Münchens OB Dieter Reiter: Wir sind keine Spaßverhinderer

2018 war für die SPD kein gutes Jahr. Im AZ-Interview spricht Oberbürgermeister Dieter Reiter über die Krise seiner Partei – und über mögliche Lösungen.
von  Felix Müller, Florian Zick
"Ob ich in der SPD bin oder woanders, ist den meisten egal": Oberbürgermeister Dieter Reiter beim AZ-Interview in seinem Büro
"Ob ich in der SPD bin oder woanders, ist den meisten egal": Oberbürgermeister Dieter Reiter beim AZ-Interview in seinem Büro © Daniel von Loeper

München - Seit 30 Jahren ist Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter in der SPD, im Jahr 2018 musste seine Partei zahlreiche herbe Schlappen hinnehmen. "Ich glaube, in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gab es für die Partei keine Niederlage, die bitterer gewesen ist", sagt er über den Tiefpunkt bei der Landtagswahl. Im Interview mit der AZ spricht der 60-Jährige über die Krise seiner Partei und wie diese überwunden werden kann.

AZ: Herr Reiter, Sie hatten’s heuer alles andere als leicht mit Ihrer SPD.
Dieter Reiter: Ich bin seit über 30 Jahren in der SPD und ein überzeugter Sozialdemokrat. Die aktuell schlechten Zahlen tun da natürlich weh.

War die Landtagswahl heuer ein persönlicher Tiefpunkt für Sie?
Ein persönlicher sicher nicht. Das ist ja keine Niederlage für mich gewesen – aber es war natürlich ein sehr bitterer Tag. Ich glaube, in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gab es für die Partei keine Niederlage, die bitterer gewesen ist.

Sie als OB sind von der Krise der SPD bislang erstaunlich verschont geblieben. Ihre Popularität in der Stadt ist ungebrochen hoch.
Die Menschen merken halt, dass sich etwas tut. Seit meinem Amtsantritt wurde ein Milliardenprogramm für den U-Bahnbau aufgelegt, die Kita-Gebühren werden drastisch reduziert, für viele Familien sogar ganz abgeschafft. Das merken die Menschen, sie werden das ja direkt auf ihrem Kontoauszug sehen. Ob ich bei der SPD bin oder in einer anderen Partei, ist den meisten da sicher erst einmal egal.

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Verstehen Sie sich dann als überparteilichen Oberbürgermeister?
Ich bin in erster Linie der Oberbürgermeister der Münchnerinnen und Münchner. Im Gegensatz zum Ministerpräsidenten oder zur Bundeskanzlerin bin ich direkt gewählt worden. Ich mache Politik für alle Menschen in unserer Stadt. Aber natürlich teile ich die grundsätzlichen Werte meiner Partei. Das heißt im Wesentlichen, dass ich mich für Menschen einsetze, die keine so große Lobby haben.

Die neue Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern hat in München zusammen nur rund 30 Prozent bekommen. Ein absurd niedriger Wert. Was bedeutet das für die Stadt? Sitzt im Maximilianeum jetzt eine Koalition, die die Interessen der Münchner kaum vertritt?
Naja, München ist von der bayerischen Staatsregierung ja noch nie wirklich bevorzugt worden. Wir haben uns immer alles hart erkämpfen müssen. Übergroße Dankbarkeit gegenüber dem Freistaat empfinde ich jedenfalls nicht. Es ist halt doch immer noch die SPD, die die Interessen der Münchner am besten vertritt. Ich sage das jetzt mal ganz selbstbewusst: Wir haben München in über 50 Jahren zu dem gemacht, was es heute ist.

Als München-Partei machen jetzt aber die Grünen der SPD Konkurrenz.
Dass es bei den jüngsten Wahlen in München einen solchen Hype für die Grünen gegeben hat, ist natürlich etwas, worüber man nachdenken muss. Ich bin aber immer noch der Meinung, dass es nicht an inhaltlichen Aspekten gelegen hat, sondern einfach an den grünen Kandidaten, die frisch, fromm, fröhlich, frei aufgetreten sind. Die haben einen optimistischen Blick in die Zukunft – und das ist momentan das, was die Leute wählen wollen.

Hätten Sie bei der SPD nicht auch gerne eine Katharina Schulze?
Wenn man die Grünen momentan erlebt, nicht nur Katharina Schulze, die strahlen einfach eine Zuversicht aus. Und in einer Stadt, in der es vielen Menschen gut geht, ist das etwas, was viele Wähler anspricht. Die wollen nicht immer mit den Problemen konfrontiert werden, die es in dieser Stadt natürlich auch gibt.

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Wenn wir jetzt schon über frische Gesichter reden: Können Sie uns mal zwei, drei Namen aus der Münchner SPD nennen, die die Partei aus der Krise führen können?
Könnte ich. Aber ich werde keine öffentliche Personaldiskussion führen.

