Neue PAG-Verschärfung: "Jeder kann überprüft werden"
München - Um die 30.000 Menschen demonstrierten vor drei Jahren, weil ein neues Gesetz die Befugnisse der Polizei ausweiten sollte. Mit dem Polizeiaufgabengesetz (PAG) würden Freiheitsrechte bedroht, fürchteten die Kritiker damals. Nun ruft ein Bündnis aus fast 100 Organisationen und Parteien diesen Sonntag wieder zum Protest gegen dieses Gesetz auf. Simon Strohmenger, einer der Organisatoren von "noPAG", erklärt im Interview, warum das Gesetz heute sogar schlimmer ist als damals und was Bayern mit China gemeinsam hat.

AZ: Herr Strohmenger, 2018 demonstrierten Zehntausende gegen das Polizeiaufgabengesetz. Dann wurde es plötzlich still darum. Was ist seitdem passiert?
SIMON STROHMENGER: Die bayerische Staatsregierung hat damals unseren Protest durchaus aufgenommen. Es gab Anhörungen von Experten und Juristen, uns hat die Regierung sogar auch eingebunden. Das war wirklich ein cleverer Schachzug der CSU. Allerdings hat sie uns dann am Ende doch fallenlassen.
Hauptkritikpunkte von "noPAG" wurden nicht aufgenommen
Das neue Gesetz werde die Bürgerrechte stärken, sagte der Innenminister.
In Nuancen wurde das Gesetz tatsächlich entschärft. Zum Beispiel hat nun jeder das Recht auf einen Anwalt. Außerdem darf eine Präventivhaft nur noch maximal zwei Monate dauern. Zuvor hätte die Haft immer wieder bis ins Unendliche verlängert werden können. Aber unsere Hauptkritikpunkte wurden nicht aufgenommen.

Was kritisieren Sie am schärfsten?
Schon heute kann die Polizei im Vorfeld eingreifen, wenn eine konkrete Gefahr droht. Mit dem neuen Gesetz soll sie aber schon bei einer "drohenden Gefahr" einschreiten dürfen, also schon einen Schritt zuvor, wenn noch nicht so richtig klar ist, ob etwas passieren könnte.
In welchen Fällen könnte sich die Polizei auf eine "drohende Gefahr” berufen?
Zum Beispiel kann die Polizei Aktivisten auf dem Weg zur Demo stoppen, wenn die Polizei vermutet, dass sie einen Sitzstreik organisieren. Die Staatsregierung argumentiert natürlich anders: mit gewalttätigen Ehemännern, mit Hass und Hetze im Netz, mit Morddrohungen. Aber aus unserer Sicht reichen für diese Fälle die bestehenden Gesetze aus. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum wir demonstrieren.
"Vor einer Veranstaltung könnte theoretisch jeder überprüft werden"
Warum noch?
Plötzlich stand in dem Gesetz eine "Zuverlässigkeitsprüfung".
Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?
In anderen Bundesländern werden Sicherheitsleute vor Veranstaltungen überprüft. Doch dort steht klar im Gesetz, dass es nur um diese eine Berufsgruppe geht. In Bayern ist das nicht so. Dass die Spitzen-Juristen im Ministerium das aus Versehen vergessen haben, kann ich mir nicht vorstellen. Doch das heißt: Vor einer Veranstaltung könnte theoretisch jeder überprüft werden.
Tendenz zur Überwachung: Droht in Bayern das "Social Scoring"?
Was bedeutet das für den einzelnen Bürger?
Im Extremfall hätte die Polizei ein umfängliches Profil von uns und auch andere Stellen könnten auf diese Daten zugreifen. In China nennt sich das "Social Scoring". Da sammelt ein Bürger, je nachdem, wie gut er sich an die Regeln hält Plus- oder Minuspunkte. Die Bilanz bestimmt, ob er einen Kredit bekommt oder ob er einen bestimmten Beruf ausüben darf.
Glauben Sie wirklich, dass Bayern zum Überwachungsstaat wird?
Ich glaube nicht, dass wir chinesische Verhältnisse bekommen. Aber ich sehe schon die Tendenz hin zu immer mehr Überwachung. Hinzu kommt, dass der Prozess, wie das neue Gesetz entstanden ist, nicht demokratisch war.
Warum?
Vor zweieinhalb Wochen wurde der neue Entwurf eingebracht. Jetzt soll er schon verabschiedet werden. Die Opposition und die Öffentlichkeit hatten gar keine Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.
Wie schwierig ist es, so schnell für eine Demo zu mobilisieren?
Natürlich können wir nicht in der ganzen Stadt plakatieren. Wir sind auf Mundpropaganda angewiesen. Allerdings steht ein breites Bündnis aus Oppositionsparteien und der Verbände wie der IG Metall hinter uns.
Die Demo gegen das PAG findet am Sonntag, 18. Juli, ab 14 Uhr auf der Theresienwiese statt.
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