Nachhaltiges München: Hier kann man sich einen Acker mieten

Schafe auf dem Hochhaus im Werksviertel und nun auch Ackerparzellen zum Mieten am Münchner Stadtrand. Vom ehemaligen Pfanni-Gelände aus entsteht eine nachhaltigere Stadt. Und die Münchner können mitmachen.
Myriam Siegert
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
4  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Freie Bahn für Hobbygärtner: David Schoo zeigt den vorbereiteten Mietacker an der Denninger Straße.
Freie Bahn für Hobbygärtner: David Schoo zeigt den vorbereiteten Mietacker an der Denninger Straße. © Myriam Siegert

München - Als die AZ zu Besuch ist, müssen gerade drei Schafe auf einen Hänger bugsiert werden. Etwas Anschieben von Nikolas Fricke und David Schoo braucht es beim Ersten, die anderen steigen ziemlich freiwillig ein. Fricke, Landwirt, promoviert in Humangeografie, ist Geschäftsführer der Joh's Eckart GmbH sowie Nachhaltigkeitsbeauftragter im Werksviertel Mitte. Er fährt die Schafdamen auf eine Weide nahe den Isarauen, wo sie in den nächsten Tagen ihre Lämmer bekommen können.

David Schoo bleibt noch in Zamdorf. Hier an der Friedrich-Eckart-Straße arbeitet der Biologe als landwirtschaftlicher Mitarbeiter auf der Niederalm des Unternehmens Joh's Eckart. Hier grasen die Walliser Schwarznasenschafe Valentina, Antonia, Gertruda und ihre Freundinnen, die mit ihren arttypischen schwarzen Gesichtern und Beinen unter den weißen Locken besonders niedlich aussehen. Dazu kommen einige Ziegen und drei Schafböcke.

Gerade ist Lammzeit: Nikolas Fricke mit seinen Schützlingen auf der Stadtalm im Werksviertel Mitte.
Gerade ist Lammzeit: Nikolas Fricke mit seinen Schützlingen auf der Stadtalm im Werksviertel Mitte. © Sigi Müller

Neben Schafweiden und einem Teich entsteht ein kollektiver Stadtacker

Die Schafweide ist nur der Anfang von vielem, was hier passiert und zukünftig passieren soll. Die Bäumchen für eine Streuobstwiese sind schon gesetzt, eine große Biotopfläche mit Teich wird gerade vorbereitet, ebenso ein Bereich für Umweltbildungsangebote und – das aktuellste Projekt – ein kollektiver Stadtacker.

Seit vergangener Woche können sich auf einem angrenzenden Grund an der Denninger Straße interessierte Münchner saisonweise eine Parzelle mieten. Pflanzen kann man, was man mag – Kräuter, Gemüse, Blumen. Nur den Apfelbaum oder Johannisbeerstrauch muss man sich verkneifen, denn – so erklärt David Schoo – "es soll nichts Mehrjähriges gepflanzt werden, weil nach jedem Jahr einmal umgebrochen werden soll".

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Man kann zwei Quadratmeter mieten – oder sogar 90

Schoo kümmert sich um den Acker und um die Stadtgärtner. Vom Kräuterbeet bis zum Familienacker – zwei, zehn, 30 oder 90 Quadratmeter kann man als Parzelle mieten, zu 30, 100, 150 oder 400 Euro pro Jahr. Offiziell geht die Saison von Mai bis Oktober, wer sich hier aber seinen Grünkohl ziehen möchte, kann das ebenfalls tun, denn umgepflügt wird erst im Frühjahr.

Die Ackernutzer müssen kein Biosaatgut verwenden, dürfen aber keine Pestizide und Herbizide sprühen. Für organischen Dünger in Form von Schafsmist sitzt man hier im wahrsten Sinne an der Quelle – wer mag, kann auch noch Schafswolle als Dünger dazukaufen. Auch um Logistisches, wie die Bereitstellung von Gießwasser und Gartenwerkzeugen, kümmert sich das Team vom Mietacker.

Es sind noch Parzellen frei – Interessierte können sich melden

Einen zu großen Aufwand muss kein Hobbygärtner fürchten: "Der Boden ist relativ lehmhaltig, hier wächst alles und das Wasser hält sich gut", sagt Schoo. "Einmal pro Woche vorbeischauen reicht. Außer vielleicht in der ganz heißen Phase."

