Münchner erzählen: So helfen wir der Ukraine
München - Irgendwas machen, mithelfen, die furchtbare Not der Ukrainer zu lindern, die seit einer Woche im Krieg kämpfen oder aus dem Krieg fliehen. Mit Hilfsgütern, mit Transportfahrten, mit Plätzen zum Wohnen. Diese Gedanken treiben in diesen Tagen die meisten Münchnerinnen und Münchner um. Und viele, viele machen es längst, ohne lang zu überlegen.
Ukraine-Krieg: Zahlreiche Münchner bieten Hilfe an
Weit über 1.000 haben sich beim Verein Münchner Freiwillige registriert, um spontan freie Zimmer anzubieten, Hunderte melden sich als Fahrer beim Verein Heimatstern, um Hilfsgüter Richtung Kriegsgebiet zu bringen oder Menschen nach München zu holen.
Vor der ukrainisch-katholischen Kirche bilden sich Schlangen von Freiwilligen, die Medikamente, Schlafsäcke, Decken bringen. Privatinitiativen sammeln in Garagen, Busunternehmer bieten Reisebusse an, ein Sanitätshaus ruft zur Spende von Rollstühlen und Krücken auf. Und etliche Münchner hält nichts mehr daheim. Sie steigen einfach in ihre Autos, um auf eigene Faust flüchtende Frauen, Kinder und Alte von der Grenze abzuholen. Die AZ hat einige dieser Geschichten gesammelt.
Eine Vorstadt-WG macht Platz für Ukrainer: Münchnerin räumt ihr Schlafzimmer
Monika Grüners Haus in Martinsried ist groß genug für mehr Menschen als ihre zweiköpfige Familie. Darum wohnt sie unten, ihr Sohn Michi (23) im Dachgeschoss. Und die Zimmer im ersten Stock hat sie an drei junge Leute vermietet, die malaysische Studentin Elsa (26) und das türkische Pärchen Günes (22) und Baris (25) - es ist eine quirlige Vorstadt-WG geworden.
Jetzt will die Assistentin bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (49) auch noch ihr Schlafzimmer mit Bad räumen, ins Wohnzimmer ziehen - und so Platz machen für eine der Mütter mit Kindern, die Putins Soldaten gerade aus der Ukraine vertreiben. "Man kann doch nicht die Bilder dieser verzweifelten Frauen mit Babys und kleinen Kindern sehen und nur betroffen auf der Couch sitzen bleiben", sagt sie, "ich will was tun, bevor mich die Angst lähmt."

Also hat sie im Internet gesucht und ist auf die Vereine Heimatstern und Münchner Freiwillige gestoßen. Die organisieren nicht nur Spendensammlungen und Transporte, sondern sammeln auch Adressen von Münchnern, die geflüchtete Familien aufnehmen. "Wenn man sein Haus mit Menschen teilt", sagt sie, "gibt man ja nicht nur, man bekommt ja auch viel zurück, neue Eindrücke, Gespräche, Einblick in andere Kulturen." Ihr Schlafzimmer mit Bad will sie erst mal für ein paar Wochen zur Verfügung stellen, das kann einer Mutter mit ein, zwei Kindern zumindest ein bisschen Privatsphäre bieten. Wie man sich verständigen wolle? "Vielleicht englisch, vielleicht bairisch, mit Händen und Füßen wird's schon gehen", sagt sie. "Und ich bin sicher, dass man den Thermomix in der Küche auch auf ukrainisch einstellen kann."
Fahrt zur ukrainischen Grenze: Im T6 aus dem Krieg nach München
Nicht nachdenken. Einfach machen. Das durchzuckte Marcel Meier (37), als er am Sonntag vor der ukrainisch-katholischen Kirche in der Schönstraße in Untergiesing stand, um zu fragen, wie er helfen kann. Und dort auf einen Mann namens Igor traf. Der erzählte von zwei Frauen, drei Kindern und einer Oma, die er aus dem Kriegswahnsinn heraus und zu sich nach München holen wolle, sie seien auf der Flucht aus Luzk in der Westukraine vor der polnischen Grenze gestrandet.

