Physios in Corona-Krise: Wir wurden komplett vergessen

Ergotherapeuten wurden von der Politik in der Krise bisher alleine gelassen. Jetzt will Jens Spahn helfen. Es wird höchste Zeit, wie der Fall der Münchnerin Jasmin Kirchesch zeigt.
von  Marie Heßlinger
Gesundheitsminister Jens Spahn sieht erste Erfolge bei der Eindämmung des Coronavirus.
Gesundheitsminister Jens Spahn sieht erste Erfolge bei der Eindämmung des Coronavirus. © Marijan Murat/dpa/dpa

München - Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Podologen und Logopäden gelten als systemrelevant. Ihre Praxen müssen geöffnet sein. Doch die Patienten bleiben aus: Die einen wissen nicht, dass sie kommen dürfen. Die anderen fürchten sich vor einer Covid-19-Ansteckung. "Da kommt eine Welle auf uns zu", warnt Jasmin Kirchesch, "die Patienten werden uns noch mehr brauchen als vorher." Die Ergotherapeutin hat eine Praxis im Lehel.

Schlaganfallpatienten sind auf die Behandlung angewiesen

"Ohne uns werden die Patienten nicht gesund, wenn sie eine Handoperation gehabt haben oder einen Schlaganfall", sagt die 33-Jährige. "Ein gebrochener Arm, eine gebrochene Schulter, der Arm droht zu versteifen", zählt sie auf, "oder die Kinder, was man da geschafft hat, dass sie sich in der Schule konzentrieren können!" Falle eine Therapie über längere Zeit aus, müsse man danach wieder von vorn damit beginnen – und ob es die Therapeuten dann noch gibt, ist ungewiss.

Kircheschs Umsatz ist seit Beginn der Coronakrise um 80 Prozent eingebrochen. So wie ihr geht es auch den anderen Heilmittelerbringern in Deutschland, wie der Spitzenheilmittelverband mitteilt. Patienten kommen nicht in die Praxen, und externe Einrichtungen wie Kindergärten und Pflegeheime, die Kircheschs Mitarbeiterinnen besuchen, haben geschlossen.

Physiotherapie per Video

Per Videoanruf betreuen Kirchesch und ihre acht Mitarbeiterinnen viele Patienten seit Beginn der Corona-Krise. Wer weiterhin in die Praxis kommt, trifft auf neue Hygieneregeln: Kircheschs Team arbeitet in zwei Schichten, um sich nicht zu nahe zu kommen; das Wartezimmer wurde aufgelöst. Kirchesch setzte alles daran, um Handschuhe und Atemmasken für ihre Mitarbeiterinnen und Patienten zu bekommen.

"Ich bin bis nach Passau gefahren, 300 Kilometer, habe dort Schutzausrüstung gekauft", sagt die studierte Gesundheitsmanagerin. Daran, dass ihnen Schutzkleidung zustünde, habe die Politik nicht gedacht. Kirchesch beklagt: "Wenn eine Therapeutin für eine Behandlung 60 Euro brutto bekommt und sie zahlt schon alleine für eine Maske zwölf Euro aus eigener Kasse..." Sie fühlt sich von der Politik vernachlässigt.

Die 33-Jährige hat für ihre Praxis Soforthilfe beantragt. Doch sie sagt: "Soforthilfe, das ist eine nette Idee, aber bei einer Praxis mit zehn Mitarbeitern reicht die Soforthilfe noch nicht mal für die Miete."

Soforthilfe reicht nicht mal für die Miete

Kirchesch hat ihre Praxis vor sechs Jahren am Sendlinger Tor eröffnet. Damals war sie alleine. Mittlerweile ist sie mit der Praxis an die Oettingenstraße umgezogen, in Krankenhausnähe. Sie hat acht Angestellte, bald sind es neun, und arbeitet auf rund 300 Quadratmetern. Das Team ist international und betreut auch Patienten in und aus dem Ausland. "Wir haben alles mit so viel Mühe und Fleiß aufgebaut", klagt die Ergotherapeutin. "Meine Mitarbeiter zählen auf mich", sagt sie. Sie selbst hat eine neunjährige Tochter.

Um seinen rund 75.000 Mitgliedern in Deutschland zu helfen, schlägt der Spitzenheilmittelverband unter anderem vor, dass Krankenkassen für die ausgefallenen Stunden aufkommen. "Wir zahlen ja genug Versicherungsbeiträge", sagt Kirchesch dazu. "Es sollte doch möglich sein, dass in 20 Jahren auch mal was für uns getan wird." Dennoch hofft sie eher auf Unterstützung auf Bundes- oder Landesebene. Immerhin: Am Osterwochenende gab es erste positive Signale aus Berlin – Jens Spahn äußerte sich zu möglichen Hilfen auch für Ergotherapeuten.

Wie Jens Spahn jetzt Ergotherapeuten und Zahnärzten helfen will

Mit dem "Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz" erhalten Krankenhäuser schon jetzt einen finanziellen Ausgleich für wegen der Coronakrise verschobene Behandlungen. Kirchesch sagt: "Wir gehören dazu, wir gehören komplett dazu, und wurden vergessen." Immerhin: Jetzt gibt es ein bisserl Hoffnung aus Berlin.

Gesundheitsminister Jens Spahn sieht erste Erfolge bei der Eindämmung des Coronavirus.
Gesundheitsminister Jens Spahn sieht erste Erfolge bei der Eindämmung des Coronavirus. © Marijan Murat/dpa/dpa

In der Corona-Krise will das Bundesgesundheitsministerium offenbar nun doch auch Therapeuten, Zahnärzte und Reha-Einrichtungen für Eltern-Kind-Kuren finanziell unterstützen. Grund seien einbrechende Patientenzahlen, berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland unter Berufung auf eine neue Verordnung des Ministeriums. Diese soll diese Woche in Kraft treten und bereits beschlossene Unterstützungsmaßnahmen für etwa Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte ergänzen.

"Viele Patientinnen und Patienten sind derzeit verständlicherweise zurückhaltend, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Therapeuten und Zahnärzten brechen daher die Einnahmen weg", sagte Minister Jens Spahn (CDU) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Heilmittelerbringer dürfen auf Zuschuss hoffen

Auch Einrichtungen für Eltern-Kind-Kuren bräuchten Unterstützung. "Um gut funktionierende Strukturen zu erhalten, werden wir Verluste abfedern und Liquidität sichern." Offenbar ist geplant, dass sogenannte Heilmittelerbringer wie zum Beispiel Physiotherapeuten, Logopäden oder Ergotherapeuten 40 Prozent der Vergütung aus dem vierten Quartal 2019 als Einmalzuschuss erhalten. Die von Jens Spahn geplanten Hilfen haben demnach einen Umfang von rund 730 Millionen Euro.

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