München: Wie sich das Stadtbild verändert

An jeder Ecke wird derzeit gebaut – so scheint es zumindest. Doch es gibt im Stadtgebiet nur noch wenige unbebaute und freie Flächen, auf denen neue Häuser entstehen können. Also müssen auch alte Gebäude abgerissen werden.
München - Nicht selten stößt das auf Proteste von Bürgern oder Initiativen wie den Altstadtfreunden. "Die Häuser, um die die Bürger kämpfen, sind oftmals keine Denkmäler, aber sie sind Heimat", erklärt der Generalkonservator Mathias Pfeil, Leiter des Amtes für Denkmalschutz.
Die Menschen hätten Angst, Identität zu verlieren.
Ein weiterer Kritikpunkt von Pfeil ist die gegenwärtige Architektur. "Sie wird immer gleichförmiger und könnte genauso gut auch am Nordpol stehen", schimpft er. "Ich weiß nicht, was in der Zukunft Denkmalschützer davon mal schützen wollen."
Die AZ hat sich umgeschaut, wo in München Altes verschwindet – oder schon verschwunden ist – und dafür an selber Stelle Neues entsteht.
Hochstrasse 9 - Abriss trotz Denkmalschutz
Das kleine, zweigeschossige Vorstadthaus am Isarhochufer in der Au stammte aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Über dem Eingang des Hauses mit den Rundbogenfenstern und dem Satteldach hing noch bis zum Ende das Firmenschild von "Stortz & Raisig , Orthopädische Werkstätten". Es stand leer, war aber in einem guten Zustand.
"Dieses Haus war sogar im Denkmalschutz-Atlas gelistet und wurde abgerissen", schimpft Martin Schreck von den Altstadtfreunden.
Die Abrissgenehmigung wurde 2004 von der Unteren Denkmalschutzbehörde auf Grundlage des damals geltenden Bauplanungsrechts erteilt. Das war möglich, weil das Gebäude nur zwei Geschosse hatte und ein höheres Baurecht bestand.
"Auf Basis denkmalfachlicher Abwägung ist es ärgerlich, dass so etwas abgerissen wird", sagt Mathias Pfeil. Zum Zeitpunkt der Abbruchgenehmigung sei die Rechtslage eine andere gewesen, heißt es aus dem Planungsreferat, aber eigentlich hätte es neu geprüft werden müssen. Das Amt für Denkmalschutz hatte für den Erhalt plädiert.
Nun soll dort ein Hotelneubau entstehen.
Sailerstrasse 2-6 - Das Aus für drei Giebelhäuser
Eines der drei Häuser. Foto: Linda Jessen
Ende März dieses Jahres wurde mit dem Abriss der drei kleinen, pittoresken Giebelhäuser der Sailerstraße 2 bis 6 aus dem Jahr 1898 begonnen. Kurz zuvor hatten sich dort in Schwabing-West noch Anwohner, Vertreter der Lokalbaukommission, der Unteren Denkmalschutzbehörde, des Landesamts für Denkmalpflege und des Bezirksausschusses getroffen, um sich für den Erhalt einzusetzen. Insbesondere die Altstadtfreunde kämpften dafür, die Häuser unter Denkmalschutz zu stellen.
Doch laut des Landesamts für Denkmalpflege hatten die Häuser schon zu viele Veränderungen an der ursprünglichen Bausubstanz, als dass sie hätten Denkmäler sein können.
So schaut es dort nun aus. Foto: Daniel von Loeper
"Für ein Ensemble waren es außerdem zu wenige Häuser. Zwei waren ja schon zerstört worden", erklärt Denkmalamtschef Mathias Pfeil. Deshalb konnte gegen den Abbruch vonseiten des Denkmalschutzes nicht vorgegangen werden. Laut ehemaligen Bewohnern wurden im Haus Nummer sechs früher sogar Marmortische für die Titanic gebaut – aber auch das reichte nur für eine nette Anekdote. Die Häuser wurden bereits komplett abgerissen.
Die Lokalbaukommission hat Baugenehmigungen erteilt. Momentan ist in der Sailerstraße noch eine Lücke, aber demnächst werden hier deutlich höhere, neue Wohnhäuser entstehen.
Ehemaliges Kloster an der Schleissheimer Strasse - Moderner Neubau statt Kloster
Noch steht das ehemalige Karmelitenkloster in Schleißheimer Straße 278 a. Bald soll hier ein großer Neubau entstehen. Foto: Daniel von Loeper
Das Karmelitenkloster an der Schleißheimer Straße 278 in Schwabing-West wurde 1921 gebaut. Auf der einen Seite grenzt es an den Luitpoldpark auf der anderen verläuft der Petuelring.
