Alt-Münchner Wirte-Legenden: Die Bohème-Wirtin Kathi Kobus

1903 wird aus einem Café der bald berühmte "Simplicissimus" in der Türkenstraße, wo sich die Künstler bei Wirtin Kathi Kobus treffen.
Karl Stankiewitz |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
1  Kommentar
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Münchens legendäre Simpl-Wirtin: Katherina Kobus auf einem erst kürzlich entdeckten Glas-Diapositiv.
Münchens legendäre Simpl-Wirtin: Katherina Kobus auf einem erst kürzlich entdeckten Glas-Diapositiv. © Stadtarchiv

München - "Sie hatte stets ein weiches Herz für arme Künstler und war eine beliebte Persönlichkeit in ihrem eigenen Unternehmen", notierte Karl Valentin für seine Vorträge. Münchens berühmteste Künstlerwirtin kam aus der Branche, wenn auch von ganz unten.

Brettlbühne "Dichtelei" als Sprungbrett für Kathi Kobus

Als Tochter eines Gastwirts und Pferdehändlers am 7. Oktober 1854 in Niklasreuth bei Traunstein geboren, als Schwangere vom Vater enterbt und vertrieben, kam die 17-jährige Katherina Kobus nach München, wo sie sich zunächst als Malermodell und Kellnerin durchschlug. Die Brettlbühne "Dichtelei" in der Adalbertstraße war das Sprungbrett zur Karriere.

In der Walpurgisnacht des Jahres 1903 zog eine Prozession von Schwabinger Künstlern und Literaten, Frank Wedekind an der Spitze, von der "Dichtelei" in der Adalbertstraße zur Türkenstraße 57, wo aus einem "Café Kronprinz Rudolf" ein Weinrestaurant geworden war. Es bestand nur aus zwei schmalen Räumen und einem Podium mit Klavier. Mit großem Hallo und tätiger Hilfe wurde die Kathi von der Clique als neue Kneipenwirtin inthronisiert.

Von der Kellnerin zur Königin und Mäzenin der Münchner Behème

Erst wollte sie das Lokal "Neue Dichtelei" nennen. Nach einigem Drängen aber bekam sie vom Verleger des jungen, erfolgreichen Satireblattes die Erlaubnis, mit dessen Namen zu firmieren: "Simplicissimus". Das Logo schuf der Star-Karikaturist Thomas Theodor Heine: eine rote Dogge mit Sektflasche zwischen den gefletschten Zähnen. Draußen leuchtete eine rote Laterne. Schnell wurde die ehemalige Kellnerin zur unangefochtenen Königin und Mäzenin der Münchner Bohème. Und blieb es für lange Zeit.

Das rote Maskottchen der Künstler-Kneipe. Mit sieben Tram-Linien bestens erreichbar.
Das rote Maskottchen der Künstler-Kneipe. Mit sieben Tram-Linien bestens erreichbar. © Stadtarchiv

Das verdankte sie nicht zuletzt ihrem geschickten Umgang mit Malern, Schriftstellern, Schauspielern und "Schönheitstänzerinnen" wie Isadora Duncan und Mary Irber, die alle auf dem schmalen Podium auftraten. Bekannte Namen darunter: Frank Wedekind, Ludwig Thoma, Olaf Gulbransson, Erich Mühsam, Oskar Maria Graf, Max Halbe, Roda Roda, Fred Endrikat.

Stammgast Ringelnatz widmet der Wirtin ein liebevolles Gedicht

Manchmal trug die Wirtin sogar eigene Verserl vor. Immer war sie in heimatliche Tracht gekleidet, immer sprach sie reinstes Altbairisch. Einen adligen Herrn beschimpfte sie schon mal als Saupreiß, wenn er zu laut war.

Kathi Kobus (stehend, rechts) in ihrer Kneipe in der Türkenstraße.
Kathi Kobus (stehend, rechts) in ihrer Kneipe in der Türkenstraße. © Stadtarchiv

Einer der Männer, die sich in den stets übervollen Stuben drängten, war nicht nur Stammgast, sondern Hauspoet, der fast täglich neue, höchst amüsante Gedichte von sich gab: der ausgemusterte Matrose Hans Bötticher aus dem sächsischen Wurzen. Der legte sich 1919 den Dichternamen Joachim Ringelnatz zu. Viele seiner gereimten, weltweit verbreiteten Schnurren haben im "Simplicissimus" das Licht der Welt erblickt.

Wie die anderen Vortragskünstler gab sich Ringelnatz mit ein paar Schoppen Rotwein und einem Essen als abendlicher Gage zufrieden. Man mochte halt einfach die Kathi und diese besondere Atmosphäre von "Lärm, Gedränge und Gestank der echtesten Münchner Künstlerkneipe", an die sich der Dichter später erinnerte.

Weil ihn die Kathi aber fast verhungern ließ, machte Ringelnatz nebenan einen Tabakladen auf, für kurze Zeit allerdings nur.

Trotzdem widmete er seiner Brotgeberin ein liebevolles Gedicht mit der berühmt gewordenen Schlusszeile: "Es gibt auf dem ganzen Globus nur eine Kathi Kobus."

Kathi Kobus stirbt im August 1929 an Paratyphus

Dieser ging es nicht schlecht. Sie verabschiedete sich 1912 aus dem "Simpl" (die Abkürzung wurde damals schon geläufig), um ein Lokal in Wolfratshausen zu übernehmen, das sie für 25.000 Mark gekauft hatte. Sie führte es als "Kathis Ruh", aber Ruh gab sie noch lange nicht.

1920 übernahm sie noch einmal ihr einstiges Lokal in der Maxvorstadt und verlobte sich mit dem Lyriker Ludwig Scharf ("Ich bin ein Prolet"), der dann allerdings eine ungarische Gräfin vorzog. So blieb sie die unverheiratete, aber immer noch gefeierte Künstlerwirtin, bis sie am 7. August 1929 an Paratyphus verstarb. "Hier ruht Fräulein Kathi Kobus Gründerin der Künstlerkneipe Simplicissimus" steht auf ihrem Grabstein im Nordfriedhof. Die Stadt verehrte ihr auch einen Straßennamen.

Lesen Sie auch

Und am Originalplatz in der Türkenstraße betrieb die Volksschauspielerin Toni Netzle von 1960 bis 1992 das Nachfolgelokal "Alter Simpl", das zeitweise zu einem Treffpunkt von Politikern und Presseleuten wurde.

Es wirbt heute als "Böhmisches Restaurant mit Bar, Bildern von berühmten Gästen an den Wänden und bayerischer Küche".

 

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
1 Kommentar
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • leafina am 01.10.2020 16:50 Uhr / Bewertung:

    ...tempi passati...so was gibt es heute leider so gar nicht mehr!

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.