Warum wir uns dieses Jahr auf eine stinknormale Wiesn freuen können

Nach pandemischen Pausen sowie einer Rest-Corona-Wiesn mit Albtraumwetter: Heuer wird alles ganz anders – sogar das Wetter soll mitspielen.
von  Thomas Müller
Hoch hinaus – ins Wiesn-Glück! Am 16. September startet endlich wieder das Oktoberfest.
Hoch hinaus – ins Wiesn-Glück! Am 16. September startet endlich wieder das Oktoberfest. © imago/Volker Preußer

Machen wir uns nichts vor. In puncto Wiesn war's in den letzten Jahren ja eher unerfreulich. Erst Corona-Pause (2020 und 2021), 2022 dann lange Hängepartie mit Corona-Restrisiko, Kriegs-Ängsten, Inflations-Nöten und als Krönung einem historisch beispiellosen Wetter-Desaster. Es konnte also nur besser werden.

Und in der Tat – viel deutet darauf hin, dass uns ab Samstag wieder eine richtige, irgendwie stinknormale Wiesn erwartet, auf die wir uns – ja, liebe Wiesn-Skeptiker, notorische Wiesn-Hasser und geübte Wiesn-Abstinenzler – wieder mal so richtig (vor-)freuen können. Und das sogar ganze 18 Tage lang. Warum?

Der Münchner braucht die Wiesn als fixes Ritual

Sicher auch, weil die zweijährige Party-Pause noch allzu frisch in trüber Erinnerung ist. Ganz ehrlich: Natürlich hat das volksfestliche Pausieren gutgetan. Einfach mal innehalten, in sich gehen, erstarrte Rituale brechen, sich fragen: Wollen wir das? Brauchen wir das wirklich? Fragen, die spätestens am Samstag, Punkt 12 Uhr, eindeutig beantwortet sind: Ja, München braucht das. Der Münchner braucht dieses fixe Ritual kurz nach den Sommerferien (und kurz vor dem ersten Advent).

Indem wir nämlich gemeinsam etwas tun, uns alle gleich einkleiden, jedes Jahr wieder, als ewiges Ritual, stellen wir so Gemeinschaft her. Und der Münchner wird sich im Ritual der Tatsache bewusst, Teil von etwas ganz Besonderem zu sein, um das uns viele beneiden. Und noch mehr von ganz, ganz weit her eigens anreisen. Da hat's doch der Münchner (Tram, U-Bahn, Bus) oder der Umlandler (S-Bahn) viel, viel leichter.

Planen die Klima-Kleber einen Protest zum Wiesn-Anstich?

Damit freilich alles passt, muss vor allem eines passen: das Wetter. Und das soll am Start-Wochenende geradezu strahlend werden – so wie's ausschaut, saufen heuer nicht mal die Trachtler am Sonntag ab. Ein Novum. Freuen wir uns einfach drauf!

Spannend wird sein, was die Klima-Aktivisten heuer auf der Pfanne haben: Werden sie sich auf der Wirtsstraße festkleben und den Wirte-Einzug öffentlichkeitswirksam ausbremsen? Wird dann der ein oder andere Wiesn-Besucher oder Bierkutscher die Contenance verlieren? Man darf gespannt sein. Die Bilder wären jedenfalls eine Premiere und würden weltweit höchste Beachtung finden.

Wobei das Fest sich ja wirklich alle Mühe gibt, von Jahr zu Jahr klimakonformer zu werden. Vegetarische und vegane Gerichte sind überall Standard. Und im ersten Großzelt wird sogar Bio-Hendl kredenzt – 20,50 Euro kostet's im Paulaner. Ein Pilotprojekt. Floppt's, war's eine einmalige Angelegenheit. Die Klimaneutralität streben die Wirte ja erst für 2026 bis 2028 an. Und wollen dafür, als Kompensationsmaßnahme, einen eigenen Wiesn-Wald im Münchner Umland aufforsten. Und was die Wärmepumpen-Wiesn oder das Wasserstoff-Hendl anbelangt – es ist noch viel Luft nach oben. Und führt zu der Erkenntnis, dass Festwirt sein irgendwie auch schon mal einfacher war.