Das nasse Wetter hat den Start der Acker-Saison verzögert, aber jetzt können die Hobbygärtner loslegen. Und: es sind noch Parzellen frei!

"Natürlich richten wir uns mit dem Angebot direkt an die Nachbarschaft und die Menschen aus der Gegend, die vielleicht keinen Garten haben", sagt David Schoo. Grundsätzlich stehe es aber jedem Münchner offen, hier zu mieten und zu gärtnern.

Solche Stadtäcker haben nicht nur für die Menschen einen Nutzen, auch die Stadtnatur profitiert: "Der Acker ist kleinteilig und abwechslungsreich bepflanzt und sichert so die Artenvielfalt", erklärt David Schoo. "Auf jede Pflanzenart kommen etwa zehn Insektenarten."

Hier gibt es viel Platz für die Schafe.

Ein weiteres Nachhaltigkeitsprojekt: Die Schafe auf dem Dach des Werk 3

Mit diesem Effekt passt der Mietacker in die Reihe der Projekte, die Nikolas Fricke aufgebaut hat. Weit bekannter als die Niederalm in Zamdorf ist das Aushängeschild, die Stadtalm im Werksviertel Mitte. Viele Münchner haben die Schafe auf dem Dach des Werk 3 an der Atelierstraße schon entdeckt.

"Das Dach sollte begrünt werden, dann waren schnell die Schafe im Spiel", erklärt Fricke. Und nicht nur die: Es gibt Bienenstöcke, Hühner, Gemüsebeete, Obstbäume und eine kleine Almhütte. Das Ganze ist ein Umweltbildungsprojekt für Kinder und Jugendliche wie für Erwachsene. Drei bis vier Schulklassen kommen pro Woche zur Almschule auf die Stadtalm, die Warteliste ist lang. Hier erfahren sie, was Nachhaltigkeit eigentlich bedeutet.

Fricke beschäftigt sich mit der nachhaltigen Gestaltung von Stadt, Quartieren und auch Unternehmen. Er bietet Nachhaltigkeitsberatungen und -erlebnisse auch externen Kunden an, etwa in Workshops. Das Werksviertel ist für all das sozusagen das Modellquartier.

Goldig: die Schafe auf dem Dach des Werk 3.

Im Werksviertel gibt es schon ein Mehrwegsystem und ein Klimaschutzbündnis

Es gehe darum, wie man mit urbanen Natur- und Brachflächen, mit Versiegelung und Verkehrsflächen umgehe. Nachhaltigkeit meine alles – Digitalisierung, Ressourcenmanagement, Soziales, Politik, Kultur und Mobilität. "Die Balance zwischen Mensch und Natur im öffentlichen Raum." Frickes Vision: Lokale Wertschöpfungsketten im Lebensmittelbereich aufbauen, "Lebensmittel aus der Stadt für die Stadt".

"Der Inhaber des Areals hätte die Flächen verkaufen können", erklärt Fricke. "Er wollte aber stattdessen, dass hier ein echtes Viertel entsteht, klimafreundlich und nachhaltig. Wie ein funktionierendes Dorf, mit Wirt und Schule und Kirche."

Im Werksviertel hat Niko Fricke daher unter anderem einen Mehrweg-To-Go-Kreislauf umgesetzt, ein System zur Kompostierung und Speiserestentsorgung ist in Arbeit. Er hat ein Klimaschutzbündnis initiiert, im Rahmen dessen er mit den ansässigen Unternehmen in Workshops erarbeitet, wie ihr Beitrag zur Nachhaltigkeit aussehen könnte. "Pro Firma wird ein Klimaschutzprojekt umgesetzt", so Fricke. "Und wenn dabei rauskommt, dass die Mitarbeiter der Security-Firma weniger Aufzug fahren, mag das vielleicht erstmal banal erscheinen, aber es macht etwas mit der Haltung der Menschen. Weil sie das Gefühl haben, etwas beitragen zu können."

