Neue Tarifverhandlungen: Streiken die Münchner Lokführer an Weihnachten?

München - Fahrgäste in München müssen sich ab Mittwochabend (15. November) auf Streiks und erhebliche Einschränkungen im Bahnverkehr einstellen – und das möglicherweise auch über die Weihnachtsfeiertage. Seit vergangenem Donnerstag stecken Vertreter der Deutschen Bahn (DB) und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) in Tarifverhandlungen.
Deutsche Bahn: "Sind großen Schritt auf die GDL zugegangen"
In der ersten Verhandlungsrunde hatte die Bahn ein Angebot vorgelegt. Es beinhaltet eine elfprozentige Entgelterhöhung bei einer Laufzeit von 32 Monaten, teilte der Konzern mit. Das entspreche im Volumen dem Tarifabschluss des öffentlichen Dienstes des Bundes. Zudem stellte die Bahn eine steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie von 2.850 Euro in Aussicht.

"Mit einem derartigen Angebot gleich in der ersten Runde sind wir einen großen Schritt auf die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer zugegangen", ließ Personalvorstand Martin Seiler wissen. Jetzt zeige sich, ob die GDL wirklich an ernsthaften Verhandlungen interessiert sei. Die GDL unter ihrem Chef Claus Weselsky fordert mindestens 555 Euro mehr pro Monat für die Beschäftigten. Bei der Laufzeit will die Gewerkschaft zwölf Monate durchsetzen.

Doch zunächst wird wieder gestreikt: Von Mittwochabend (15.11.), 22 Uhr, bis Donnerstagabend (16.11.), 18 Uhr, kommt es bundesweit zu Streiks im Bahnverkehr. Es werden zahlreiche Ausfälle im Fern- und Nahverkehr erwartet. Auch die S-Bahn in München wird betroffen sein. Das Angebot werde stark reduziert, teilte die Bahn am Dienstagabend mit. Es wird auf einen Notfahrplan gesetzt.
GDL und Bahn: Nächste Verhandlungsrunde am 16. und 17. November
Die Verhandlungen werden auf Grundlage des DB-Angebots fortgesetzt und vier weitere Termine im Wochenrhythmus vereinbart. Die vier Verhandlungstermine sind 16./17. November (Berlin), 23./24. November (Berlin), 5./6. Dezember (Potsdam), 14./15. Dezember (Berlin). Ziel der DB ist es, mit diesem Fahrplan noch vor Weihnachten fertig zu werden, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens vom Nachmittag.
GDL will Arbeitszeit im Schichtdienst verkürzen: Für Bahn "nicht machbar"
Auf eine Kernforderung der Gewerkschaft ging die Bahn in ihrem Angebot allerdings nicht ein: Die GDL will die Arbeitszeit für Schichtarbeiter bei vollem Lohnausgleich von 38 auf 35 Wochenstunden verkürzen. Die Bahn lehnt das als "nicht machbar" ab. "An unserem klaren Nein zur Arbeitszeitverkürzung hat sich nichts geändert", erklärte Seiler. Und genau das ist laut Weselsky der Knackpunkt: "Ohne Arbeitszeitabsenkung wird es keine Tarifeinigung geben."
GDL lehnt "Weihnachtsfrieden" kategorisch ab
"Die DB müsste allein zehn Prozent mehr Mitarbeitende einstellen, um diese Lücken zu schließen", hieß es am Donnerstag bei der GDL. "Und das bei einem historisch engen Arbeitsmarkt."
Schon im Oktober hatte Weselsky betont, dass man sich nicht lange mit Warnstreiks aufhalten und stattdessen die Mitglieder zügig über unbefristete Streiks abstimmen lassen wolle: "Warum soll ich in irgendeiner Form nur ein kleines Tamtam veranstalten, wenn ich weiß, dass es auf die andere Seite keine Wirkung entfaltet?"
Die Weihnachtsfeiertage schließt Weselsky dabei für einen Arbeitskampf nicht aus. Die Bahn habe der GDL mit den Verhandlungsterminen auch einen "Weihnachtsfrieden" vorgeschlagen, sagte Weselsky. "Das haben wir abgelehnt, weil wir die Entwicklung nicht kennen und weil wir nicht wissen, wie viel Verhandlungen wir bis dahin machen."
Weselsky über Streik an Weihnachten: "Ich gehe davon aus, dass die Menschen Verständnis dafür haben"
Im Interview mit "RTL Direkt" sagte Weselsky am Mittwoch: "Der Streik ist nie vorprogrammiert im Sinne von 'wir müssen an Weihnachten streiken', sondern wir haben auch in der Vergangenheit bewiesen, dass wir das mit Augenmaß können. Nur leider ist es so: Unsere Streiks beinhalten immer die Auseinandersetzung auch gegenüber den Reisenden."
Weselsky baut bereits vor: "Ich gehe davon aus, dass die Menschen Verständnis dafür haben, dass diejenigen, die im Schichtsystem arbeiten, auch eine Stimme brauchen und eine Interessenvertretung." Zu Anfragen der AZ zur Wahrscheinlichkeit eines weihnachtlichen Worst-Case-Szenario in München respektive einem möglichen Umgang damit, beantworteten Deutsche Bahn und GDL-Bezirk Bayern nicht.
Andreas Barth, Sprecher der Regionalgruppe München des Fahrgastverbandes Pro Bahn erwartet "anstrengende Verhandlungen" und sieht "eine große Wahrscheinlichkeit", dass es zu Streiks in München und im Umland kommt.
Pro-Bahn-Sprecher Barth: Streik an Weihnachten trifft in erster Linie das Umland
"Die Vergangenheit hat ja gezeigt, wie es laufen kann. Schon der erste Streik soll weh tun, und da wird man sehen, wie hoch die Bereitschaft bei den Arbeitnehmern ist. Unser Wunsch ist, dass sich die Tarifpartner möglichst schnell annähern", sagte Barth der AZ.