Das Oktoberfest war, ist und bleibt teuer

Was dieses Jahr weniger wehtut: die altbekannte Wiesn-Inflation. Zur Erinnerung: Bei 152 Prozent lag sie (von der HVB mittels Wiesnbesucherpreisindex ermittelt) von 1980 bis 2010 – verglichen mit 76 Prozent bei der "normalen" Inflationsrate in dem Zeitraum. Und heuer? Ist ein kleines Wunder geschehen. Der Anstieg der traditionell untergärig-oberpreisigen Wiesnbierpreise (12,60 Euro bis 14,90 Euro) liegt exakt auf Höhe der aktuellen Inflationsrate (vom Stand August). Punktlandung nennt man das wohl. Was da dieses Jahr wohl schiefgelaufen ist? Und das, während die Bierpreise im Handel derweil doppelt so stark (+12,2 Prozent) gestiegen sind? Unterm Strich bleibt festzuhalten: Die Wiesn wird dadurch freilich nicht billiger – teuer war, ist und bleibt sie. Sie ist aber nicht so ausgschamt teuer geworden, wie eigentlich zu befürchten war. Also fast schon wieder ein bisserl günstig.

Nachtrag: Beim eigenen Nachwuchs, inzwischen Anfang der 20er, hat sich das Preiswunder noch nicht recht rumgesprochen. Die erste Verhandlungsrunde bezüglich eines Wiesn-Zuschusses erbrachte noch keine Einigung und wurde erst mal ergebnislos vertagt. Übrigens auch so ein Ritual.

Unterschank im Wiesn-Krug: "Ein glasklarer Beschiss – aber eben kein Nachteil"

Um aber doch noch ein wenig Wasser ins schale Bier zu schütten: Der vom KVR ermittelte Unterschank hatte sich letztes Jahr auf ungute 31 Prozent der Stichproben aufsummiert – bei vorpandemischen gerade mal 18 Prozent (2019) und 14 Prozent (2018). Wobei auch hier das Positive überwiegt. Wer mag schon eine gut und voll eingeschenkte Maß? Echte Kenner halten sich eh lieber – und dafür gerne öfter – an eine "Schaumige". Gut ein Drittel weniger drin, dafür immer schön frisch zum vollen Preis. So gesehen: zwar ein glasklarer Beschiss – aber eben kein Nachteil. Im Gegenteil.

Knapp 15 Euro kostet die Wiesn-Maß heuer in einigen Zelten.
Knapp 15 Euro kostet die Wiesn-Maß heuer in einigen Zelten. © Felix Hörhager/dpa

Ein klarer Vorteil: Die neuen Online-Portale vieler, leider nicht aller, Wirte, auf denen nicht genutzte Reservierungen zum Originalpreis getauscht oder verkauft – und eben nicht für horrende Preise auf dem Schwarzmarkt angeboten (und gekauft) werden. Ja, früher war auch nicht alles besser. Was beweist: Auch die Wiesn verzeichnet zivilisatorische Fortschritte.

Die Wiesn 2023 ist die rechnerisch längste und auch frühestmögliche

Was es heuer auch endlich mal wieder gibt: echte Neuheiten auf der Wiesn – darunter, neben zwei durchaus aufwändigen "Belustigungsgeschäften" auch einen echten Magenverrenker: "Mr. Gravity". Hier rotieren zehn Gondeln für je zwei Personen auf einer Scheibe, die ebenfalls rotiert, das Ganze bis zu 20 Meter hoch und bis zu 100 km/h schnell. Vielleicht eher was für Harttgesottene mit einem ganz starken Magen.

Und noch ein paar Eckpunkte: 99 Jahre dreht sich die Krinoline bereits auf der Wiesn, seit 50 Jahren gibt's den Käfer auf der Wiesn (in welchem Zelt waren die Promis eigentlich davor?), seit 20 Jahren die Aktion Sichere Wiesn. Und der Schichtl? Der haut heuer wieder seine nicht mehr so arg taufrischen, aber immer noch sehr vergnüglichen Sprüche raus ("Des is da Ringo – dem ham seine Eltern oiwei a Schnitzel um an Hois ghängt, damit wenigstens da Hund mit eahm spuit") – und feiert heuer seine 15.000. Köpfung. Wieder so ein schönes Ritual.

Also – es gibt viele Gründe, warum wir uns gerade heuer auf eine ganz normale Wiesn freuen können. Mit 18 Tagen übrigens die rechnerisch längste und (beginnend am 16. September) auch frühestmögliche. Und damit, zumindest rein wettertheoretisch, am wenigsten herbstliche Wiesn. Irgendwie wieder ganz stinknormal. Und doch so besonders: Zurück im Wiesn-Glück!

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.