Die Parzellen gibt's über: johseckart.de/mietacker/

Blick über die sogenannte Niederalm in Zamdorf. Auf den Flächen war bis 1964 die Joh's Eckart Fruchtsäfte & Conservenfabrik.
Blick über die sogenannte Niederalm in Zamdorf. Auf den Flächen war bis 1964 die Joh's Eckart Fruchtsäfte & Conservenfabrik. © Myriam Siegert

Hintergrund: Das Pfanni-Gelände und seine Besitzer

Dass das Werksviertel das frühere Pfanni-Gelände ist, wissen die meisten. Dass Pfanni auf die Fruchtsaft- und Conservenfabrik Johannes Eckart zurückgeht, die wenigsten. 1868 gründete der aus Mittelfranken stammende Johannes Eckart die Firma am Salvatorplatz. 1899 und 1906 übernahmen die Söhne Fritz und Otto.

Seit 1902 war man königlich bayerischer Hoflieferant. Spätere Firmensitze waren am Jakobsplatz und in der Sendlinger Straße. Die Firma produzierte bis in die 60er Jahre Konserven und Säfte auf den Flächen in Zamdorf.

Ottos Sohn Werner Eckart erfand das erste Kartoffelfertigprodukt 

Otto Eckart verließ 1926 das Unternehmen und gründete 1932 die Firma "Otto Eckart", ebenfalls für Fruchtsaftherstellung, Konserven und Lebensmittelgroßhandel. Beide Unternehmen setzten stark auf Aufträge des Militärs, auch während der beiden Kriege. Während des Ersten Weltkriegs entwickelte man bereits ein Trocknungsverfahren für Kartoffeln.

Ottos Sohn Werner Eckart erfand 1949 das erste Kartoffelfertigprodukt, ein Pulver für Reibekuchen und Knödel, und gründete Pfanni. Schon 1950 war die erste Umsatzmillion geschafft, 1955 sind es schon zehn Millionen Mark.

Areal ist bis heute in Familienbesitz 

Nach stetiger Expansion auch an andere Standorte und langen Boomjahren, schrumpfen die Umsätze Anfang der 90er Jahre. Zudem ist Industrie innerhalb der Stadtgrenze nicht mehr so gerne gesehen. 1993 wird das Unternehmen verkauft, 1996 der Stammsitz hinterm Ostbahnhof geschlossen. Es folgte die Zwischennutzung mit Kunstpark Ost und Kultfabrik.

Das Areal ist bis heute in Familienbesitz. Dass vieles noch an das alte Pfanniwerk erinnert, ist Absicht. Auch dass man die alten Fabrikhallen großteils nicht einfach abgerissen, sondern weiterverwendet und umgebaut hat, was graue Energie spart, passt dazu, dass die heutige Joh's Eckart GmbH im Werksviertel nun Nachhaltigkeitskonzepte entwickelt. Die Firmengeschichte lässt sich im kleinen, sehr sehenswerten Pfannimuseum im Foyer des Firmensitzes (Atelierstr. 1) nachvollziehen.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
4 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • Seidnettzueinander am 04.06.2023 22:34 Uhr / Bewertung:

    Werner Eckardt und seine Familie leisten Großartiges für die Stadt München mit seinem Konzept für das Werksviertel und auch mit dem hier geschilderten Beispiel. Statt alles der Gewinnmaximierung und den Finanzinvestoren zu überlassen, schafft er ein wunderbares Gegenstück für Arbeiten, Wohnen, Freizeit und Ökologie. Danke für dieses positive Beispiel

  • Sarah-Muc am 04.06.2023 13:16 Uhr / Bewertung:

    Es ist wirklich nicht zu fassen - kaum wird was Neues und Kreatives vorgstellt geht es schon wieder los mit den negativen Beiträgen.
    Ich finde es eine Klasse-Idee - und die Umsetzung wird in Zusammenarbeit aller Interessierten sicher gut klappen.
    Leute die immer alles sofort kaputtreden - das sind die, die Deutschland in den Abgrund führen.
    Und ganz sicher nicht die Grünen und die Linken und was weiss ich, wer in diesen Köpfen noch rumspukt. Und es geht nur um eines:
    "weiter machen wie bisher - wir haben ja noch Zeit. Ich will nichts ändern, das ist mir viel zu anstrengend"!!!!

  • Tak am 04.06.2023 10:34 Uhr / Bewertung:

    90qm 400€, guten Geschäft.
    Auf dem Dach wird es im Sommer ziemlich heiß. Auch für Bienen ist das nicht nichts.
    Hauptsache, der Euro rollt.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.