Münchner Kreative: "Gebt uns Freiräume in der Stadt"

München - Wieso eigentlich nicht einen Club auf die alte Flughafenlandebahn nach Riem verlagern, openair, kostenlos, mit Abstand? Oder junges Theater machen auf der Freifläche am Ostpark-Theatron? Oder Parkhäuser öffnen für Graffitikünstler, Musiker, Performanceleute? Und zwar jetzt, sofort, weil der Sommer da ist?
Münchens junge Kreative, die in ihrer Freizeit nicht-kommerzielle Feste, Kunst und Jugendkultur auf die Beine stellen, haben längst Konzepte für Freiräume in der Stadtverwaltung vorgestellt. Auch aus dem Stadtrat gibt es mehr und mehr Unterstützung. Nur: Voran geht nicht wirklich was.
Jetzt reicht es ihnen mit Warten, an diesem Samstag ab 12 Uhr organisieren 15 Kollektive (Gruppen aus DJs, Partyveranstaltern, Musikern, Filmemachern, bildenden Künstlern und mehr) mit dem Kreisjugendring mehrere Demos in der Stadt, Motto: "Freiräumen jetzt". Worum es geht, erklärt der Freiraum-Aktivist Joshua Neumann.
AZ: Herr Neumann, vor einem Jahr haben junge Kreative im Rathaus erklärt, was es braucht, um Situationen wie am Partyhotspot Gärtnerplatz oder am Eisbach zu entzerren. Was hat sich getan seither?
JOSHUA NEUMANN: Zu wenig. Wir haben eine Partyampel am Gärtnerplatz, die anzeigen soll, wann es zu voll wird. Und ein paar Anträge von Parteien im Rathaus, die der Jugend mehr Freiraum verschaffen wollen. Aber es gibt immer noch keine neuen Flächen, die wir ganz offiziell und ohne Konsumpflicht nutzen können, für Bands, Theater, Performance, Videokunst, DJ-Events oder Raves. Dabei ist der Sommer da. Jetzt!
"Wir wünschen uns schnelle und unbürokratische Genehmigungen"
Wo stockt es denn? Politischer Wille wäre ja inzwischen da.
Oft sind einfach zu viele städtischen Referate mit einer Sache befasst. Da schiebt dann jede Verwaltung das Thema an die nächste weiter, und heraus kommt lange nichts.
Was schlagen Sie vor?
Wir wünschen uns, dass der OB der Verwaltung die Möglichkeit gibt, schnell zu genehmigen, dass wir Flächen nutzen dürfen. Wie letzten Sommer, als es um die Gastro ging. Da wurden Schanigärten ja auch unbürokratisch genehmigt.
Welche Flächen könnten Kollektive sofort bespielen?
Die am Ostpark-Theatron, zum Beispiel. Da könnten wir Theater spielen, Performances machen und Konzerte veranstalten, und zwar selbst organisiert. Oder leere Parkhäuser, wie das am Audi Dome. Ein guter Platz ist auch die alte Landebahn in Riem, die hat überhaupt keine Nachbarn. Ideal für Raves, musikalische Performances, Lichtinstallation, Poetry-Slam. Es geht auch alles parallel, manche Kunstformen bauen ja aufeinander auf.

Wer kümmert sich, dass Abstandsregeln eingehalten werden, dass alles friedlich läuft, dass kein Müll liegenbleibt?
Dafür haben wir Awareness-Leute, die genau damit Erfahrung haben. Sie achten darauf, dass sich keiner daneben benimmt, sie können auch mal Konflikte lösen. Alle Kollektive, die ich kenne, gehen umsichtig mit den Plätzen um und hinterlassen sie so aufgeräumt, wie sie sie vorgefunden haben.
Wie ist der Sachstand bei der alten Schnapsbrennerei in Berg am Laim, die seit Jahren leer steht? Auch die wollen ja junge Kollektive bespielen?
Das Gelände an der Neumarkter Straße gehört dem Bund und ist ein Paradebeispiel für ungenutzte Freiflächen. Es ist zentral gelegen und vielseitig nutzbar, wird aber verwahrlost sich selbst überlassen.

