Nach dem Brand in München: Wird die Friedenskirche von Väterchen Timofej wieder aufgebaut?

Zweieinhalb Monate nach dem Brand ist unklar, wie es mit Münchens bekanntestem Schwarzbau, dem Kirchlein des Eremiten Väterchen Timofej weitergeht. Alt-OB Christian Ude glaubt immer noch an den Wiederaufbau.
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Hinter Sergej Kaiser liegt alles, was nach dem Brand übriggeblieben ist. Weggeräumt hat den Schutt bisher niemand.
Hinter Sergej Kaiser liegt alles, was nach dem Brand übriggeblieben ist. Weggeräumt hat den Schutt bisher niemand. © Daniel von Loeper

München – Am Rande des Olympiaparks ragt eine kleine grüne Oase aus plattgetretenem Festivalgelände. Dort, wo im Sommer das Tollwood stattfindet.

Das kleine Gärtlein kennen Tausende Münchner seit ihrer Kindheit und Schulzeit. Von Erkundungstouren mit Freunden, Spaziergängen mit den Eltern, aber auch aus dem Heimat- und Sachkundeunterricht. Der Obstgarten, das Wohnhaus, die Kieswege und das Kirchlein – alles ist von Hand erbaut.

Friedenskirche im Olympiapark: Hier liegt noch alles wie nach der Brandnacht

Anfang Juni ist die Kirche abgebrannt. Laut Feuerwehr war ein technischer Defekt der Elektrik die Ursache. "Der Schutt liegt hier immer noch wie nach der Brandnacht", sagt Sergej Kaiser, der Vorsitzende des Vereins der Ost-West-Friedenskirche, wie die Kirche benannt war.

Schon kurz nach dem Brand sagte Alt-OB Christian Ude in der AZ, dass er sich für den Wiederaufbau einsetzen werde. Und jetzt? Was passiert mit der Leerstelle, die das Kirchlein hinterlassen hat?

Väterchen Timofejs Kirche in München: Vereinsmitglieder wollen den Ort weiterhin erhalten

Es ist das Herzstück der Einsiedelei des Eremiten Timofej Wasiljewitsch Porchorow. 1952 besiedelte er das Oberwiesenfeld. Innerhalb von zehn Jahren baute er aus dem dort abgelagerten Schutt der Bombenangriffe eine vierteilige Einsiedelei.

Aus eigener Kraft und gemeinsam mit seiner Gefährtin Natascha zog er erst eine Kapelle, ein Wohnhaus und dann die Kirche hoch. Alles zusammengesammelt aus Material der vorherigen Zerstörung – aus Wellblech, Ziegeln und alten Fenstern.

Das Kirchlein von Väterchen Timofej stand inmitten eines Gartens. Die Einsiedelei wurde vor 70 Jahren gebaut.
Das Kirchlein von Väterchen Timofej stand inmitten eines Gartens. Die Einsiedelei wurde vor 70 Jahren gebaut. © Camilla Kraus

Auf Google Maps kann man das Gebäude mit seinen zwei Seitenflügeln, dem türkisen Dach und dem Türmchen noch anschauen. Wie es selbstverständlich im Zentrum der eingezäunten Garteninsel steht. Sergej Kaiser kommt trotzdem jeden Tag zu dem Grundstück. Der 64-Jährige schließt täglich das Eingangstörchen für Besucher auf.

Er und die Vereinsmitglieder kümmern sich um das Grundstück: um das Wohnhaus, das kleine Museum, die Bäume, Blumen und Gemüsebeete. "Wir kümmern uns weiter darum, dass dieser Ort erhalten bleibt", sagt Kaiser. Regelmäßig besuchten Kindergruppen das Areal zum Spielen und Malen. Zwei Jahre vor seinem Tod, Timofej sei da bereits 108 Jahre alt gewesen, hat der Eremit die Einsiedelei an Sergej Kaiser übergeben.

Der Eremit vom Oberwiesenfeld Timofej war nicht nur von der Stadt geduldet, sondern bald auch beliebt und geschätzt.
Der Eremit vom Oberwiesenfeld Timofej war nicht nur von der Stadt geduldet, sondern bald auch beliebt und geschätzt. © Camilla Kraus

Alle sind sich einig: Es muss einen Wiederaufbau der Ost-West-Friedenskirche geben

Der Verein wünscht sich, dass der Schutt von der Stadt weggeräumt wird. Aber das ginge wohl erst, mutmaßt Kaiser, wenn das Kinderfestival drum herum zu Ende ist.

Doch von der Stadt habe er bisher auch noch keinerlei Informationen zu einem möglichen Wiederaufbau. "Aus spiritueller Sicht würde ich nicht direkt an der Brandstelle bauen", sagt der Hüter des grünen Areals. Lieber 30 Meter versetzt, sagt er, dann könne die Brandstelle "heilen."

Den Innenraum gestaltete Väterchen Timofej nach seinem Geschmack. Er betonte aber, dass es ein konfessionsloser Ort ist, für alle.
Den Innenraum gestaltete Väterchen Timofej nach seinem Geschmack. Er betonte aber, dass es ein konfessionsloser Ort ist, für alle. © Camilla Kraus

Und die Stadt München? Jene Stadt, die den Schwarzbau einst akzeptierte und später sogar die geplanten Stätten der Olympischen Spiele 1972 wegen ihm verschoben hat: Mitte Juni wurden zwei Anträge mit der Forderung eines Wiederaufbaus der Kirche gestellt: Einer vom Bezirksausschuss Neuhausen-Nymphenburg und einer von der SPD-Stadtratsfraktion.

