Münchner Wirte-Legende: Der Steyrer Hans
München - Ein Kraftmensch wie aus dem bayerischen Bilderbuch. So sah er aus, so stellte er sich gern aus, der Steyrer Hans: fast zweieinhalb Zentner Wiege-Gewicht: "der stärkste Mann Deutschlands" (Karl Valentin).
Der prächtige Schnauzbart 40 Zentimeter zur Seite getrimmt, rote Jacke und grüne Weste mit Uhrkette über der muskelbepackten Brust. Dazu noch griffbereite Schnupftabakdose, Hantel und eiserner Spazierstock mit Hirschhorngriff - heute im Valentin-Karlstadt-Musäum zu bewundern -, alles mehrere Pfund schwer.

Steyrer Hans: Als bayerischer Herkules berühmt-berüchtigt
Eine schäumende Maß in der Linken durfte auch nicht fehlen. Und auf dem Kopf saß eine grüne Schildmütze mit weiß-blauen Flaumfedern. Federleicht war für diesen Typen anscheinend alles, was seine riesigen Pratzen anpackten.
In Paris soll er einmal sogar einen Polizisten aus einem Café, wo er die Marmortische ein bisschen zerlegt hatte, an einem Arm vor die Tür gesetzt haben. Ja, dieses Mannsbild aus der Münchner Vorstadt war weit über den Weißwurst-Äquator hinaus berühmt und wohl auch etwas berüchtigt - als "bayerischer Herkules".
Steyrer Hans: Schon als Lehrbub schleppte er ganze Kälber
Wie es sich fast gehörte, war der Steyrer Hans als eines von sechs Kindern eines Metzgers geboren, am 24. Juni 1849 in Allach. Schon als Lehrbub schleppte er ganze Kälber und Ochsenviertel.

In der "Alten Wirtschaft" von Lenggries und dann in der Münchner "Westendhalle" begann er seine kraftvolle Karriere, indem er über 500 Pfund schwere Steine mit dem Mittelfinger lupfte.
Das Programm lief, immer wieder bereichert, bestaunt und gut bezahlt, noch in weiteren Wirtshäusern, die der um Reklame nicht verlegene Kraftlackl nach und nach erwerben konnte. Er zerbrach Hufeisen, oder ließ einen Pferdewagen über sich rollen.
Vier Jahre lang betrieb er auch auf dem Oktoberfest eine Doppelbude der Spatenbrauerei. Klar, dass er dort "Kraftbier" ausschenkte. 40-Liter-Fässer hob er mit Daumen und Zeigefinger auf den Ganter.
Als er 1879 mit festlich geschmücktem Vierspänner und großem Tross auf die Theresienwiese fahren wollte, wurde er im Tal von der Polizei aufgehalten und musste sogar wegen Störung der öffentlichen Ordnung eine deftige Strafe zahlen. Als er im nächsten Jahr das gleiche Spektakel aufführte und eine weitere Strafe in Kauf nahm, war die Tradition des alljährlichen Einzugs der Wiesnwirte freilich bereits begründet.
Steyrer Hans: "Das lebende Reck" als Glanznummer
Seine Glanznummer auf dem Oktoberfest und in einem benachbarten Gasthaus, das er "Zum Bayerischen Herkules" nannte und mit entsprechenden Requisiten ausstattete, war "Das lebende Reck": An einem ausgestreckten Arm ließ er seinen zwölfjährigen Sohn turnen.
Sein Gasthaus "Steyrer Hans" in der Tegernseer Landstraße 75 in Obergiesing wurde zum Treffpunkt der Athleten und Kraftmenschen. Lange vor der Jahrhundertwende waren zahlreiche "Athleten, Kraftsport- und Stemmclubs" gemeldet.
Sie zeigten ihren Bizeps und ihre Kraftkunst in Bierhallen, auf Jahrmärkten und speziell in der Wirtschaft "Ewiges Licht", die der berühmte Muskelprotz Hans Beck in Neuhausen betrieb.
Standbild des Steyrer Hans ziert heute den Allacher Maibaum
Regelmäßig gab es Wettbewerbe, die mindestens so beliebt waren wie heute Fußballspiele. Der großgewachsene König Ludwig II. und danach der Prinzregent stifteten Ehrenpreise für die Kraftsportler. Häufig hieß der Sieger Johann Steyrer.
Im August 1879 gab der "Stolz von Giesing" seine Abschiedsvorstellung im Circus Herzog. Er starb am 25. August 1906. Auf dem Ostfriedhof wurde er im Beisein von mehr als 1.000 Bürgern beigesetzt. Sonderbarerweise starb der Steyrer Hans genau einen Tag nach dem Volkssänger Anderl Welsch, der ihn einmal so besungen hatte: "Das Bayernland schaut mit Stolz auf den Mo, der mit oan Finger vier Zentner heb'n ko."

Ein bisschen vom Stolz ist geblieben. Das stattliche Standbild des Steyrer Hans ziert heute den Allacher Maibaum. Sein ehemaliges Gasthaus aber ist längst verschwunden, samt dem kleinen Museum, das Verehrer einst eingerichtet hatten.
Immerhin hat ein Westfale 2011 eine Biographie über den bayerischen Herkules geschrieben.