Sie kommen also nicht heran an Flächen dort?
Seit Corona gibt es einen Mietvertrag für ein Lager zur Pandemiebekämpfung. Das Gelände ist wohl doch plötzlich nutzbar. Aber was mit der Fläche danach passiert, bis sie bebaut wird, ist unklar. Wir als Common Ground Kollektiv würden es gern als Interessensgemeinschaft für Kunst und Kultur nutzen.
"Die Stadtpolitik muss das Potenzial der jungen Münchner Szene begreifen"
Mal realistisch, was denken Sie, geht diesen Sommer noch für Münchens junge Leute?
Der Sommer wird davon geprägt sein, dass junge Künstler und Kulturmacher Aktionen machen, und sich Räume selbst aneignen, wie an diesem Samstag. Es wird in Kooperation mit der Stadt auch erste Pilotprojekte für bespielbare, nicht-kommerzielle und selbstverwaltete Freiräume für Raves geben, aber wo, ist noch unklar.
Für eine dauerhafte Nutzung?
Ja, das ist der Plan, aber genaues wissen wir noch nicht. Ich kann nur hoffen, die Stadtpolitik begreift das Potenzial der jungen Münchner Szene und unterstützt uns endlich vollumfänglich. Wir werden immer wieder aufstehen, bis ein Ende der Zwischennutzungen in Reichweite ist, wir brauchen Dauerlösungen.
Demo am Samstag: Elf Events in München
Beim Demo-Aktionstag "Freiräumen jetzt (Samstag) organisieren Künstler-Kollektive elf Events an mehreren Orten Münchens. Um 12 Uhr startet Common Ground vor der früheren Zwischennutzung "5.000 Zimmer Küche Bad" in der Pappenheimstr. 14 mit Bands, DJ-Sets und Lesung.
Um 14.30 Uhr geht's vor der LMU weiter mit Bushbass & Isarbass (Rave mit DJ-Sets und Performances).
14.30 Uhr: Elektromusik mit DJs an der Gerner Brücke mit Unknown Future.
18 Uhr, Baldeplatz: Signal-Spektakel mit DJs, Freestyle Sessions, Punkbands und mehr. www.freiraeumen.jetzt Instagram: @freiraeumen
Das sagen andere Münchner Kreative:
Benni Zimmer: "Nicht reden, machen!"
Benni Zimmer (23) studiert Umweltingenieurwesen, ist Gründungsmitglied vom Verein Kollektivis und Teil des elektronischen Musik-Kollektivs Bushbash, einer Gruppe aus DJs, Veranstaltungstechnikern und Dekorationsfans, die Rave-Events in und um München organisiert: "Wir gehen am Samstag auf die Straße, damit wir nicht übersehen und vergessen werden. Wir sind im Gespräch mit der Stadt, aber da wird vor allem besprochen, wann es wieder Gespräche gibt."

"Wir brauchen aber jetzt Freiraum, den wir konsumfrei gestalten dürfen, weil jetzt der Sommer kommt. Von Krawallvorfällen wie am Englischen Garten distanzieren wir uns komplett. Wir wollen diverse Veranstaltungen in geregeltem Rahmen machen, mit Registrierung, Coronarichtlinien und Klos. Nicht mehr reden, machen!"
Sabrina Gill: "Ausgleich durch Kreativität und Tanzen"
Sabrina Gill (23), studiert evangelische Theologie und ist Teil des Kollektivs "Signal", das unter anderem Tanz-, Musik- und Kulturevents veranstaltet. Dafür brauchen sie und ihre Mitstreiter Räume und Freiflächen. "Durch Corona", sagt sie, "ist ein großes Ventil für Kultur und Kunst auf einmal nicht mehr da. Man fühlt sich ein wenig allein gelassen mit seinem Frust, seiner Freude, seiner Wut, weil man sie mit niemandem teilen kann."

"Es gibt zur Zeit keinen Ausgleich vom Alltag durch Austausch, Kreativität und Tanzen. Für mich persönlich hat es in gewisser Weise Einsamkeit zur Folge." Am liebsten würde das Kollektiv Flächen am Schlachthof bespielen - draußen, um "Corona entgegenzuwirken", mit Masken und Hygienekonzept. "Zugeteilte, markierte Flächen für Personen oder Gruppen können eine ausgelassene Stimmung bieten, mit geringerem Infektionsrisiko."
20s-Mag-Macher: Raum, um Kunst zu teilen
Swann Windisch (23), Amerikanistikstudent, schreibt Gedichte und Kurzgeschichten und hat das Künstlerkollektiv und Kunstmagazin "20s Magazine" (kurz: "20s Mag") gegründet, eine offene Plattform, auf der sich junge Künstler verschiedener Sparten präsentieren können. Mitstreiter sind Sarah Diosa (20, Musikerin und Sängerin) und Samuel Frömel (20), der hauptsächlich malt."

"Letzten Winter haben sie noch in einer Zwischennutzungswerkstatt arbeiten können. Sie suchen nun neuen Raum, in dem sie arbeiten und auch Ausstellungen, Lesungen, Talks oder Live-Musik mit "20s Mag" machen und eine Gemeinschaft schaffen können, in der sich ihre Kunst teilen lässt. Gerade in diesen Pandemiezeiten sei das wichtig. "Corona", sagt Swann, "hat für uns die Gefahr bedeutet, den Kontakt zum gemeinschaftlichen Element der Kunst zu verlieren."