Die Schwestern vom Orden der Karmelitinnen gaben das Kloster 2013 auf. Es zog der Integrationskindergarten St. Joseph der Caritas ein. Doch im September 2013 musste er in einen Containerbau auf dem Gelände ausweichen, denn es zog die St. George’s International School ein. Die wird aber nun in einen Neubau im Münchner Norden ziehen. Das Klostergebäude wird dann abgerissen werden.
Diese Gebäude sollen das Kloster ersetzen. Visualisierung: SSN Group
Auf dem 11 000 Quadratmeter großen Areal soll ab 2018 der sogenannte Covent Garden Munich entstehen. Die Fertigstellung des Neubaus ist für 2020 geplant. Investor ist die GerchGroup.
Vonseiten der Projektentwickler heißt es, dass sie sich noch "in einem sehr frühen Stadium der Projektentwicklung" befinden würden. Geplant sind Wohnungen. Der Integrationskindergarten St. Joseph werde aber in der Planung berücksichtigt. Investieren will die Gruppe rund 200 Millionen Euro.
Alte Akademie - Was passiert mit der Alten Akademie?
Der Streit um die Alte Akademie ist noch nicht beendet. Der Investor will die Arkaden reduzieren. Foto: Daniel von Loeper
Wie es mit der Alten Akademie in der Neuhauser Straße weitergehen soll, ist noch unklar. Der Staat Bayern als Eigentümer hatte einen Investor für das Gebäude gesucht und sich für die österreichische Immobiliengruppe Signa entschieden.
Aus den Plänen ging hervor, dass der Investor nicht ein Kaufhaus, sondern mehrere Großmieter – Apple wurde genannt – anziehen wollte, erklärt Hans Hanfstingl. Er setzt sich im Internet mit einem Blog gegen die Umbaumaßnahmen an der Alten Akademie ein.
Die Arkaden sollten stark reduziert werden, um bessere Schaufensterflächen zu schaffen, so Hanfstingl. "Nach diesen Plänen bleibt innen fast kein Stein auf dem anderen und auch die Fassade und das Dach bleiben nicht unangetastet."
Im Mai macht Brigitta Michail, die Tochter des verstorbenen Architekten des ehemaligen Hettlage-Kaufhauses, Josef Wiedemann, die Urheberrechte geltend. Sie erhebt Einspruch gegen die Umbaupläne der Signa. Nun laufen Gespräche zwischen Brigitta Michail und dem Investor – entschieden ist noch nichts.
Die Alte Akademie stammt aus dem 16. Jahrhundert. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude größtenteils zerstört. Josef Wiedemann baute es in Anlehnung an die alten Strukturen wieder auf. Den Giebelbau in der Mitte rekonstruierte er in der Originalform.
"Alles aus dem 16. Jahrhundert, also die 16 Fensterachsen, die Fassaden, die Treppenhäuser, die müssen unbedingt gehalten werden", so der Generalkonservator Mathias Pfeil. Auch die Arkaden müssten bleiben, jedoch nicht unbedingt in ihrer Tiefe und die Position der Schaufensterscheiben könne verändert werden. Denn das sei sowieso nicht mehr wie beim Originalbau, so Pfeil.
Hanfstingl hält dagegen: "Der 50er-Jahre-Stil wird manchmal unterschätzt, weil er gediegen, sparsam und zurückhaltend ist, aber eben nicht banal wie die heutige Bauweise."
Zehentbauer Haus - Künstlerhaus in Feldmoching wurde bereits abgerissen
Das Zehentbauerhaus in der Lerchenauer Straße musste weichen. Foto: Daniel von Loeper
Das Zehentbauer-Haus in der Lerchenauer Straße 206 in Feldmoching gibt es nicht mehr. In dem Wohnhaus und Atelier hatte der Bildhauer und Krippenschnitzer Otto Zehentbauer bis zu seinem Tod 1961 gelebt und gearbeitet. Bekannt sind seine Weihnachtskrippen. Diese stehen unter anderem in der Münchner Frauenkirche, dem Dom zu Speyer und im Aachener Dom.
Der Künstler hatte das Haus 1912 bauen lassen. Nach seinem Tod lebte noch der Schwiegersohn des Künstlers, Gerhard Schramm, hier. Schramm war mit 94 Jahren im November 2013 gestorben. Der Erbe hatte das Haus dann verkauft.
"Es gab im Vorfeld des Abrisses sehr viele Proteste, doch das alles half nicht", erinnert sich Martin Schreck von den Altstadtfreunden. Im Dezember 2016 ging es dann plötzlich sehr schnell. Der Bürgerverein wurde aufgefordert, innerhalb eines Tages die noch verbliebenen Exponate aus dem Haus zu holen.
