Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter muss vor Grünen und CSU zittern

Nach dem Schock-Ergebnis bei der Europawahl sortiert sich die SPD neu. Eine Mehrheit im Stadtrat jenseits der Sozialdemokraten scheint bei der Wahl 2020 denkbar. Die Konkurrenz frohlockt schon.  
von  Emily Engels
Kristina Frank (CSU).
Kristina Frank (CSU). © AZ-Archiv

Nach dem Schock-Ergebnis bei der Europawahl sortiert sich die SPD neu. Eine Mehrheit im Stadtrat jenseits der Sozialdemokraten scheint bei der Wahl 2020 denkbar. Die Konkurrenz frohlockt schon.

München - Montags empfängt der Oberbürgermeister seine städtischen Referenten, um die wichtigen Themen zu besprechen. Das hat im Rathaus-Terminkalender eine lange Tradition. Die Runde trifft sich auch am Montag nach der Europawahl. Der OB allerdings fehlt dieses Mal. Reiters montägliche Gesprächsrunde mit den hohen Vertretern der Münchner SPD findet hingegen mit dem OB statt.

Ein Bild mit Symbolkraft: Die SPD, die es gerade noch auf ein zweistelliges Ergebnis geschafft hat, ist in tiefer Sorge. Es gibt in der Partei viel zu besprechen an diesem Krisensitzungs-Montag, dem Tag, nach dem die SPD in keinem einzigen Münchner Bezirk mehr stärkste Kraft war. Alle gingen an Schwarz oder Grün. (Wie die Münchner bei der Europawahl abgestimmt haben, erfahren Sie hier)

SPD-Fraktionschef Reissl: "Das ist ein richtige Scheißergebnis"

Und auch solche, die sonst gerne laut poltern, üben sich plötzlich in großer Demut. Alexander Reissl, zum Beispiel. Der Fraktionschef, der im Rathaus so viele Schlachten an vorderster Front geschlagen hat, spricht an diesem Tag mit leiser, fast gebrochener Stimme. "Das ist ein richtiges Scheißergebnis. Unser vorläufiger Tiefstpunkt", sagt er zur AZ. "Es gibt zu viele Unstimmigkeiten in der SPD, es fehlt der gemeinsame Wille."

Die einst so stolze "München-Partei" SPD verliert offenbar immer weiter an Zustimmung, inzwischen sind die Grünen sogar in manch klassischem Kleine-Leute-Viertel wie etwa in Laim stärkste Kraft. "Den Draht zu den Arbeitern, den gibt es nicht mehr – das ist auch in München so", sagt Reissl.

Kristina Frank (CSU).
Kristina Frank (CSU). © AZ-Archiv

SPD startet "Vorwahl-Kampagne" für 2020

Aber wie bekommt man die Münchner zurück? Die Zeit drängt. Schon im März wird der OB neu gewählt – und der Stadtrat. Während man sich in der Partei für die OB-Wahl demonstrativ zuversichtlich gibt und weiter von einem deutlichen Sieg für den populären Reiter ausgeht, scheint ein Horror-Szenario für die SPD immer wahrscheinlicher zu werden.

Vieles deutet darauf hin, dass die Grünen stärkste Kraft werden, es für Grün-Rot aber nicht reicht. Dann könnten die Grünen mit der CSU koalieren – und eine Mehrheit gegen den OB bilden, der dann zwar noch oberster Chef der Verwaltung wäre. Aber große Probleme hätte, noch politisch Akzente zu setzen. Reissl klingt beinahe ein bisserl trotzig, wenn er sagt: "Wir haben vom Ansatz eine solide und gute Politik."

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Doch warum merkt das kaum noch einer? Schon am Montag hängte die SPD neue Plakate in der Stadt auf, begann mit einer "Vorwahl-Kampagne" für 2020. Sie will so mit München-Themen wie einer kommerzfreien Isar verbunden werden. Man hofft, sich doch noch vom Bundes-Trend absetzen zu können. Bereits im Juni sollen auf einem Parteitag neue Pläne für die Stadt beschlossen werden.

OB Reiter bald ein "Herrscher ohne Land"?

Die Nervosität, jetzt noch mehr Fehler zu machen, ist in der Partei groß. Für die AZ ist der OB am Tag nach der historischen Niederlage seiner Partei gar nicht zu sprechen, eine Sprecherin verweist auf die Verantwortlichen in der Partei.

Intern habe sich Reiter am Montag "gefasst" gezeigt, heißt es in der SPD. Er war offenbar vorbereitet auf das, was seine Partei erwartet. Dazu passt eine Anekdote, die man sich derzeit bei den Münchner Grünen gerne erzählt. Beim Wahlkampfhöhepunkt der Öko-Partei am Marienplatz sei Reiter vorbeigekommen – und habe gewitzelt, dass für ihn manches leichter wäre, wenn er zu den Grünen wechseln würde.

Das gilt wohl besonders mit Blick auf die Wahl 2020 – nach der Reiter ein "Herrscher ohne Land" sein könnte, wie einer im Rathaus ätzt. "Das wollen wir nicht zulassen, da steuern wir dagegen", beteuert München-SPD-Chefin Claudia Tausend.

Grünen-OB-Kandidatin Katrin Habenschaden will verstärkt ökologisch-soziale Kriterien in die Vergabe von städtischen Gewerbeflächen einfließen lassen.
Grünen-OB-Kandidatin Katrin Habenschaden will verstärkt ökologisch-soziale Kriterien in die Vergabe von städtischen Gewerbeflächen einfließen lassen. © AZ-Archiv

Und die CSU? Generalsekretär Markus Blume gibt die Marschrichtung vor: 2020 wolle man wieder stärkste Kraft in München werden. OB-Kandidatin Kristina Frank betont, dass das "linke Lager" insgesamt nicht gewachsen sei. "Es ist schon interessant, dass die SPD mehr verloren hat, als Grün gewinnen konnte", sagt sie zur AZ.

Ist eine Koalition der CSU mit den Grünen denkbar? Vor allem bei Verkehrsthemen gehe man schon stark in der Meinung auseinander, sagt Frank. "Eine Koalition kann ich mir mit jeder demokratisch legitimierten Partei vorstellen, die nicht zu stark nach rechts oder links ausschwenkt." Begeisterung klingt anders.

Auch Katrin Habenschaden (Grüne) will – zumindest öffentlich – noch nicht zu sehr frohlocken. Bis zur Wahl konzentriere sie sich auf die Sachpolitik, sagt sie. Und Reiter? Will schnell zurück zu schönen Bildern. Für Dienstag hat er die Presse auf den Rathausbalkon eingeladen. Dort stellt er den neuen, bienenfreundlichen Schmuck vor. Die Bienen versprechen in Bayern ja neuerdings Erfolg. Ganz anders als die SPD.

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