Jetzt liegt das Papier im Planungsreferat. Von dort schreibt Pressesprecher Thorsten Vogel: "Derzeit werden die Stadtratsanträge und damit die Voraussetzungen für einen Wiederaufbau der Kirche von der Stadtverwaltung geprüft."

Alt-OB Christian Ude glaubt an den Wiederaufbau der Friedenskirche im Olympiapark

Doch ganz im Südosten Europas ist man sich bereits sicher, dass Timofejs Kirchlein wiederaufgebaut wird. Denn dort urlaubt Alt-OB Christian Ude, als die AZ ihn am Telefon erreicht. Der 75-Jährige hatte den Garten des Eremiten schon als kleiner Bub besucht.

"Im Stadtrat und in der Stadtverwaltung besteht Einigkeit, dass es einen Wiederaufbau geben muss", sagt Ude in Griechenland. Die Einsiedelei sei ein Wahrzeichen der Stadt mit historischer Bedeutung. "Es ist der letzte Behelfsbau der Nachkriegszeit, den man so noch besichtigen kann", sagt Christian Ude.

Für den Innenraum hatte Eremit Timofej viele Ikonen-Bilder gesammelt und die Decke selbst mit Alufolie ausgekleidet.
Für den Innenraum hatte Eremit Timofej viele Ikonen-Bilder gesammelt und die Decke selbst mit Alufolie ausgekleidet. © Camilla Kraus

"Die Kirche wieder 1:1 aufzubauen ist illusorisch", so die Münchner Fotografin Camilla Kraus

Diese Geschichte erzählt ein kleines Museum. Die Münchner Fotografin Camilla Kraus hat es in einem der Häuser auf dem Areal eingerichtet. Dort finden sich viele Originalaufnahmen der Kirche mit Innenansichten. Kraus hatte die Einsiedelei 1989 vom Olympiaberg aus mit ihrem Sohn entdeckt. Gemeinsam besuchten sie den Eremiten und später dokumentierte sie seine Arbeit mit der Kamera und half beim Erhalt des Ortes.

"Die Kirche wieder eins zu eins aufzubauen, ist illusorisch", sagt Kraus heute. Der Charme habe gerade aus dem handgefertigten, aus Bombentrümmern Zusammengebastelten bestanden. Dennoch wünscht sich die Fotografin, dass der Ort erhalten bleibt – als Denkmal für Frieden. Dazu schlägt sie einen Ideen-Wettbewerb vor, für kreative Vorschläge, was anstelle des Kirchleins dort stehen könnte.

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Ob ein exakter Nachbau oder "eine an das Original angelehnte Variante" ist noch unklar

Etwas Ähnliches könnte im Verborgenen bereits im Gange sein. Denn es gäbe bereits eine Zusammenarbeit mit "einer Münchner Universität", sagt Christian Ude. In einem offenen Verfahren würden kreative Lösungen für einen Wiederaufbau gesammelt. "Offen ist auch die Frage, ob es ein exakter Nachbau sein soll", sagt der Alt-OB, "oder eine an das Original angelehnte Variante." Für Ude ist jedoch klar, dass die Stadt als Bauherr auftreten und den Bau der äußeren Hülle finanzieren muss.

"Für die Inneneinrichtung könnten Spenden gesammelt werden", sagt Ude. Viele Münchner seien dem Ort verbunden. Seien dort vor der Hektik des Alltags geflüchtet, hätten Gespräche mit Timofej gesucht, die friedliche Atmosphäre genossen oder kindliche Abenteuer erlebt. "Als ich sechs war, bin ich mit dem Tretroller allein mit Freunden hingefahren", sagt der ehemalige Bürgermeister. Zuerst hätten sie sich vor Timofej gefürchtet und versteckt. Aber hinter dem bärtigen Mann habe sich ein so netter Geselle verborgen.

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8 Kommentare
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  • Witwe Bolte am 03.09.2023 21:11 Uhr / Bewertung:

    Vielleicht schleichen jetzt die Immo-Tandler ums Gelände zwengs Grundstückkauf. "Bezahlbare" Eigentumswohnungen ab 15.000/qm in dieser Toplage wären äusserst lukrativ.
    Nur wenn Tollwood stattfindet, ist es aus mit der Gemütlichkeit.

  • Monika1313 am 03.09.2023 15:03 Uhr / Bewertung:

    Einst wurde die Kirche mit dem Bombenmüll aufgebaut. Vielleicht sollte man sie jetzt mit dem Müll von der Isar und dem Englischen Garten nach einer warmen Sommernacht wieder aufbauen?
    Auf boarisch upcyclen.

  • Wickie712 am 03.09.2023 14:54 Uhr / Bewertung:

    Wenn Herr Ude meint dort wieder etwas zu errichten, kann er ja erstmal den Schutt entsorgen, aus seiner Tasche.
    Und dann eine Baugenehmigung beantragen und auf seine Kosten etwas erbauen.

    Ich als Steuerzahler in der Stadt München wünsche nicht den Aufbau einer derlei Gedenkstätte.

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