Münchner Hauptbahnhof: Schade um die Schalterhalle
Georg Laschinger (85) hat jahrzehntelang die Fensterfront des Münchner Hauptbahnhofs geputzt. Die Abrisspläne machen ihn wehmütig - und wütend.
München - Als 1953 der damals 19-jährige Georg Laschinger rund um den Münchner Hauptbahnhof zum Fensterputzen begann, säumten noch Dutzende Ruinen aus dem Zweiten Weltkrieg seinen Weg zur Arbeit. Auch dort, wo heute die Schalterhalle des Bahnhofs noch einige Monate zu sehen sein wird, stand kaum ein Stein auf dem anderen.
Der Wiederaufbau Münchens nahm in den 1950ern allmählich Fahrt auf. "Ich konnte beobachten, wie die Schalterhalle über die Jahre aufgebaut wurde", erzählt Laschinger, als ihn die AZ zu Hause besucht. Und als die Halle dann stand, begeisterte das 21 Meter hohe Werk zusammen mit dem Schwammerl über die Stadtgrenzen hinaus. Aufbruchsstimmung herrschte. "Die Hallenfassade mit dem Mosaik und der Uhr wirkte damals so modern und funkelte", sagt Laschinger, als er in seiner Küche die Bilder von damals zusammensucht.
Laschinger: Wir hatten damals eine Woche lang offene Finger
So große Fensterflächen brauchten natürlich Sauberkeit und Pflege. Den Zuschlag bekam die Firma, bei der Laschinger arbeitete. "Alle zwei Monate reinigten wir die Fensterfront", erzählt Laschinger, "und alle sechs Monate beauftragte uns die Bahn mit einer Grundreinigung: Fenster samt Rahmen, Jalousetten und Panele."
Die Schalterhalle am Münchner Hauptbahnhof ist endgültig dicht
An die Großreinigung erinnert sich Laschinger besonders schmerzhaft: "Wir benutzten ein Scheuermittel, von dem wir eine Woche lang offene Finger hatten", sagt er, öffnet die Hand und streicht sich am Daumen entlang. Klingt so, als wäre das heutzutage ein Fall für das Arbeitsgericht. Aber Laschinger schwärmt von dem Ergebnis: "Die Halle hat danach gold-gelb geschimmert wie am ersten Tag", sagt er und starrt lächelnd gegen seine Küchenwand. Man merkt: Gedanklich steht er gerade vor der frisch polierten Empfangshalle von früher.
Nicht nur die offenen Finger, auch die Arbeitsbedingungen lassen einen heute schaudern: Kaum Sicherungen, einfache Drehleitern aus Holz und Termindruck in 15 bis 18 Metern Höhe: "Wenn ich die großen Fensterfronten abgezogen habe, schwankte die Leiter von links nach rechts, obwohl mein Kollege sie von unten festgehalten hat", erinnert sich Laschinger. Ob er denn damals Höhenangst hatte? "Ich komm aus Niederbayern, sowas kenn' I ned", sagt er und zwinkert. Heute kann er sich das kaum noch vorstellen. "Wenn ich dran denke, wie ich da auf der Holzleiter stand, wird mir heute schon anders."
Laschinger kritisiert die Bahn: "Sie haben die Halle kaputtgespart"
Seinen Humor verliert Laschinger endgültig, als es um den anstehenden Abriss der Schalterhalle geht. Denn er ist völlig dagegen und macht der Bahn Vorwürfe. "Sie haben die Halle kaputtgespart", ist Laschinger überzeugt, "kurz bevor ich in Rente ging, ließ die Bahn die Fassade nur noch zwei Mal im Jahr reinigen. Natürlich schaut die jetzt so ungepflegt aus." Eine Modernisierung des vorhandenen Gebäudes wäre ihm viel lieber gewesen. Doch alles deutet bekanntlich darauf hin, dass Laschinger einer der wenigen Münchner sein dürfte, der Aufbau und Abriss der Schalterhalle miterleben wird.
Ob ihm der Neubau gefällt oder nicht, darauf geht der 85-Jährige gar nicht ein, aber er kennt die Pläne. "Da sind ja noch mehr Fensterfassaden als heute, die müssen doch genauso gepflegt und gereinigt werden", schimpft Laschinger.
Die schwere Arbeit hielt Laschinger fit
Tausende Arbeitsstunden hat Laschinger hier verbracht. Er glaubt, dass ihn die schwere Arbeit von damals langfristig auch fit gehalten hat, obwohl er manchmal diese aggressiven Scheuermittel verwendete. "Leiter rauf, Leiter runter, den ganzen Tag auf den Beinen und an der frischen Luft - ich glaub' schon, dass ich auch deshalb 85 geworden bin", sagt Laschinger. Doch der Giesinger ist offenbar auch hart im Nehmen. Laschinger überlebte 1984 einen Hirntumor, der operiert werden musste.
Leidensfähigkeit beweist er auch als Ur-Fan der Sechzger - und hat damit eine weitere Erinnerung an die Schalterhalle. Irgendwann in den 60ern war er nämlich nach einer erneuten Niederlage so sauer, dass er mit der Polizei aneinandergeriet. "Ich hatte die Zeitung in der Hand, stand da in der Schalterhalle mit meinem Kollegen und hab halt vor mich hingeschimpft", erinnert er sich, "dann kamen zwei Zivilbeamte und fragten, was los ist. Wir wurden wohl verdächtig. Sie nahmen uns in die Ettstraße mit und haben uns zwei Stunden eingesperrt, bis alles geklärt war." Laschinger kann heute darüber lachen.
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