Münchner Suchtmediziner: "Cannabis darf nicht salonfähig werden"
München - AZ-Interview mit Tobias Rüther: Der 53-jährige Arzt leitet die sogenannte Tabakambulanz an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im LMU Klinikum.
Die neue Regierung will Cannabis legalisieren. Die Droge soll künftig in lizenzierten Geschäften an Erwachsene verkauft werden dürfen, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Was denken Suchtmediziner darüber? Die AZ sprach mit dem Klinikarzt Tobias Rüther. Bei ihm in der Psychiatrie werden jährlich mehr als 50 Patienten behandelt, die ihren Cannabis-Konsum nicht im Griff haben.
AZ: Herr Dr. Rüther, Sie behandeln Menschen mit schweren Suchtproblemen. Auch Patienten, bei denen durch Cannabis eine Psychose ausgelöst wurde. Wie finden Sie die Pläne der Ampel-Koalition?
TOBIAS RÜTHER: Da schlagen zwei Seelen in meiner Brust. Ich bin seit 15 Jahren Suchtmediziner, behandle Patienten, die legale und illegale Drogen konsumieren. Dabei habe ich immer gesehen, dass diese Menschen enorme Probleme haben durch die Drogen: Sie verlieren ihren Job, ihren Partner, das soziale Umfeld, sie haben Infektionskrankheiten - und dann auch noch eine Vorstrafe. Das muss nicht sein! Ich finde eine Entkriminalisierung extrem gut.
Darum warnt Dr. Rüther vor Cannabis
Und was sagt die andere Seele in Ihrer Brust?
Es muss klar sein, dass Cannabis gefährlich ist. Nur, weil ich dagegen bin, die Leute zu bestrafen, bin ich nicht dafür, dass es jetzt jeder nehmen soll.
Was erleben Sie in Ihrer Ambulanz? Wie gefährlich ist Cannabis?
Chronischer Cannabis-Konsum hat zur Folge, dass man keinen Bock mehr auf gar nichts hat. Er kann auch Psychosen auslösen, manche hören zum Beispiel Stimmen oder fühlen sich verfolgt. Manche Psychosen gehen nie wieder weg - gerade mit diesen neuartigen Züchtungen, in denen mehr Wirkstoff drin ist. Aber richtig schlimm ist Cannabis für Jugendliche.
Warum ist das so?
Das Gehirn wächst bis zum 23. Lebensjahr. In dieser Zeit vernetzt es sich. Wenn Sie da eine Droge reingeben, vernetzt es sich schlechter. Das wird oft nie wieder wie früher. Für Jugendliche ist Cannabis extrem gefährlich. Wir müssen unbedingt verhindern, dass Cannabis mit der Legalisierung salonfähig wird. Aber das können wir. Durch schlaue Politik ist uns das beim Tabak auch gelungen, einer Droge, die jedes Jahr 120.000 Menschen tötet.
Darauf muss man bei einer Cannabis-Legalisierung achten
Was genau ist gelungen?
Rauchen gilt heute als uncool bei jungen Leuten. Die Raucherquote bei Jugendlichen liegt bei neun Prozent. Als ich zur Schule ging, gab es noch Raucherecken auf dem Schulhof.
Was muss getan werden, um junge Leute vor den schädigen Folgen von Cannabiskonsum zu schützen?
Strenger Jugendschutz ist ganz wichtig, außerdem Aufklärung und Information. Und: Verkauft Cannabis nicht an jeder Ecke! Macht es teuer - aber nicht so teuer, dass es die Leute wieder auf dem Schwarzmarkt kaufen. Keine Werbung! Und schaut in andere Länder: Es gibt Erfahrungen in Portugal, Kanada, den Niederlanden. Mein Appell: Hört auf die Experten und Expertinnen. Wir verstehen was davon.
Cannabis ist heute deutlich stärker als früher
Es heißt immer wieder, dass Joints heute wesentlich mehr reinpfeifen als früher und verunreinigtes Cannabis verheerende Folgen haben kann.
Ja, das ist ein Riesenproblem. Die Joints, die unsere Eltern damals geraucht haben, also sozusagen die Woodstock-Joints, sind nicht die, die heute unsere Kinder rauchen. Heute ist manchmal bis zu 15 Mal mehr Wirkstoff drin. Sie wissen meist gar nicht, was da drin ist. Oft wird cannabisfreies Gras vertrieben, das mit künstlichen Cannabinoiden besprüht wird, das knallt dann so richtig - und verursacht häufiger Psychosen. Wenn es legal verkauft wird, weiß man, was drin ist. Das ist auch ein absolut positiver Aspekt der Legalisierung.
Denken Sie, dass viele Erwachsene, die vorher nie einen Joint angefasst hätten, jetzt erst auf den Geschmack kommen?
Es gibt Zahlen aus Kanada, die zeigen, dass die Probierer zunehmen - aber eher im Alter ab 45 Jahren. Bei Jugendlichen nimmt die Zahl auch ein bisschen zu, aber nicht dramatisch.
Die Ampel-Regierung will "Drug Checking" anbieten
Was ist gefährlicher? Alkohol oder Cannabis?
Alkohol! Denken Sie mal, wie viele Todesopfer es gibt, wie viele Familien kaputtgehen und Jobs, wie viel Gewalt und Kriminalisierung es gibt durch Alkohol und wie viele Unfalltote - alles viel mehr als Cannabis. Es ist nicht so, dass ich Alkohol verbieten will, aber nur weil es kulturhistorisch so gewachsen ist, müssen wir jetzt nicht mit der nächsten Droge dieselben Fehler machen und zum Beispiel Cannabismarken schaffen wie es Biermarken gibt. Was mich richtig begeistert, ist, dass die neue Regierung nun auch verstärkt "drug checking" anbieten will.
Was ist das?
Da fahren sie mit dem Bus vor Clubs und die Leute können darin prüfen lassen, ob Substanzen verunreinigt sind. Das Ganze findet anonym, kostenlos und völlig wertfrei statt, es drohen also keine Strafen. Das ist eine sehr gute Sache. Die jungen Leute sind ja auch vernünftig und gesundheitsbewusst.
Haben Sie schon mal gekifft?
Also bitte...! Okay, ich bin ehrlich: Als Student habe ich es mal ausprobiert. Aber als ich vor 25 Jahren in der Psychiatrie angefangen und die Patienten mit Drogenpsychosen gesehen habe, habe ich gesagt: Nie wieder! Diese Droge kommt nicht in mein Hirn.