Nach Hamas-Terrorangriff: Juden in München und Bayern schildern Alltag der Angst

München/Augsburg/Straubing - Zahlen lügen nicht: Um 240 Prozent im Vergleich zum Vorjahr haben sich antisemitische Vorfälle in Deutschland seit den Attacken der Hamas auf Israel erhöht. 202 antisemitische Vorfälle im Deutschland hat der Bundesverband der Recherche und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) e. V zwischen 7. Oktober und 15. Oktober dokumentiert.
Auch in Bayern gibt es Vorfälle. Unbekannte haben im oberfränkischen Forchheim an drei Stellen Graffitis mit antisemitischem Inhalt angebracht. Die Polizei ermittelt. In Augsburg wurde schon einmal eine israelische Flagge von der Synagoge gerissen. Erst in der vergangenen Nacht sei das wieder passiert, sagt Hermann Bredl, Sprecher der jüdischen Gemeinde in Augsburg und Schwaben, der AZ. Für Bredl ist das kein bloßer Streich: "Das ist ja nichts anderes als ein symbolischer Angriff auf das Judentum. Die Menschen fühlen sich nicht sicher. Die Verunsicherung ist groß", sagt Bredl.
"Schlimme Bilder, die massiv verunsichern": Viele Juden in Bayern haben Verwandte in Israel
Das Sozialleben in der Synagoge, die ja auch ein Treffpunkt ist, liegt derzeit auf Eis. "Aus Sicherheitsgründen mussten wir auch am vergangenen Wochenende den Sabbat-Gottesdienst absagen." Ein Gemeindemitglied hat einen früheren Klassenkameraden bei den Massakern der Hamas verloren. "Es sind wahnsinnig schlimme Bilder, die massiv verunsichern", sagt Bredl.
In der jüdischen Gemeinde in Niederbayern mit Sitz in Straubing sitzt der Schock ebenfalls tief. "Auch wenn wir wissen, wir sind hier in Straubing", sagt Anna Zisler, Vorsitzende der Gemeinde. Nahezu jedes Gemeindemitglied habe schließlich Verwandte in Israel, um die sie bangen. "Doch es melden sich viele Straubinger, die gar keine Juden sind, und Freunde dort haben", sagt Zisler der AZ. Das habe sie einerseits überrascht, sei andererseits auch ein schönes Zeichen der Unterstützung. "Auch wenn diese Leute ebenfalls um ihre Angehörigen bangen müssen."
Juden in Bayern hoffen auf ein Solidaritätsbekenntnis der muslimischen Gemeinde
Ob auch die Juden in Niederbayern sich in Deutschland fürchten? "Als Jude lebst du immer mit einer gewissen Angst", sagt Zisler. Es sei aber schon so, dass die Aufmärsche von Unterstützern der Palästinenser und der Hamas die Gemeinde enorm beängstigen. "Diesen Terror muss man einfach als Terror benennen."

Dass auch Israel wegen seiner Reaktion im Gazastreifen in der Kritik steht, sieht Zisler so: "Dass ein Krieg das schlimmste ist, was passieren kann, und dass man sich auf Terror hin wehrt – das sind immer noch zwei Paar Schuhe. Aber natürlich: Die Menschlichkeit muss bewahrt werden." Ob das aber von allen Seiten der Fall sei, stellt sie infrage. Was Zisler vermisst: ein klares Solidaritätsbekenntnis der muslimischen Gemeinde. Nicht nur in Deutschland, sondern auch vor Ort in Straubing. "Aber ich bin guter Hoffnung: Was noch nicht ist, kann ja noch werden."
"Schändlich und ekelhaft": Der jüdische Verein Maccabi München muss Fußballspiele absagen
Charlotte Knobloch, Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern verstört, "dass diese Barbarei in Deutschland von einigen noch gefeiert wurde". Erst recht vor dem Hintergrund eines Brandanschlags auf eine Synagoge in Berlin. Eine Stimmung gegen alles Jüdische und Israel, man könne nur hoffen, "dass sie nicht die Mehrheitsmeinung in Deutschland abbildet", sagt sie der AZ. Zwar seien die eigenen Einrichtungen sicher. "Aber: Für jeden, der bei uns ist, kommt der Moment, da er wieder nach außen tritt."
Selbst auf Kinderfußballspiele hat die Eskalation Auswirkungen. Eigentlich hätte der TSV Maccabi München am Sonntag gegen den FC Perlach gespielt. Nicht nur Juden, sondern alle möglichen Nationalitäten und Religionen spielen bei Maccabi, sogar Muslime sind dort Mitglied. Dort sei ein Trainer angerufen und wegen des Spiels gegen einen jüdischen Verein bedroht worden. Die Spiele wurden daher verschoben, sagt Maccabi-Sportvorstand Armand Presser der AZ. "Das ist schändlich und ekelhaft", sagt Presser. Vorgekommen sei so etwas noch nie.