Vier heikle Faktoren: Warum die Wiesn 2022 wackelt

Wird das Oktoberfest wirklich stattfinden? Verantwortliche und Insider blicken mit Sorge auf andere Feste, die Kosten, das Personal und eine juristische Gefahr.
von  Michael Schilling
An der Wiesn wird schon - im kleinen Kreis - gefeiert. Ob und wann in den großen Zelten, die bereits errichtet sind, die große Sause steigt, ist aktuell noch unklar.
An der Wiesn wird schon - im kleinen Kreis - gefeiert. Ob und wann in den großen Zelten, die bereits errichtet sind, die große Sause steigt, ist aktuell noch unklar. © imago/Wolfgang Maria Weber

München - Natürlich herrscht Vorfreude aufs Oktoberfest. Bloß ist das ersehnte Wiesn-Gfui heuer ein eher mulmiges. Das hat sich schon Ende April eingestellt, als OB Dieter Reiter (SPD) verkündete, die Wiesn werde ohne Auflagen stattfinden; er tat das mit Trauermiene und vielen Hinweisen auf den Ukraine-Krieg, Corona und weitere Bedenken.

Inzwischen stehen - gut sechs Wochen vorm Anstich am 17. September - die großen Bierzelte längst auf der Theresienwiese. Vier Faktoren dämpfen dabei die von den Wirten ostentativ zur Schau getragene Zuversicht.

Das Gäubodenfest als Testlauf

Mehrere bayerische Volksfeste haben zuletzt offenbar zu Corona-Masseninfektionen geführt. Nach der Erlanger Bergkirchweih im Juni hat sich die Inzidenz in der Stadt laut RKI mehr als verzehnfacht, im Landkreis Erlangen-Höchstadt etwa verdreifacht. Eine Fest-Folge? "Der Verdacht liegt nahe", sagt Achim Sing, Sprecher des Bayerischen Städtetages. Er habe Sorge, dass Volksfeste zu Spreader-Events würden. Ähnliche Beispiele gab es in Wunsiedel in Oberfranken sowie bei Zelt- und Feuerwehrfesten in Niederbayern.

Dort beginnt am 12. August das Gäubodenfest in Straubing, nach der Wiesn das zweitgrößte Volksfest in Bayern (gut eine Million Besucher). Vielen Politikern und Beschickern gilt das Gäubodenfest als Testlauf fürs Oktoberfest. Manche fürchten gar, das elftägige Fest könnte vorzeitig abgebrochen werden.

Mehrere niederbayerische Unternehmer verzichten heuer auf ihre obligatorischen Firmen-Events in den großen Zelten - auch aus Sorge, ihre Belegschaft könne danach ausfallen und der Betrieb stillstehen.

Münchner Festwirte kontern: Die Hygiene-Standards auf der Wiesn seien höher als etwa in Erlangen ("Bei uns werden alle Krüge heiß gespült", sagt einer.) Zudem hätten die riesigen Münchner Bierburgen "viel mehr Luftvolumen".

Ein möglicher Nachteil: Die Wiesn findet erst nach den Sommerferien statt. Die vielen Urlaubsrückkehrer haben die Virus-Verbreitung im vergangenen Jahr deutlich erhöht. Und heuer sind die Zahlen schon vor den Ferien um ein Vielfaches höher.

Sorge um das Sicherheitspersonal

Rund 3.000 Security-Kräfte würde die Stadt für Einlass- und Taschenkontrollen benötigen, rechnet ein Wiesn-Kenner vor, dazu brauche jedes große Zelt 150 bis 200 Sicherheitskräfte. Die würden oft aus anderen Teilen Deutschlands herbeigeholt - und in Gemeinschaftsunterkünften einquartiert: Dies erhöhe die Gefahr eines Corona-Massenausbruchs.

Festwirt Michael Käfer sagte der AZ: "Im Sicherheitsbereich haben wir mehr Leute eingestellt, damit wir reagieren können, wenn jemand ausfällt."

Auch bei den Bedienungen sehen sich die Wirte nach Personal-Reserven um. Insider haben im Hinterkopf, dass der BR ein Festival auf Schloss Kaltenberg im Juni vorzeitig abbrechen musste, weil kurzfristig Sicherheitspersonal fehlte.

Die Gefahr einer Klage in den USA

Es ist eine juristische Spitzfindigkeit - aber eine interessante, die ein Münchner Anwalt in den Raum gestellt hat: Sollte sich ein US-Wiesnbesucher mit Covid infizieren und schwere Schäden davontragen, könnte er in den USA eine millionenschwere Schadensersatzklage gegen den Wirt bzw. die Brauerei des Zeltes anstrengen, in dem er sich infiziert hat. Voraussetzung sei, dass das Bier der betreffenden Brauerei auch in den USA vertrieben werde (was auf fast alle zutrifft).

Einer, der auch Wiesnwirte in Rechtsfragen berät, hält so ein Szenario zwar für denkbar, sagt aber: "Wenn die Regierung die Wiesn freigibt, wird man einzelne Wirte kaum in Regress nehmen können."

Der Blick auf den entscheidenden Tag

Apropos Regress: Noch bis zum 13. September, also vier Tage vorm Anstich, kann die Stadt die Wiesn absagen, ohne dass Wirte und Schausteller Regress fordern können (AZ berichtete exklusiv). OB Reiter hat versichert, der Steuerzahler werde im Falle einer kurzfristigen Absage nicht belastet.

Auch das sehen die Beschicker mit Sorge. Deren Ärger: Sie allein trügen das Risiko für ein Fest mit einem Wirtschaftswert von 1,3 Milliarden Euro. Profitieren würden u. a. ja auch Taxler, Hoteliers, Einzelhändler, die Staatskasse usw. Wenn OB Reiter sage, die Stadt komme den Beschickern entgegen, weil sie die Umsatzpacht heuer nicht erhöhe, sei das daher "zynisch".

Falls die Wiesn ausfalle, hat Wirt Michael Käfer unlängst vorgerechnet, würde er auf Kosten zwischen vier und sechs Millionen Euro sitzenbleiben.

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