Münchner Taxifahrer: Jeden Tag Sonntag, dann kam der Schock

Andreas Gassner (70) fährt seit 46 Jahren Taxi – und das am liebsten in der Schicht bis um 2 Uhr in der Früh. Die Corona-Krise schenkte ihm viel freie Zeit, aber bescherte ihm auch einen echten Tiefpunkt.
von  Von Andreas Gassner, Protokoll: Guido Verstegen
"Selleriewurzel, um dünne Schnitzel draus abzubraten mit Petersilie oder Bärlauch drüber." Andreas Gassner kocht leidenschaftlich gerne.
"Selleriewurzel, um dünne Schnitzel draus abzubraten mit Petersilie oder Bärlauch drüber." Andreas Gassner kocht leidenschaftlich gerne. © Guido Verstegen

München - Es war schon eine merkwürdige Situation: Als ich am 18. März zu meinem Chef gegangen bin, um ihm zu sagen, dass ich eine Corona-Pause einlegen will, weil es eben keinen Sinn mehr macht, da meinte er, dass sie die Firma vorübergehend stilllegen und ich bis auf Weiteres nicht mehr fahren werde. Es war aber auch echt zappenduster, ich habe zu dem Zeitpunkt im Schnitt dreieinhalb Stunden warten müssen, bis ich wieder einen Fahrgast hatte – und den habe ich meistens auch noch gleich um die Ecke wieder abgesetzt.

Andreas Gassner: Nach Jahren packt er sein Cello wieder aus

Ich sollte Kurzarbeitergeld bekommen und dachte, ich sei so halbwegs abgesichert. Es folgte eine der schönsten Phasen in meinem Leben, ich habe regelrecht Stresssymptome gehabt, bis ich kapiert hab' – Andreas du spinnst wohl!

Weil ich fünf Sachen auf einmal machen wollte, mich interessiert einfach so viel… bei meinem Origami hab' ich zum Beispiel gelernt, da reichen schon zwei Faltungen, und du hast einen Spaceglider, dann Photoshop mit meinen vielen Fotos, immer mal wieder dem Nachbarn im Garten helfen, regelmäßiges Mittagsschläfchen, bin fast jeden Tag mit den Rollerblades und den Stöcken unterwegs – und dann hab' ich nach vielen Jahren tatsächlich mein Cello wieder ausgepackt. Und ich habe rausgefunden, dass ich das Gläschen Rotwein nach der Arbeit nicht wirklich brauche – es gab nichts, wofür ich mich hatte belohnen müssen, also war kein Rotwein notwendig. Jetzt trinke ich literweise Schorle…

"Selleriewurzel, um dünne Schnitzel draus abzubraten mit Petersilie oder Bärlauch drüber." Andreas Gassner kocht leidenschaftlich gerne.
"Selleriewurzel, um dünne Schnitzel draus abzubraten mit Petersilie oder Bärlauch drüber." Andreas Gassner kocht leidenschaftlich gerne. © Guido Verstegen

Von Zukunftsangst zunächst keine Spur

Mit einem Schlag war für mich jeder Tag ein Sonntag, von Zukunftsangst zunächst keine Spur. Ich brauche immer ein bisschen länger, um mir ein Bild zu machen. In diesem Fall um herauszufinden, wie gefährlich das alles ist. Jetzt trage ich seit sechs Wochen immer die Maske, wenn ich rausgehe. Vor knapp zwei Wochen habe ich dann von meinem Steuerberater erfahren, dass ich kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld habe, weil ich die Altersgrenze überschritten habe und Rente beziehe. Das war ein Schock! Denn selbst zusammen mit meiner privaten Rente bleibt so einfach zu wenig übrig. Ich habe zwar in meinem Leben dank Lohn plus Rente noch nie so viel verdient wie in den letzten fünf Jahren, habe aber auch brav zurückgelegt für das Leben nach der Arbeit.

Und jetzt muss ich eben schon viel früher an meine Ersparnisse ran – und überlege gemeinsam mit Moni (mit seiner Frau Monika, 73, ist Andreas Gassner seit 38 Jahren verheiratet, das Ehepaar hat eine 37-jährige Tochter, d.Red.), wie wir uns da aufstellen, wo es Geld vom Staat geben könnte, ob ich mir übergangsweise einen Job suche – keine Ahnung, was das sein soll. Könnte mir vielleicht vorstellen, ein paar Tage in der Woche als Gärtner zu arbeiten. Es ist natürlich nicht so leicht, in meinem Alter etwas zu finden, obwohl ich mich noch fit fühle.

Im Internet arbeitet sich Andreas Gassner durch den Paragrafendschungel in Sachen Grundsicherung und informiert sich über neue Jobs.
Im Internet arbeitet sich Andreas Gassner durch den Paragrafendschungel in Sachen Grundsicherung und informiert sich über neue Jobs. © Guido Verstegen

Deshalb ist Gassner "einfach happy"

Ich möchte so schnell wie möglich wieder Taxi fahren. Je länger ich das mache, umso lieber mache ich das. Ich genieße die Freiheit, über meine Zeit zu bestimmen. Ich halte vielleicht mal an einem Feld und schneide Blumen für meine Frau, oder ich gehe kurz in den Wald. Warum es mir mit der Zeit immer besser ging, hat auch damit zu tun, dass ich in den letzten 20 Jahren immer besser gelernt habe, auf was ich mich neben der Arbeit einlasse und auf was nicht. Seitdem bin ich einfach happy!

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