Neben dem Fest: 35 Jahre nach dem Wiesn-Attentat
Das Oktoberfest ist in vollem Gang. Während Hunderttausende dort unbeschwert feiern, brüten Bundesanwaltschaft und Soko-Beamte über neuen Spuren: Das Wiesn-Attentat erschütterte vor 35 Jahren die Bundesrepublik. Seit neun Monaten wird wieder ermittelt.
München - Zehntausende Wiesnbesucher laufen täglich daran vorbei. Kaum jemand nimmt Notiz von der zerlöcherten halbrunden Stahlwand am Haupteingang des Oktoberfests. Die Wand und eine Stele mit den Namen der Opfer erinnert an den schwersten Anschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte. Am 26. September 1980 um 22.19 Uhr riss hier eine Bombe aus 1,39 Kilo TNT ein Dutzend friedliche Volksfestbesucher in den Tod, mehr als 200 wurden verletzt.
Auch der Attentäter Gundolf Köhler, ehemals Anhänger der Wehrsportgruppe Hoffmann, starb. Die Ermittler kamen damals schnell zu dem Ergebnis, er habe die Tat allein und aus privatem Frust begangen - und schlossen die Akten. Opfervertreter und eine Reihe von Politikern zweifelten das stets an. Mehrere Zeugen hatten etwa berichtet, Köhler sei nicht allein gewesen.
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Seit Dezember 2014 ermittelt die Bundesanwaltschaft neu. 20 Beamte der Soko "26. September" seien "auf Hochtouren" damit beschäftigt, heißt es beim Bayerischen Landeskriminalamt (LKA). Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete vergangene Woche von 236 neuen Spuren. Die Soko habe bereits 500 Akten abgearbeitet und mehr als 100 Zeugen vernommen. "Wir werden die Sache extrem genau aufarbeiten", verspricht ein LKA-Sprecher. Ein Ende der Ermittlungen ist nicht absehbar. "Wir sind zeitlich nicht unter Druck." Zum Jahreswechsel will die Bundesanwaltschaft ein erstes Zwischenresümee ziehen.
Rund um das Attentat ranken sich Ungereimtheiten, mysteriöse Vorkommnisse - vielleicht auch nur seltsame Zufälle: Ein rechtsradikaler Waffensammler, der sich in seiner Zelle erhängt. Eine abgerissene Hand, deren Verbleib nicht ganz sicher ist. Und amtlicherseits vernichtete Beweismittel.
Neben der Frage nach Tätern und deren Motiv wollen Angehörige, Opfervertreter und Politiker wissen: Haben die Ermittler damals - wie bei den NSU-Morden - neonazistische Hintergründe nicht ausreichend geprüft oder in diesem Fall sogar verschleiert? Von Vertuschungen spricht Opferanwalt Werner Dietrich. Er hatte die Ermittlungen mit seinem dritten Wiederaufnahmeantrag wieder ins Rollen gebracht. Nunmehr arbeite die Bundesanwaltschaft nach seinem Eindruck - anders als früher - "ergebnisoffen und gründlich", sagt Dietrich.
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Dennoch zweifeln manche, ob wirklich alles auf den Tisch kommt. Auf Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele teilte die Bundesregierung kürzlich mit, die Bundesanwaltschaft habe die bei der Stasiunterlagenbehörde lagernden Akten zu IMs im Umfeld des Attentats und der Wehrsportgruppe Hoffmann noch nicht "abschließend ausgewertet".
Mangels Auskunft über V-Leute seitens der Regierung haben Grüne und Linke im Bundestag im Mai beim Bundesverfassungsgericht geklagt. Unter anderem hatte die Bundesregierung eine Antwort darauf verweigert, ob der Waffensammler, der möglicherweise Sprengstoff für die Tat lieferte und einen Tag vor seiner Vernehmung erhängt in seiner Zelle gefunden wurde, V-Mann einer Sicherheitsbehörde war.
Auch Dietrich dringt darauf, dass alle Akten auf den Tisch kommen. "Wir wissen bisher nicht, ob die verschiedenen Ämter und Behörden auf Anforderung der Bundesanwaltschaft wirklich alles gegeben haben", sagt er. "Es wird darauf ankommen, dass auch Akten vorgelegt werden, die nicht unter den Oberbegriff Oktoberfestattentat oder 26. September, sondern mit anderen Bezügen vorhanden sind." Ein wichtiger Aspekt sei, wie konsequent die Bundesanwaltschaft hier nachhake.
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Zum 35. Jahrestag an diesem Samstag werden wie jedes Jahr Vertreter von Stadt, Angehörigen und Überlebende an dem Mahnmal am Haupteingang der Opfer gedenken. Auf der Wiesn werden dann bei schönem Wetter wieder an die 400 000 Besucher erwartet. Viele von ihnen werden sich wundern, warum im ordentlichen Deutschland auf der Wiesn Müllkörbe fehlen. Es ist eine Konsequenz aus dem Attentat vor 35 Jahren: Die Bombe detonierte in einem Abfalleimer.