Münchner Krippenfreunde auf Chef-Suche

Einem der ältesten Vereine der Stadt fehlt der Nachwuchs. Zum ersten Mal seit über100 Jahren fehlt ihnen jetzt der Vorstand. Ein AZ-Besuch bei Münchnern mit einer besonderen Leidenschaft.
Helena Ott |
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Jürgen Milla ist der Krippenbauer des Vereins. Er habe das früher alleine daheim gemacht, doch mit Gleichgesinnten macht es einfach mehr Spaß.
Jürgen Milla ist der Krippenbauer des Vereins. Er habe das früher alleine daheim gemacht, doch mit Gleichgesinnten macht es einfach mehr Spaß. © Daniele von Loeper

München - Das Herzstück der Krippenfreunde befindet sich im Untergrund. Neben den kiwi-grünen Bögen des Kircheneingangs von St. Theresia in Schwabing geht es ein paar unscheinbare Stufen hinunter. Wer die graue Kellertüre öffnet, tritt ein in einen wuseligen Kosmos aus Handarbeitsraum, Werkstatt und langen Gängen voller Lagerregale.

Der Krippenbauer zeigt das Reich

Das unterirdische Gewölbe ist ein ehemaliger Kohlekeller des Klosters. Ganz hinten im niedrigsten Raum begrüßt einen Jürgen Milla. Der große Mann mit schulterlangen grauen Haaren steht vor einem drei Meter breiten Modell, er ist der Krippenbauer des Vereins.

Der 62-Jährige zeigt, was in Gemeinschaftsarbeit entstanden ist: Auf einzelnen Holzmodulen steht eine felsige Landschaft, der typische Viehstall, ein Haus daneben und ein kleines Beduinenzelt für die Hirten. Milla ist jetzt fast fertig, "nur die Botanik fehlt noch", sagt der 62-Jährige.

Krippenbauer müssen gute Handwerker sein, aber eben auch erfinderisch. Neben dem schwarzen Zelt glimmt das kleine Lagerfeuer. Milla zeigt, wie Kandiszucker-Steinchen, von unten rot beleuchtet, in seinem Krippenbild zu glühenden Kohlen werden.

Bastian Riediger fasst die wertvollen Figuren nur mit Handschuhen an.
Bastian Riediger fasst die wertvollen Figuren nur mit Handschuhen an. © Daniele von Loeper

Alles hier unten hat mit Krippen zu tun. Alte, edel geschnitzte Figuren, Ställe fernöstlicher Bauart, aus Wurzeln oder im Stil von alten Scheunen. Die Menschen, die hier unten zusammenkommen, sind nicht einfach nur Krippen-Besitzer, es sind echte Krippen-Liebhaber oder "Krippen-Närrische", wie sie hier sagen. Mit 104 Jahren sind die "Krippenfreunde München" einer der ältesten Vereine der Stadt. Das jüngste Mitglied ist 42, das älteste 96 Jahre alt.

Alles hier hat mit Krippen zu tun

Obwohl das Vereinsleben sehr lebendig ist, mit Krippenbaukursen, Ausstellungen, Fotoabenden und Ausflügen, haben die Krippenfreunde erstmals in ihrer Geschichte ein ausgewachsenes Problem. Schon zum Jahreswechsel fehlt ihnen der Vorstand und der Verein steht da, wie eine Krippe ohne Jesuskind. Beide bisherigen Amtsträger hören auf. Der eine aus gesundheitlichen Gründen und Bastian Riediger, ein Franke, verlässt die Stadt und zieht zurück nach Bamberg.

Und jetzt will sich einfach kein Nachfolger finden. Die einen stecken noch zu sehr im Berufsleben, andere Mitglieder sind schon in Rente, aber gesundheitlich nicht fit genug für so ein Amt. Langsam drängt die Zeit: Einen Vorstand brauche es nicht nur, um die Fäden zusammenzuhalten, sagt Bastian Riediger. "Der Vorstand ist auch der Einzige, der im Namen des Vereins Dokumente abzeichnen kann."

Die Münchner Krippenfreunde haben Nachwuchssorgen

Es geht also um nichts weniger, als den rechtlichen Fortbestand der Münchner Krippenfreunde.

