Münchner Bahnlotsen: "Ein komplexer Job"

Was macht ein Fahrdienstleiter, wie wird er ausgebildet und warum ist er nicht beliebig austauschbar? Die AZ sprach mit einem alten Hasen und einem Auszubildenden.
von  Agnes Vogt
Hinter den Fenstern des markanten Turms an der Münchner Hackerbrücke werden die Züge aufs richtige Gleis geleitet.
Hinter den Fenstern des markanten Turms an der Münchner Hackerbrücke werden die Züge aufs richtige Gleis geleitet. © Gregor Feindt

Was macht ein Fahrdienstleiter, wie wird er ausgebildet und warum ist er nicht beliebig austauschbar? Die AZ sprach mit einem alten Hasen und einem Auszubildenden.

München - Dafür, dass er Quereinsteiger ist und sein Traumjob eigentlich mal ein anderer war, spricht Markus Belling ziemlich euphorisch über seinen neuen: Er wird Fahrdienstleiter bei der Deutschen Bahn.

In ein paar Wochen beginnt in München seine viermonatige Ausbildung. Belling ist 29, hat studiert und wollte Lehrer werden. Dann aber war alles komplizierter mit seiner Fächerkombination, als er es sich vorgestellt hatte, und so wurde er aufmerksam auf den Job des Fahrdienstleiters.

Nachdem er eine medizinische Untersuchung und einem komplexen Eignungstest, bei dem es eine Durchfallquote von 50 bis 70 Prozent gibt, geschafft hatte, wurde er aufgenommen in den Kreis derer, die sich als Qualifizierungslehrlinge im Schnellverfahren zum Fahrdienstleiter ausbilden lassen.

In etwas mehr als vier Monaten wird er viel Verantwortung haben: Belling wird Züge durch München dirigieren und damit für die Sicherheit vieler tausend Pendler und Reisenden sorgen, die nach München kommen, durch München fahren oder München verlassen. „Ich werde für einen gewissen Bereich Strecken überwachen, Weichen stellen, Gleise für ankommende Züge ausweisen und aufpassen, dass alles reibungslos läuft“, sagt Belling.

Fahrdienstleiter sind so etwas wie Lotsen für die Eisenbahnen. Sie passen in den Stellwerktürmen über den Gleisen darauf auf, dass auf Strecken und in Bahnhöfen alles funktioniert, jeder Zug auf dem richtigen Gleis ankommt, egal, ob in Holzkirchen oder München Ost.

„Der Beruf ist sehr komplex“, sagt Thomas Pössinger, der wie Markus Belling seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Pössinger hat knapp 20 Jahre jeden Tag rund 1000 Züge in einem großen Stellwerk in München abgefertigt. Um in so einem Stellwerk, sei es in Pasing, München Ost oder im Hauptbahnhof, Fahrdienstleiter zu sein, braucht man schon einige Jahre Erfahrung, muss „fit und sattelfest“ sein, wie er sagt – im Beruf und auch in dem örtlichen Netz. Das ist auch ein Grund, warum nicht irgendeiner der rund 12.000 Fahrdienstleiter aus Deutschland in Mainz aushelfen kann.

„Man braucht, um die Stellwerke bedienen zu dürfen, eine besondere Lizenz. Und die müssen die Fahrdienstleiter erst erwerben, um dann dort arbeiten zu dürfen. Das geht nicht mal eben auf die Schnelle“, erklärt Pössinger. Und mit dieser Lizenz ist es nicht getan: Der Fahrdienstleiter muss durch regelmäßiges Diensthaben in diesen Stellwerken seine Tauglichkeit permanent nachweisen. „Hat jemand bei einem der hochkomplexen Stellwerke für drei Monate keinen Dienst versehen, verfällt die Lizenz. Bei kleineren Stellwerken verfällt sie nach sechs Monaten“, sagt Pössinger. Dann muss man eine neue so genannte „Verwendungsprüfung“ ablegen.

Diese Standards verleihen den Reisenden die nötige Sicherheit, mit der Bahn unterwegs zu sein. Aber sie zeigen auch, dass ein System wie dieses so komplex und individuell ist, dass man es sich eigentlich nicht leisten kann, an Fachkräften wie den Fahrdienstleistern zu sparen.

„Mainz ist kein Einzelfall, München ist genauso gefährdet wie alle andere Standorte auch“, sagt Pössinger. Nur gibt es in München – derzeit – keinen so hohen Krankenstand, der die Urlaubspläne aus den Angeln hebt. Trotzdem: „Die Lage ist sehr angespannt unter den Kollegen. Sie gehen an ihre Grenzen, arbeiten sieben Tage am Stück, wenn es nicht anders geht, auch 55 Stunden pro Woche. Sie haben oft keine geregelten Schichten, sondern Wechseldienste. Das zehrt an den Kräften.“

Eigentlich bräuchten die Fahrdienstleiter immer wieder ausreichende Ruhephasen, um ausgeruht zur nächsten Schicht zu erscheinen. Pössinger: „Aber wie soll das gehen, wenn die wechselnden Schichten den Biorhythmus nicht zur Ruhe kommen lassen?“ Auch ein früherer Ruhestand – wie sie für Fluglotsen wegen des anspruchsvollen Jobs gilt – existiert nicht. „Wer die Tauglichkeitsprüfungen besteht, der arbeitet durch bis zum tariflich bestimmten Rentenbeginn.“

Markus Belling ist sich aber dennoch sicher, dass er sich den richtigen Job ausgesucht hat. „Ich weiß, dass es hart ist. Ich weiß auch, dass die Schichten an einem zehren.“ Gut findet er aber, dass sein Job garantiert nicht wegrationalisiert wird. Sind erst einmal alle Prüfungen geschafft, dann wird, so steht es in seinem Vertrag, „eine Übernahme beabsichtigt“. Wo gibt es das heute noch?

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