Oktoberfest-Attentat: Spurensuche im Libanon

"Umfassend und gründlich": Zum Anschlag auf die Wiesn ermittelt die Bundesanwaltschaft jetzt im Nahen Osten
Fast 37 Jahre nach dem Oktoberfest-Attentat suchen deutsche Behörden nach Spuren des Verbrechens – 2500 Kilometer Luftlinie von der Theresienwiese entfernt, im Libanon. Frauke Köhler, Sprecherin der Bundesanwaltschaft, wollte wie immer bei laufenden Ermittlungen keine Details nennen. Aber sie bestätigte, dass der sogenannte "Libanon-Komplex" in die Ermittlungen einbezogen worden sei. "Ja, wir befassen uns damit und tun das umfassend, gründlich und ohne Zielvorgaben", erklärte sie.
So unspektakulär die Aussage der Behördensprecherin auf den ersten Blick klingen mag, so viel Brisanz steckt in diesem Kapitel, das vor Gewalt, Folter und Tod strotzt, in die bizarre Welt militanter Neonazis und Rechtsextremisten führt, aber auch noch viele unbeantwortete Fragen enthält. Sind die Antworten, die vor über drei Jahrzehnten nicht gefunden wurden, die sich die Ermittler jetzt im neuen Anlauf aber erhoffen, der Schlüssel zur Wahrheit und die Erklärung dafür, was im blutgetränkten Herbst 1980 und im Jahr danach geschah?
Der "Libanon"-Komplex" besteht aus vielen Komponenten, eine davon ist Uwe Behrendt. Er ist ein Neonazi, Mitglied der berüchtigten rechtsextremistischen "Wehrsportgruppe Hoffmann", ein ergebener Getreuer seines selbst ernannten "Chefs", dessen Stellvertreter – und ein Doppelmörder. Die Behörden halten ihn für den Mörder des jüdischen Verlegers und Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, Shlomo Levin, und von dessen Lebensgefährtin. Beide wurden kurz vor Weihnachten 1980 in ihrem Haus in Erlangen erschossen.
Uwe Behrendt ermöglicht noch eine andere Perspektive. Er kann auch als Beispiel dafür herangezogen werden, warum Karl-Heinz Hoffmann noch heute, Jahrzehnte nach dem Oktoberfestanschlag und dem Doppelmord, mit den Taten in Verbindung gebracht wird, obwohl die Oktoberfest-Ermittlungen gegen ihn eingestellt wurden und die Mordanklage mit einem Freispruch endete. Für die zwielichtigen Effekte sorgt seine Nähe zu den Jongleuren des Todes.
Von Uwe Behrendt wurden Ende 1981 auf dem Gelände eines militärischen Ausbildungslagers im Libanon nur noch spärliche Überreste gefunden, sein Schädel und ein paar Knochenfragmente. Sie reichten aus, um ihn zu identifizieren und als wahrscheinliche Todesursache von Selbstmord auszugehen.
Die genauen Umstände seines Todes konnten durch die Untersuchungen der deutschen Behörden nicht mehr exakt rekonstruiert werden.
Aber der Jahre später stattfindende Prozess gegen Karl-Heinz Hoffmann, seine eigenen Aussagen und die von Gefolgsleuten lieferten tiefe Einblicke in das bizarre Lagerleben, mit dem die Hoffmann-Jünger auf Militanz getrimmt werden sollten.
Mitglieder der "Wehrsportgruppe Hoffmann" 1978 bei Nürnberg. F.: dpa
Das karge, in der Nähe von Beirut gelegene Militärgelände unter Kontrolle der PLO war nach dem Verbot der "Wehrsportgruppe" (WSG) in Deutschland die neue Heimat der Extremisten-Truppe geworden. Es war eine abenteuerliche Mischung, die hier den Krieg gegen den Staat üben wollte: überzeugte Neonazis, gewaltbereite Extremisten, Sadisten, Schläger, Hetzer, sogar ein Stasi-Spitzel machte mit, wie sich später herausstellte.
Auch Uwe Behrendt tauchte Ende Dezember 1980 dort auf. Karl-Heinz Hoffmann, wie er später in Vernehmungen aussagte, hatte selbst dafür gesorgt, dass sein Gefolgsmann dorthin untertauchen konnte. Nur wenige Tage vorher, in den späten Abendstunden des 19. Dezember, habe ihm Behrendt den Doppelmord gestanden. Der Rest sei Kameraden-Hilfe gewesen.
Zu der WSG-Niederlassung im Libanon gehörten aber auch Gefolgsleute von Hoffmann, die behaupteten, beim Bombenanschlag auf das Oktoberfest dabei gewesen zu sein. Die Bundesanwaltschaft, die auch damals die Ermittlungen führte, stufte die Aussagen jedoch als Gerede von Betrunkenen ein und kam am Ende zu dem Ergebnis, dass der Geologie-Student Gundolf Köhler (damals 22) zwar mit Hoffmanns "Wehrsportgruppe" in Verbindung stand, allerdings ein "Alleintäter" war.
Rechtsanwalt Werner Dietrich aus München, der Opfer des Bombenanschlags vertritt und die Akten wie kaum ein anderer kennt, hat seit vielen Jahren eine völlig andere Sichtweise: "Es gab Helfer, Hintermänner, Drahtzieher."
Diese Möglichkeit, die von den Behörden lange Zeit eher in der Schublade "Verschwörungstheorie" verortet wurde, zieht inzwischen auch die Bundesanwaltschaft in Betracht. Seit zweieinhalb Jahren laufen neue Ermittlungen unter diesem Vorzeichen.
Die "alkoholisierten", möglicherweise neu zu bewertenden Aussagen der Hoffmann-Männer und der fragwürdige Selbstmord von Doppelmörder Uwe Behrendt sind es nicht allein, die dem "Libanon-Komplex" die Brisanz einhauchen. Unbeantwortet ist bis heute auch die Frage, was aus Kai-Uwe Bergmann geworden ist, der auch den Treck in den Libanon unternahm.
Ein Teil der Antwort ist in einem Buch über das Leben von Odfried Hepp nachzulesen, einem Neonazi, Terroristen und Aussteiger, der sich im Lager im Libanon aufhielt, ein anderer Teil im Urteil gegen Karl-Heinz Hoffmann. Dieser wurde für ein ganzes Bündel an Straftaten – darunter Freiheitsberaubung, Körperverletzung und Nötigung – zu einer Gesamtstrafe von neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Dahinter verbirgt sich das Schicksal von Kai-Uwe Bergmann – und ein grausamer Gewaltakt.
Spätere Aussagen, auch die Buchveröffentlichung, schildern ein wochenlanges Martyrium, dem Bergmann, der als "Verräter" galt, durch seine "Kameraden" ausgesetzt gewesen sei: Getränkeentzug, Dauer-Fixierung, Schläge, Waterboarding, unsägliche andere Erniedrigungen.
Er sei nur noch eine zerschlagene Masse gewesen, beschreibt Hepp das Szenario und nennt die Namen der Folterknechte. Einer davon: Uwe Behrendt, der Doppelmörder.
Hoffmann wurde vom Landgericht Nürnberg dafür bestraft, dass er Kai-Uwe Bergmann im Lager festhalten ließ, ihn schlug und misshandelte. Das ganze Ausmaß der Torturen, beteuerte er, habe er nicht gekannt. Mit dem ganzen Ausmaß beschäftigt sich jetzt die Bundesanwaltschaft. Sie will auch wissen, was mit Kai-Uwe Bergmann tatsächlich geschah. Er war von einem Tag auf den anderen verschwunden.
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