Münchner Verkehr: Wird die Ring-S-Bahn zum Problemlöser?
München - Wer morgens im Berufsverkehr etwa von Neuhausen zur Arbeit im BMW-Forschungszentrum fahren muss, hat die Wahl zwischen Pech und Schwefel: Entweder er quetscht sich eine halbe Stunde mit anderen Passagieren in öffentliche Verkehrsmittel. Oder er steht mit seinem Auto im Stau auf dem Ring.
Aus Johanneskirchen ist es noch ärgerlicher. Da quält man sich wahlweise eine halbe Stunde im Stop-and-Go-Verkehr oder schwitzt 42 Minuten in übervollen S- und U-Bahnen.
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Wie das erst mal werden wird, wenn in den nächsten 15 Jahren 300.000 Zuzügler zusätzlich in den Berufsverkehr einfallen, mag man sich noch gar nicht vorstellen. Allein 30.000 Leute werden sich im Neubaugebiet "München Ost" ansiedeln. 3.000 im "Paulaner-Areal", 5.000 im "Neuen Olympischen Dorf", das Kreativquartier an der Leonrodstraße mit 900 Neubauwohnungen noch nicht mitgerechnet.
Die Ring-S-Bahn (in der Karte rot) würde – versetzt nach Nordosten – ähnlich wie der Mittlere Ring für den Autoverkehr (blau) verlaufen. Karte: Herzog, Atabay, OpenStreetMap
Da kann man sich schon mal Kollaps-Szenarien vorstellen: "Der Auto- und ÖPNV-Verkehr wird zusammenbrechen, wenn wir jetzt nicht anfangen, weit vorauszuplanen", mahnt der in Verkehrsdingen rührige Michael Piazolo, der für die Freien Wähler im Landtag sitzt. Auch für den Fall, dass der dauerdebattierte zweite S-Bahn-Stammstreckentunnel doch endlich käme, werde der zwar Verkehrsprobleme für die Umland-Pendler lösen, aber "kein einziges Verkehrsproblem in München". Der Fokus allein auf diesem Millionenprojekt? "Ist absolut kurzsichtig", ärgert sich Piazolo.
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Piazolo hat deshalb vor gut einem halben Jahr die Mobilitäts-Experten Simon Herzog und Dennis Atabay (die auch für die TU tätig sind) beauftragt, sich eine mögliche Lösung für die weitere Zukunft Münchens auszudenken. Und die haben am Dienstag ihren ersten Entwurf vorgelegt: Eine S-Bahn-Ringbahn soll es werden, die ein Stück nordöstlich versetzt zum Mittleren Ring verlaufen soll. Die soll erstens Autofahrer von der Straße auf die Schiene locken. Und zweitens die S-Bahn-Außenäste vernetzen und damit für Fahrgäste die Fahrzeiten extrem verkürzen: Wer etwa aus West oder Ost in den Norden will, müsste dann nämlich nicht in die City rauschen, sondern könnte tangenzial queren. Piazolo: "Das entlastet auch Hauptbahnhof und Marienplatz."
Wo soll die Route verlaufen?
In einem Ring mit 15 Stationen. Sieben davon gibt es schon, acht müsste man neu bauen – wie etwa "Aumeister" oder "Nymphenburg". Ein neuer wichtiger Verkehrsknotenpunkt wäre ein Regional- und Fernbahnhof namens "Olympiakreuz" im Münchner Norden, nahe an Großfirmen wie der SWM-Zentrale, BMW-Zentrale und Forschungszentrum und dem O2-Tower. Er läge etwa da, wo sich heute die denkmalgeschützten Reste des alten S-Bahnhofs "Olympiastadion" befinden.
Der neue Knoten „Olympiakreuz“ könnte zwischen Landshuter Allee und Triebstraße liegen – nördlich des früheren S-Bahnhofs „Olympiastadion“. Karte: Herzog, Atabay, OpenStreetMap
Wie viele Leute könnte eine Ring-Bahn transportieren?
"In einem Zehn-Minuten-Takt etwa 5.000 Leute pro Stunde und Richtung", rechnet Planer Simon Herzog vor. Das sind etwa so viele wie der Mittlere Ring schafft (bei statistisch 1,4 Personen in jedem Auto). In einem Drei-Minuten-Takt wären es sogar rund 15.000 Menschen.
Wie viel Fahrzeit würde die Ring-Bahn sparen?
Jede Menge. Von Englschalking aus käme man beispielsweise mit dem ÖPNV in zehn Minuten (statt jetzt 48) zum BMW-Forschungszentrum. Von der Donnersberger Brücke in neun (statt 28) Minuten.
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Was hätte das Umland von der Ring-Bahn?
"Eine einfachere Verbindung etwa aus Augsburg, Salzburg oder Landshut in den Münchner Norden und zum Flughafen", sagt Piazolo. Vom neuen Knoten "Olympiakreuz" wäre es nämlich ein Leichtes, an der A92 entlang eine schnelle Flughafenanbindung zu bauen – mit einer Fahrzeit von etwa elf Minuten.
Anders als die jetzige Flughafen-S1 könnte eine neue Bahn-Schnellstrecke ab "Olympiakreuz" über Feldmoching zum Flughafen führen. Parallel zur A 92 – mit einem fünf Kilometer langen "Tunnel Lerchenau". Karte: Herzog, Atabay, OpenStreetMap
Was würde das Projekt kosten?
"Vorsichtig geschätzt rund zwei Milliarden Euro", die Bund, Freistaat und Stadt hinblättern müssten, hat Planer Simon Herzog errechnet.
Wie lange würde gebaut werden?
Rechnet man die reine Bauzeit für Tunnel, Schienen, Bahnhöfe (also ohne Planung, Machbarkeitsstudien, Diskussionen), könnte die Ring-Bahn laut der Studien-Macher "in drei bis fünf Jahren" fertig dastehen.
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Was sagt die "Aktion Münchner Fahrgäste" dazu?
"Eine tolle Idee, die wichtiger wäre als die zweite S-Bahn-Stammstrecke", sagt deren Sprecher Andreas Nagel. "Der ÖPNV in München krankt ja daran, dass alles über den Marienplatz führt. Wäre schön, wenn ich so eine Realisierung noch erleben könnte."
Verlockend klingt die Perspektive ja schon: Von Neuhausen zu BMW künftig in nur noch sechs statt 31 Minuten. Und aus Johanneskirchen statt 42 Minuten nur noch acht? Das hätte schon was.