Aber sehen Sie überhaupt Leute, die das Potenzial haben, in zehn, 15 Jahren eine prägende Rolle in der Stadt zu spielen?
Über genau dieses Thema unterhalten wir uns jetzt schon sehr intensiv. Es geht aber nicht nur um Köpfe, es geht schon auch um das Look-and-Feel.

Die SPD muss die Dinge also auch mit einer solchen optimistischen Zuversicht angehen, wie das die Grünen gerade tun?

Wir müssen da nicht die Grünen imitieren, das will ich auch gar nicht. Aber ich glaube, wir als SPD können schon selbstbewusst präsentieren, was wir alles geleistet haben. Wir haben allein heuer Dinge beschlossen, die hätte man früher nicht einmal den Sozialisten zugetraut, beim Mieterschutz zum Beispiel. Da sind uns schon entscheidende Verbesserungen gelungen.

Aber der Wähler goutiert das offenbar nicht. Macht Ihnen das mit Blick auf die Kommunalwahl 2020 keine Sorgen?
Naja, ich will die jüngsten Ergebnisse jetzt nicht schönreden. Aber aus jahrzehntelanger Erfahrung kann man sagen, dass die Menschen genau unterscheiden: Wählen sie für den Landtag, für den Bundestag – oder wählen sie kommunal den Stadtrat und Oberbürgermeister. Da gab’s schon immer 30, manchmal sogar 40 Prozent dazwischen.

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Reiter will noch nicht auf 2020 blicken

War das so?
Ja, klar. Denken Sie an Christian Ude. Der hat als Oberbürgermeister über 66 Prozent bekommen – und dann als SPD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl nur noch 20 Prozent. Da merkt man schon sehr genau, dass die Leute wissen, für welches Amt sie einen gerade wählen.

Für die SPD ist das jetzt aber keine Ermunterung.
Nein, man muss sich natürlich darüber im Klaren sein: Wenn die Wählerinnen und Wähler sagen, ich mache mein Kreuzerl beim Reiter, heißt das noch lange nicht, dass sie ihr Kreuzerl auch bei der SPD machen. Da muss man dranbleiben, Inhalte bringen und die Menschen positiv davon überzeugen, dass wir die richtigen Themen haben, die wir mit der notwendigen Ernsthaftigkeit behandeln, aber zugleich auch keine Spaßverhinderer-Partei sind.

Wenn wir mal bei der Kommunalwahl bleiben. Da versuchen die Grünen zu wiederholen, was bei der Landtagswahl gut geklappt hat: Es tritt mit Katrin Habenschaden wieder eine Frau als Spitzenkandidatin an.
Ja, das ist ja auch vollkommen legitim, dass die Grünen das so machen. Aber neu ist es nicht wirklich. 2014 hieß die Spitzenkandidatin der Grünen Sabine Nallinger.

Mit Katrin Habenschaden pflegen Sie ein ganz gutes Verhältnis. Es ist die Rede davon, dass sie regelmäßig zusammen Pizza essen gehen.
Das stimmt. Das haben wir auch schon früher gemacht.

Wird da schon ein bisschen Rot-Grün vorbereitet für 2020?
(lacht) Wir reden über viele Dinge, wir bereiten aber nichts vor. Das wäre für beide Seiten auch sehr vermessen. Die Wahlen 2020 sind ja schwer prognostizierbar. Die Wähler entscheiden sich oft kurzfristig anhand von aktuellen Entwicklungen. Aber wir tauschen uns aus. SPD und Grüne beschließen ja auch viel zusammen. Deshalb ist es sinnvoll, sich mit der Fraktionsvorsitzenden der Grünen zu treffen.

Reiter will einen "Konkurrenzkampf der Ideen"

Stand jetzt wird Habenschaden aber auch Ihre Hauptgegnerin sein, nicht CSU-Kandidatin Kristina Frank.
Das ist schwer zu sagen. Ich denke, da sollte man das Wählerpotenzial der CSU in München auch nicht unterschätzen. Und wer weiß: Vielleicht hält das Hoch der Grünen auch gar nicht so lange an, sie haben ja schon viele Höhen und Tiefen erleben müssen. Aber die beiden Damen werden sicher einen politischen Wettbewerb auslösen – und das ist auch gut so. Ein Konkurrenzkampf der Ideen – das ist, was die Bürgerinnen und Bürger in einer Millionenstadt wie München von drei großen Parteien erwarten dürfen.

Ihr Ziel muss sein: keine Stichwahl. Oder?
Naja, ich würde mir das als Amtsinhaber natürlich wünschen. Aber auch das obliegt alleine den Wählerinnen und Wählern.

Ist Kristina Frank auch eine, die so einen Katharina-Schulze-Faktor hat?
Das wird sich zeigen.

Sie ist auch jung, auch eher lebendig.
Lebendig sind sie ja beide, Frank genauso wie Habenschaden. Allerdings lebe ich auch noch. Deswegen mache ich mir da keine großen Sorgen.

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