Aber es ist auch ein Trend, den viele Vereine bereits spüren und der auf andere noch zukommt. Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums haben zwar nach wie vor über 40 Prozent hierzulande ein Ehrenamt. Aber die Engagierten investieren dafür heute deutlich weniger Zeit als noch vor 15 Jahren. Aus sechs Stunden wurden im Schnitt zwei Stunden in der Woche. Zu wenig, um dann noch einen verantwortungsvollen Posten zu übernehmen.

Und Krippen aufzustellen ist nicht gerade eine neue Trendsportart. Vielmehr geht es um eine gewisse Begeisterung für Brauchtum und Tradition. "Das ist auch nicht mehr so en vogue", sagt Nadine Kagerer. Sie gehört zum fünfköpfigen Vorstandsteam und ist verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit.

Bei Nadine Kagerer stehen daheim acht Krippen.
Bei Nadine Kagerer stehen daheim acht Krippen. © Daniele von Loeper

Für die 53-Jährige sind Krippenfiguren keine staubigen "Pupperl", sondern haben eine Symbolik. Und böten ihr die Gelegenheit, innerlich zur Ruhe zu kommen.

Acht Krippen zu Hause, mit hunderten Details

Heute, findet Kagerer, falle es vielen Menschen schwer, sich bei all den Freizeit-Angeboten verbindlich für eine Sache zu entscheiden. "Aber sie wissen eben auch nicht, was sie verpassen", sagt die Haidhauserin. "Nämlich das Gefühl, eingebunden zu sein, gerade in einer Zeit, wo es immer mehr Vereinzelung gibt."

Nadine Kagerer hat zuhause acht Krippen. Eine ist vierstöckig.
Sie bastelt gerne Details und gestaltet Szenen mit den Figuren. "Das ist bisschen wie ein Theaterstück mit eingefrorener Handlung", sagt die 53-Jährige. Wie einige Mitglieder im Verein betreut sie auch sogenannte Jahreskrippen - das sind große Krippen in Kirchen, die angelehnt an das Neue Testament immer wieder mit anderen Bibelszenen bestückt werden.

Aber ist es nicht auch ein bisschen das Spielerische, was die Menschen am Krippenaufstellen fasziniert? "Ja, natürlich, du stehst da oft heute noch davor wie ein fünfjähriger Bub", sagt der Krippenbauer Jürgen Milla. Er hat, schon bevor er zum Verein kam, zuhause für Bekannte und Nachbarn Krippen gebaut. "Aber irgendwann hat es mir allein keinen Spaß mehr gemacht", sagt der 62-Jährige.

Ein Krippen-Großprojekt ist in der Mache

Das Großprojekt, das jetzt hinten in der Werkstatt steht, ist eine Krippe für die psychiatrische Klinik in der Nußbaumstraße mit alten wertvollen Figuren. Im Verein gibt Milla seine jahrelange Erfahrung weiter. An sechs Abendterminen können Laien von ihm lernen, wie aus Styropor Landschaften werden und man aus Naturmaterialien eine Begrünung bastelt.

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Aber damit das auch eine Zukunft hat, hoffen Nadine Kagerer und die anderen Vereinsmitglieder nun darauf, dass sich da draußen noch mehr Krippenfreunde befinden, die ihr Hobby auch zur Vereinsarbeit werden lassen wollen. "Wir sind in der zweiten Reihe sehr gut organisiert", wirbt Nadine Kagerer. Der neue Vorstand hätte einen sanften Einstieg. Mit den Fachkenntnissen zeigen sich die Krippenfreunde gnädig. "Dafür gibts ja uns", sagt Nadine Kagerer.

Die Damen im ersten Räumchen neben dem Kellereingang, die sich zum Handarbeiten getroffen haben, sind da etwas strenger: "Er muss schon was von Krippen verstehen", sagt eine weißhaarige Frau, die gerade Perlen auf ein Nylonband auffädelt. "Er muss uns gut nach Außen präsentieren", sagt Anneliese Schreiber, sie ist mit 85 Jahren die Älteste in der Runde. Trotzdem findet sie: "Zu alt sollt er schon ned sein, er soll's ja schon bisserl machen".

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  • Witwe Bolte am 29.11.2021 06:40 Uhr / Bewertung:

    St. Theresia befindet sich aber nicht in Schwabing, sondern in Neuhausen.

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