Nur wie das bewerkstelligen, ohne Auto? Marcel Meier packte spontan nicht nur Igor in seinen T6-Transporter, sondern auch Kisten an gespendeten Medikamenten, fuhr tanken und dann einfach los. Knapp 1.200 Kilometer nach Osten, über Krakau bis ins polnische Dorf Szówsko kurz vor der ukrainischen Grenze. Dort ist ein Bauernhof zur Verteilerstelle für Medizin geworden.
"Wir sind dann noch drei Stunden an der Grenze entlang nach Norden gefahren, Igor immer im Handykontakt zu den Frauen", berichtet Marcel Meier. Dienstagmittag endlich schafften es die sieben Menschen bei Ustyluh durch die Grenze herüber auf die polnische Seite: Alina (29) mit ihrem Sohn Kiryl (3). Und Maria (43) mit Oksana (18), Orist (10) und Oma Marina (65). Die Väter der Kinder, beide Polizisten, sind an der Front geblieben. "Können Sie sich die leeren Blicke der Frauen vorstellen?", sagt Marcel Meier. Er hat sie heil nach München gebracht, sie bleiben vorerst bei Freunden. Für Meier ist es nur ein Anfang. Der Immobilienunternehmer hat gleich noch einen Reisebus angemietet. Der holt gerade die nächsten 50 Frauen und Kinder ab. "Es geht nicht anders", sagt er, wir müssen zusammenrücken."
Ein Helfer sucht Helfer
Er selbst lebt seit 22 Jahren in München, seine Ehefrau Alina (31) und Tochter Anna (11) sind in Kiew. Schon lange möchte Gabelstaplerfahrer Vladyslav D. die beiden zu sich holen. Doch er findet einfach keine bezahlbare Wohnung in München. Nun bangt der 40-Jährige Tag und Nacht um seine Liebsten: Denn sie sind mitten im Kriegsgebiet - in Kiew, das seit Tagen unter Beschuss von Putins Truppen steht.

"Ich suche ständig nach einer Möglichkeit, um meine Frau und unsere Tochter aus der Stadt zu bringen", berichtete Vladyslav D. der AZ. Weder er noch seine Frau haben einen Führerschein und also auch kein eigenes Auto. Der Vater hofft, dass Alina und Anna bei jemandem mitfahren können, der die Stadt verlässt. Sie haben überlegt, ob sie versuchen sollen einen Platz zu ergattern in einem der Züge nach Polen, doch das hält der Vater für viel zu riskant. "Andere haben berichtet, dass der Zug, der sonst in 6,5 Stunden ohne Halt nach Lemberg fährt, zwei Tage gebraucht hat. Die Züge sind völlig überfüllt." Die Stadt mit einem Bus zu verlassen sei ebenfalls keine Option. "Der Weg durch die Stadt wäre lebensgefährlich. Bürgermeister Vitali Klitschko sagt, es ist sehr, sehr gefährlich, jetzt ins Zentrum zu fahren."
Ängste und Sorgen bringen Vladyslav D. um den Schlaf. Gleichzeitig ist es selbstverständlich für ihn, Landsleuten zu helfen. Am Montagnachmittag bekam der Gabelstaplerfahrer eine Nachricht aus der Ukraine: ob er und seine Eltern eine Mutter und ihre drei Kinder (19, 17, 4) bei sich aufnehmen könne. Vladyslav D. wohnt zur Zeit bei seiner Mutter (53) und deren schwerkranken Mann (76): in einer 55 Quadratmeter kleinen 2,5-Zimmer-Wohnung in Forstenried. Obwohl die Wohnverhältnisse auch so schon beengt sind, hat die Familie keine Sekunde gezögert, die Geflüchteten bei sich aufzunehmen. Bis die geflüchtete Familie eine neue Bleibe gefunden hat, schlafen die Mutter und ihre beiden Töchter auf dem Sofa, der Sohn daneben auf dem Fußboden. Derweil sucht er weiter nach jemandem, der seine Familie aus Kiew bringt. Und er hofft auf eine 1,5- bis 2-Zimmer-Wohnung in München bis 750 Euro Warmmiete für sich und seine kleine Familie.
Haben Sie auch eine Hilfsaktion gestartet? Schreiben Sie uns an: lokales@az-muenchen.de