Bald wird hier neugebaut. Das Schild mit der Simulation des Neubaus haben Unbekannte beschmiert. Foto: Daniel von Loeper
Nach dem Abriss brachte der Bauträger, die Raiffeisenbank München-Nord, auf dem Grundstück ein Schild mit der Simulation des Neubaus an. Das wurde jedoch direkt von Unbekannten mit Farblack beschmiert. Schreck sieht dies als Zeichen für den großen Unmut in der Nachbarschaft des Zehentbauer-Hauses.
Generalkonservator Mathias Pfeil kann das verstehen. "Das Bürgerengagement war hier sehr groß", sagt er. "Aber Zehentbauer war geschichtlich kein besonders bedeutender Künstler." Und am Haus sei so viel verändert worden, dass es nicht unter Denkmalschutz gestellt werden konnte.
Hotel Königshof - Der Neubau wird neun Meter höher
Das Hotel Königshof am Stachus ist 25 Meter hoch. Foto: Lea Kramer
Ursprünglich wurde an der zentralen Stelle zwischen Altstadt und Hauptbahnhof eine Privatresidenz erbaut, 1866 entstand dann ein Hotel. Seit 1938 befindet sich das Haus im Besitz der Münchener Hotelierfamilie Geisel. In den 50er Jahren etablierte sich das Hotel Königshof in der Münchener Spitzenhotellerie. Pünktlich zu den Olympischen Spielen wurde es 1972 nach einer großen Renovierung wiedereröffnet.
Im Dezember 2018 soll das Hotel abgerissen werden. In einer geplanten zweieinhalbjährigen Bauzeit entsteht dann an selber Stelle der neue Königshof.
Das jetzige Gebäude hat eine Höhe von 25 Metern und sechs Stockwerke, der Neubau wird 34 Meter hoch sein und neun Stockwerke haben. Geplant ist auch ein Rooftop-Restaurant mit Panoramablick über München sowie eine Spa- und Wellness-Etage.
Dieser Neubau soll neun Meter höher sein. Foto: Nieto Sobejano Arquitectos
Aber der Entwurf des spanischen Architekturbüros Nieto Sobejano ist sehr umstritten: "Er berücksichtig schlicht und einfach die Umgebung nicht", sagt Generalkonservator Mathias Pfeil, Leiter des Landesamts für Denkmalpflege. Der Entwurf sei eine "austauschbare Architektursprache". Enrique Sobejano leitet seit 2008 den Lehrstuhl für Experimentelles Gestalten und Grundlagen des Entwerfens an der Universität der Künste Berlin.
Für Pfeil ist die Fassadengestaltung mit dem tiefen gebrochenen Spalt in der Mitte viel zu monströs. "Die Argumentation, dass der Schlitz ein Pendant zum Karlstor sein soll, stimmt einfach nicht", schimpft er.
Auch die Initiative der Altstadtfreunde halten den Entwurf für zu dominant und glauben, dass der Neubau dem Stadtbild enorm schaden werde.
"Der kantige Baukörper stellt einen architektonischen Bruch zum Justizpalast und auch zum Kaufhof her", sagt Martin Schreck von den Altstadtfreunden.
Doch die Stadt hat die Baugenehmigung bereits erteilt.
Glockengiesserei Oberascher - Die Glockengießerei darf bleiben
Die Glockengießerei Oberascher wurde unter Denkmalschutz gestellt und bleibt erhalten. Foto: Daniel von Loeper
Das berühmte Glockenspiel des Neuen Rathauses am Marienplatz und Glocken für die Frauenkirche und den Alten Peter wurden hier in der Glockengießerei Oberascher in der Mitterstraße in Laim gegossen. Im Frühjahr dieses Jahres wurde die mehr als 100 Jahre alte, von einem großen Garten umgebene Villa der Fabrikantenfamilie abgerissen.
Anwohner und der Laimer Bezirksausschuss hatten sich lange gegen den Abbruch eingesetzt. Bei dem Wohnhaus war das umsonst. "Das hatte keine Sonderstellung. Es gibt noch viele dieser Art in München", erklärt Mathias Pfeil den Abriss.
Aber einen Erfolg konnten die doch Bemühungen erzielen: Die angrenzende Werkhalle wurde unter Denkmalschutz gestellt und nicht abgerissen – bis auf den Glockenturm, der fiel versehentlich den Abrissarbeiten zum Opfer, obwohl auch er unter Denkmalschutz stand. "Das war ein Fehler, der ärgerlich ist", sagt Pfeil. "Aber sowas passiert halt."
Die Marienglocke von Rudolph Oberascher. Foto: Stadtarchiv
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