Wenn es dann wie befürchtet über Weihnachten zu Streiks komme, sieht er München und das mit der S-Bahn erreichbare Umland "in einer luxuriösen Situation". In der Stadt könnten die Kunden im ÖPNV immer noch auf Tram, U-Bahn und Bus ausweichen, "weiter draußen ist man dann auf die Deutsche Bahn, auf Regionalzüge angewiesen, diese Menschen sind dann natürlich heftiger betroffen". Auch die Arbeit im Homeoffice sei in der Stadt deutlich mehr verbreitet.
Pro-Bahn-Vorsitzender Neuß: Keine Züge an Weihnachten wäre "extreme Belastung für sehr viele Menschen"
Der Pro Bahn-Verbandsvorsitzende Detlef Neuß sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Die GDL sollte sich hüten, Millionen Menschen das Weihnachts- und Silvesterfest durch Streiks zu verderben. Wenn zu den weihnachtlichen Familientreffen keine Züge fahren, wäre das eine extreme Belastung für sehr viele Menschen."
GDL ist die kleinere Bahngewerkschaft, einfacher macht das die Verhandlungen nicht
Gerade mal drei Monate ist es her, dass sich die Deutsche Bahn (DB) und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) nach zähen Verhandlungswochen und einer Schlichtung auf einen Tarifkompromiss einigten. Zwei Mal legte die EVG seinerzeit per Warnstreik den Bahnverkehr in Deutschland lahm.
Die GDL ist zwar die weit kleinere Bahngewerkschaft. Einfacher macht das die Verhandlungen aber nicht. "Die Zeichen, die Seitens des Arbeitgebers gekommen sind, stehen eben so, dass wir mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit in Arbeitskämpfe gehen müssen", sagte GDL-Chef Weselsky am Morgen in der Sendung "Radiowelt" auf "Bayern 2".
Seit 15 Jahren rede die GDL darüber, dass zu wenig Lokführer da seien: "Jetzt sind zu wenig Fahrdienstleiter da. Es werden an Wochenenden Strecken geschlossen. Warum kommen da nicht mehr Menschen in die Ausbildung? Die Arbeitgeberseite ist seit Jahren nicht in der Lage, diese Defizite zu decken."
Konflikt ist geprägt von der Debatte um das Tarifeinheitsgesetz
Ein weiterer Knackpunkt ist die Diskussion um das sogenannte Tarifeinheitsgesetz: Es sieht vor, dass in einem Betrieb mit mehreren Gewerkschaften nur der Tarifvertrag der mitgliederstärkeren Arbeitnehmervertretung umgesetzt wird.
Bei den rund 300 Betrieben der Deutschen Bahn ist das in der Regel die EVG. In lediglich 18 Bahn-Unternehmen kommen derzeit die GDL-Verträge zur Anwendung. Doch aus Sicht der Lokführer-Gewerkschaft gibt es kein gesichertes Feststellungsverfahren der Mitgliederzahl in den jeweiligen Betrieben. Sie klagt deshalb in mehreren Verfahren gegen die Festlegungen des Konzerns, bei einigen bereits in letzter Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht.
Die GDL ist deshalb darum bemüht, ihren Einflussbereich bei der Bahn auszuweiten. In dieser Tarifrunde will sie auch für die Beschäftigten der Infrastruktursparte verhandeln. Die Bahn lehnt das ab. Bislang hat die GDL dort keine eigenen Tarifverträge.