Prozess wegen Mordes: Verwechselt und erschossen

Josef Enzesberger ist tot, weil sich ein Mörder irrte. Der Anschlag vor 18 Jahren galt eigentlich einem Polizisten. Der trifft nun vor Gericht den Mann, der wohl ihn töten wollte – und die Namen vertauschte.
von  Christian Pfaffinger
Ziel des Mordanschlags: der damalige Herrschinger Polizeichef Max Enzbrunner.
Ziel des Mordanschlags: der damalige Herrschinger Polizeichef Max Enzbrunner. © Christian Pfaffinger

München - Nach über 18 Jahren sieht er ihn wieder, den Mann, der ihn damals ermorden wollte und dann einen anderen erschossen hat. Weil er verwechselt wurde, wegen seines Namens und seines Bartes, lebt Max Enzbrunner. Er kann seine Pension genießen, seinen Leidenschaften nachgehen, dem Jagen, dem Sportschießen und seinem Garten. Doch ein anderer Mann ist tot: Josef Enzesberger. Sein mutmaßlicher Mörder Klaus G. muss sich nun vor dem Landgericht München verantworten.

Dienstag, 9.30 Uhr, Prozessauftakt: Der 65-jährige Klaus G. wird im Rollstuhl in den Gerichtssaal im Justizzentrum an der Nymphenburger Straße geschoben. Er winkt, als Fotoapparate klicken und TV-Kameras auf ihn gerichtet werden. Immer wieder nickt er langsam oder schüttelt ebenso bedächtig den Kopf, während der Staatsanwalt die Anklage vorliest. Demnach war der Münchner Klaus G. am 4. Januar 1996 in der Klosterkirche in Andechs. Dort soll er einem Mann, der fotografiert hat, die Kamera aus der Hand geschlagen haben. Dann habe er der Polizei in Herrsching gemeldet, dass Mitglieder der Russenmafia Bilder im Altarraum des Klosters machen würden.

Klaus G. war damals schon jahrelang in nervenärztlicher Behandlung. Seit 1982 leidet er an einer schizoaffektiven Psychose. Während er den Polizisten von den vermeintlichen Mafiosi berichtet, kommt er zu dem Glauben, dass der örtliche Polizeichef Max Enzbrunner selbst Mitglied der Mafia ist und ihn umbringen lassen würde, weil er zu viel wisse.

Also fasst er laut Anklage den Entschluss, Enzbrunner zu töten. Vier Tage später fährt Klaus G. wieder nach Herrsching. Es ist ein nasser, schneematschiger Wintertag. Klaus G. geht zu einer Telefonzelle, sucht im Telefonbuch nach Max Enzbrunner – und verwechselt ihn mit Josef Enzesberger. Ein mörderischer Irrtum. Gegen 9.45 Uhr steht er auf dem Anwesen des Bibliothekars, der gerade das Haus verlässt. Er hält ihn für den Polizeichef, offenbar, weil auch der einen Oberlippenbart trägt. Eine Nachbarin, die gerade im Waschkeller ist, hört noch ein freundliches „Guten Morgen Herr Enzesberger“.

Dann fallen fünf Schüsse. Einer trifft Josef Enzesberger in den Bauch, danach fällt er wohl und wendet sich vom Täter ab, denn die nächsten Schüsse treffen ihn am Arm und im Rücken. Eine Kugel durchschlägt seine Lunge und das Herz. Dieser Schuss ist tödlich: Der 52-jährige Josef Enzesberger hat keine Chance, er verblutet.

Polizeichef Max Enzbrunner ist einer der ersten am Tatort. „Es waren keine Spuren zu sehen, die sofortige Fahndung nach dem Täter war erfolglos.“ Der Polizist ahnt nicht, dass der Mordanschlag eigentlich ihm gegolten hatte. Der Täter bleibt unentdeckt. 18 Jahre vergehen — bis ein Patient in der Klinik in Haar einem Psychiater die Tat gesteht. Es ist Klaus G.

Vor Gericht will er erst mal nichts sagen. Aus einem Brief, den er geschrieben hat, geht aber hervor: Grundsätzlich bestreitet er die Tat nicht, lediglich Details seien anders gewesen, etwa, dass er nur von der Mafia und nicht von der Russenmafia gesprochen habe.

Erika Enzesberger (61), die Witwe des Getöteten, ist beim Prozessauftakt dabei. Sie kämpft immer wieder mit den Tränen, wenn es um Details der Ermordung ihres Mannes geht. Das Paar lebte zu zweit in Herrsching, ihr Sohn war bei einem Fahrradunfall ums Leben gekommen. Erika Enzesberger ist nun Nebenklägerin. Ihr Anwalt sagt: „Für sie ist es gut, dass nun aufgeklärt wird, wer es war und warum.“ In den vergangenen Jahren habe es viele Spekulationen und Gerüchte gegeben, auch die Witwe selbst wurde verdächtigt.

Zum mutmaßlichen Mörder Klaus G. sagt der Anwalt: „Er hat eine sehr problematische Persönlichkeit. Ich gehe davon aus, dass er die Psychiatrie nicht wieder verlassen wird.“ Davon geht auch Max Enzbrunner aus, der ehemalige Polizeichef von Herrsching und heutige Pensionär: „Ich bin überzeugt, dass er in Haar bleibt.“ Er sei nicht geschockt gewesen, als er erfahren hat, dass eigentlich er das Opfer sein hätte sollen. „Das ist so viele Jahre her, das mindert die Emotionen.“

Und auch die Erinnerung. Es gibt noch viele Unklarheiten in dem Mordfall, vor allem dazu, was vor der Tat passierte. An drei weiteren Verhandlungstagen soll das geklärt werden. Das Urteil soll am 28. Oktober fallen.

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