München: Neue Regierung plant keinen Tunnel mehr
Die neue Koalition im Rathaus sieht offenbar keine Grundlage mehr, die Röhre unter dem Englischen Garten mit Nachdruck weiter voranzutreiben.
München - Herrmann Grub ist ein freundlicher, optimistischer Mann. Doch wenn man den Schwabinger Architekten dieser Tage trifft, ist ihm die große Sorge anzusehen und anzuhören. Denn Grub fürchtet um sein Herzensprojekt.
Zusammen mit seiner Frau hat er acht Jahre lang dafür gekämpft, dass der Mittlere Ring im Englischen Garten unter die Erde verlegt wird. Er schien dem Ziel sehr, sehr nahe. Doch jetzt droht das Projekt doch zu scheitern.
Grün-Rot in München verwirft wohl Tunnel-Entscheidung aus 2017
Am Mittwoch berät der Stadtrat über den städtischen Haushalt. Vorab will die grün-rote Koalition am Freitag der Presse eine "Prioritätenliste" vorstellen. Doch das Geld ist knapp. Und so ist für die Beobachter wohl weniger spannend, was die Koalition eine erste oder zweite Priorität nennt. Sondern: Was auf ihrer Streichliste steht.
"Wenn man sieht, was sie alles versprochen haben", ätzt CSU-Stadtrat Hans Theiss, "das wäre ja schon ohne Corona nicht gegangen." Doch jetzt ist Corona da – und alles, was als verzichtbar gilt, steht auf der Kippe. Zum Beispiel der Tunnel durch den Englischen Garten, für den sich der Stadtrat nach langem Hin und Her 2017 einstimmig aussprach. Damals begannen erste Planungen, inzwischen ist das Baureferat mit der Vorplanung fertig. Fehlt nur noch das Planfeststellungsverfahren.
Doch die politische Mehrheit wackelt offenbar. In den internen Runden der Großen Koalition läuft alles auf andere Prioritäten hinaus. Hinter vorgehaltener Hand gibt es kaum noch jemanden, der viel auf das Projekt setzen würde.
CSU hält am Tunnel unter dem Englischen Garten fest
Offiziell gibt man sich diplomatisch. Auf AZ-Nachfrage sagt etwa Florian Roth, der Fraktionsvorsitzende der Grünen: "Ich halte das weiterhin für ein attraktives Projekt. Aber wir reden darüber, ob wir es erst später verwirklichen. Wir wollen politische Schwerpunkte setzen."
Klingt sehr danach, dass kein Schwerpunkt auf der grünen Röhre liegen wird, die doch eine Wunde heilen, den Englischen Garten wiedervereinten sollte, wie etwa auch Alt-OB Hans-Jochen Vogel geworben hat.
Die CSU hält prinzipiell am Tunnel fest – das tut sie aber auch am Landshuter-Allee-Tunnel, den Grüne und Rote nicht mehr ernsthaft weiterverfolgen.
"Die anderen Tunnel sind tot. Unserer lebt noch. Zumindest ein bisschen", so sagt es Architekt Grub. Aus Koalitionskreisen heißt es, beim Landshuter-Allee-Tunnel habe die SPD zumindest herausgehandelt, dass erst bessere Lärmschutzmaßnahmen für die Anwohner gefunden sein müssen, bevor man alle Planungen stoppt. Und beim Englischen Garten? 125 Millionen Euro sollte der Tunnel kosten, so zumindest Grubs Berechnung. Der Freistaat hätte 40 Millionen übernommen, der Bund etwas mehr als zwei Millionen für die Planungen. Grub hofft, dass die Stadt nun zumindest das Planfeststellungsverfahren (das geschätzt zwei bis drei Jahre dauert) wie geplant durchzieht.
"Die meiste Arbeit ist ja gemacht", sagt er. "Das Planfeststellungsverfahren würde fast nichts kosten." Er habe Verständnis, dass in Corona-Zeiten alles auf den Prüfstand müsse. Doch es gebe keinen Grund, das Projekt jetzt zu beerdigen: "Vielleicht ist ja in zwei Jahren wieder mehr Geld da." Die Planfeststellung könnte zur Not sogar die Initiative finanzieren – eine Million Euro bekomme man noch von der Allianz Umweltstiftung. Auch wenn im Rathaus keiner mehr daran zu glauben scheint, dass im Englischen Garten die Bagger anrollen: Vielleicht geht Grubs Plan – zumindest vorläufig – doch auf. "Das Planfeststellungsverfahren werden wir wohl noch finanzieren", hieß es am Mittwoch aus dem Rathaus.
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