer Versammlung von Kahr, Lossow, Seißer und dem bayerischen Ministerpräsidenten Eugen von Knilling am Abend des 8. November im Münchner Bürgerbräukeller für einen Staatsstreich nutzen. Mit Schüssen an die Decke kaperte er die Versammlung und drängte die Männer des Triumvirats gemeinsam mit dem Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff zur Teilnahme am Putsch und Übernahme von Regierungsämtern — mit ihm selbst als politischem Führer.
Peter Tauber, Historiker und ehemaliger CDU-Generalsekretär, beschäftigt sich für seine Habilitation an der Universität der Bundeswehr München mit dem Hitlerputsch und beschreibt die Szene und das Handeln von Lossow im Gespräch mit der AZ so: "Während des Putsches, als Hitler theatralisch den Saal betritt und in die Decke schießt, raunte er Seißer und Kahr angeblich zu, man solle 'Komödie spielen', als Hitler sie ins Nebenzimmer nötigt."
Anwesende Minister der Staatsregierung wurden verhaftet und in die Villa des Verlegers Julius Friedrich Lehmann gebracht, schreibt der Historiker Walter Ziegler. Auch zu antisemitischen Übergriffen sei es gekommen.
Bayerischer Landeskommandant Otto von Lossow stellte sich gegen den Putsch
Doch wegen "operettenhafter Umsetzung", wie es der Historiker Sven Felix Kellerhoff im Gespräch mit der AZ nennt, sowie mangelnder Unterstützung von Reichswehr und Landespolizei ist Hitlers Vorhaben zum Scheitern verurteilt. Einzig das Reichswehrministerium konnte unter Führung des späteren SA-Chefs Ernst Röhm besetzt werden. Das Triumvirat, im Vertrauen auf dessen Ehrenwort, beim Putsch mitzumachen, wurde freigelassen und widerrief umgehend seine Beteiligung am Staatsstreich.
"Als Lossow den Bürgerbräukeller verlässt, sich dem Zugriff Hitlers entziehen kann und mit den bayerischen Generälen zusammenkommt, da erweckt er den Eindruck, er sei außer sich", beschreibt Tauber die Vorgänge. ", Der Hund hat mich mit dem Revolver bedroht', soll er gesagt haben. Doch die Tatsache, dass er sich nun gegen Hitler und den Putsch stellt, hat sicher auch damit zu tun, dass ihm klar sein musste, wie aussichtslos das Vorhaben Hitlers und Ludendorffs bereits in seinem Anfang war."
20 Menschen starben bei Demonstrationszug durch die Münchner Innenstadt
Doch noch gaben die Verschwörer nicht auf: Am 9. November zog vormittags ein Demonstrationszug durch die Münchner Innenstadt. Am Odeonsplatz kam es zum Schusswechsel zwischen Putschisten und Polizei: Vier Polizisten, ein Unbeteiligter und 15 Angehörige von Kampfbünden starben.
"Es finden im Augenblick gewaltige Massendemonstrationen für Hitler statt, die aber infolge stärksten Aufgebots von Reichswehr und Polizei bisher noch zu keinen Zwischenfällen geführt haben", schrieb ein Vertreter der Reichsregierung in München, Gustaf Braun von Stumm, der als Verfechter von Luftangriffen auf Großbritannien im Zweiten Weltkrieg berüchtigt wird, nach Berlin.

Laut Akten der Reichskanzlei teilte der bayerische Gesandte in Berlin, Konrad von Preger, am 10. November "10 Uhr vormittags mit, daß die verfassungsmäßige bayerische Regierung wieder fungiere und keinen Moment zu fungieren aufgehört habe. 4 Minister seien am Abend des Putsches verhaftet und verschleppt worden, darunter der Ministerpräsident von Knilling. Während ihrer tatsächlichen Behinderung sei die Regierung durch die anderen Minister ausgeübt worden, die sich nach Regensburg begeben hatten, um von dort den Widerstand gegen die Putschisten zu organisieren. Die festgenommenen Minister seien gestern befreit worden".
"Der Hitlerputsch und seine Folgen"
In einem Telegramm meldete Stumm, "durch List des bayerischen Generalstaatskommissars" sei der Putsch gescheitert. Am 11. November wurde der an den Staffelsee geflohene Hitler gefasst. Die NSDAP wurde im ganzen Reich verboten.
Wie in München an den Jahrestag des Hitler-Putsches erinnert wird
Das NS-Dokuzentrum bietet am Freitag. 10. November um 17 Uhr einen 90-minütigen Rundgang zum Thema. Unter dem Titel "Der Hitlerputsch und seine Folgen" werden "Ereignisse, Strukturen und Mechanismen, die die Weimarer Demokratie zum Scheitern brachten", beleuchtet. Die Teilnahme ist kostenlos, Treffpunkt ist das Foyer. Die Staatlichen Archive Bayerns beteiligen sich seit Jahresbeginn mit einer monatlichen Vortragsreihe am Gedenken.
Am 16. November um 19.30 Uhr geht es in drei Kurzreferaten mit Podiumsgespräch um das Thema "Der Hitlerputsch und die Münchner Religionsgemeinschaften". Veranstaltungsort ist die Evangelische Stadtakademie, Herzog-Wilhelm-Str. 24. Referenten sind unter anderem Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokumentationszentrums, und Björn Mensing, Pfarrer der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau.