München im Pakete-Chaos: Hier geht die Packerlpost ab

Lange Schlangen, genervte Kunden und gestresstes Personal – in Paketshops leider oft Alltag, Millionen Pakete gehen aktuell auf Reisen. Enes Kilerci (26) und seine beiden Mitarbeiter in Haidhausen arbeiten im Akkord – bis zu 1.200 Pakete schaffen sie am Tag.
von  Nina Job
Häufiges Bild: Wie hier vor dem kleinen DHL-Shop in der Einsteinstraße stehen Kunden in der Kälte Schlange. Wenigstens hier müssen sie aber meist nicht lange warten.
Häufiges Bild: Wie hier vor dem kleinen DHL-Shop in der Einsteinstraße stehen Kunden in der Kälte Schlange. Wenigstens hier müssen sie aber meist nicht lange warten. © Foto: Sigi Müller

München - Sie stapeln sich überall: neben der Theke mit der integrierten Waage, in den großen Gitterwagen im Gang, im Shop neben dem Regal mit Süßkram und hinten im Lagerraum sowieso: Pakete, Pakete, Pakete. Eines ist so groß, dass ein Rasenmäher hineinpassen würde.

Wenn Pakete tagelang nicht abgeholt werden, ist das für Enes Kilerci und seine beiden Mitarbeiter ein Problem, sie blockieren die Regale oder stehen im Weg rum. Erst recht solche Monsterpakete.

Am Montag ist am meisten los. Und am Samstag geht's auch zu

Der 26-Jährige und die Helfer im DHL-Shop in der Einsteinstraße 129 arbeiten im Akkord. Wenn es so zugeht wie jetzt vor Weihnachten, sprechen sie nur das Nötigste miteinander, eine gemeinsame Mittagspause ist undenkbar. Einer holt zwischendurch schnell Essen um die Ecke, gegessen wird nacheinander. Bis der Letzte dazu kommt, ist das Essen meist kalt. Wenn der Shop abends schließt, sortiert Enes Kilerci noch Pakete, damit es am nächsten Tag wieder flutscht.

Im Dienste der Post: Mamadou Did (l.) und sein Chef Enes Kilerci.
Im Dienste der Post: Mamadou Did (l.) und sein Chef Enes Kilerci. © Foto: Sigi Müller

Jeder Handgriff sitzt bei den drei jungen Männern. Mamadou Did und sein Kollege stehen meistens an der Theke. Sie lassen sich von jedem, der eine Sendung abholen will, den Ausweis zeigen. Sie frankieren neue Pakete oder scannen die bereits aufgeklebten Label. Die Packerl, die abgeholt werden, holt Kilerci aus dem Lager – oder aus einem der Stapel.

Beim Einsortieren wird jeder Paketaufkleber gescannt und die jeweilige Nummer am Regal, außerdem schreibt Kilerci oft noch handschriftlich den Empfängernamen drauf, dann findet er die Sendung später schneller.

Montags ist am meisten los. "Da wollen die Leute alles erledigen", sagt der Chef. Aber samstags ist es auch heftig. Einmal standen die Kunden am ganzen Häuserblock entlang bis zur nächsten Querstraße Schlange. Doch wirklich lange in der Kälte warten müssen seine Kunden selten. "Länger als zehn Minuten habe ich noch nie gewartet", sagt eine Stammkundin anerkennend. "Die sind echt flott hier."

Und wenn Kilerci am Samstag um 12.30 Uhr eigentlich schließt, aber noch Kunden anstehen, lässt er sie trotzdem rein. "Das wäre ja sonst unfair", sagt er.

Kilerci ist eigentlich ausgebildeter Maler und Lackierer, doch vor drei Jahren sattelte er um, begann in dem Paketshop. Im Sommer hat er den 60 Quadratmeter kleinen Laden (plus Lager ca. 45 qm) übernommen. Sein Vorgänger hat aufgehört.

Die Deutsche Post gibt die Aufgaben gerne ab

Kilerci ist nun ein sogenannter Servicepartner der Deutschen Post. Filialen, die das Unternehmen selbst betreibt, werden immer weniger (AZ berichtete). Begründung: rentiere sich nicht. Der Konzern stellt sich vor, dass die Partner die Post-Dienstleistungen neben ihrem eigentlichen Geschäft (oft Schreibwaren) miterledigen, die Post-Dienste sollen nicht die einzige Einnahmequelle sein. Aber ist das zu bewältigen bei dem Paket-Boom?

In der Einsteinstraße 129 hat schon der Vorgänger kaum etwas anderes angeboten. Sein Sortiment umfasste gerade mal Getränke, Süßkram, Chips. Kilerci ist noch gar nicht dazu gekommen, sich etwas zu überlegen, was er verkaufen könnte.

Seit der Pandemie gehen die Paket-Zahlen durch die Decke. Daheim auf dem Sofa zu bestellen und sich die Ware liefern zu lassen, ist bequem. Da zudem fast alle Händler anbieten, dass das, was nicht gefällt oder passt, kostenfrei zurückgeschickt werden kann, bestellen viele eine Auswahl und schicken dann Teile der Bestellung als Retoure zurück. Das bedeutet: Eine Bestellung – mindestens zwei Paketsendungen, bei Umtausch sind es noch mehr.

"Ewig kann man das nicht machen", sagt der Shop-Inhaber

An einem normalen Werktag bearbeitet die Post/DHL inzwischen im Schnitt 6,7 Millionen Pakete bundesweit – 2011 waren es noch drei. Jetzt vor Heiligabend wird sogar mit bis zu 11 Millionen Paketen an einem einzigen Tag gerechnet. Zahlen nur für München gibt es nicht.

Wenn Pakete nicht zugestellt werden, weil der Empfänger nicht zu Hause ist oder der gestresste Paketbote gar nicht erst klingelt, landen die Packerl beim Nachbarn oder in einer Filiale. Doch nicht überall arbeiten drei kräftige junge Männer, die die Paketflut als Challenge sehen. Sondern auch Inhaber mit kleinen bunten Geschäften, in denen sie alleine stehen. Sie sperren in der Mittagspause zu, haben eingeschränkte Öffnungszeiten.

Packerlberge: ein DHL-Zusteller im Stress.
Packerlberge: ein DHL-Zusteller im Stress. © Foto: Deutsche Post DHL Group

Das wiederum passt nicht zur Lebensrealität vieler Kunden: Wer als Berufstätiger in der eigenen Mittagspause oder nach Büroschluss zur Post will, steht dann vor verschlossener Tür. Das macht schlechte Laune, Beschimpfungen und Beleidigungen sind keine Seltenheit.

Obwohl die Post Milliardenumsätze macht, reagiert sie auf den Paketboom nicht mit der Schaffung von eigenen großen Filialen, sondern setzt zunehmend auf Selbstbedienung und Umerziehung: Immer mehr vollautomatische "DHL-Packstationen" werden aufgestellt. Die sind zwar praktisch, aber nichts für Kunden, die wenig online-affin sind oder auch mal einen Menschen etwas fragen möchten.

Bei Enes Kilerci und seinem Team gibt es noch persönliche Ansprache. Sie sind freundlich, höflich, geduldig und wünschen ihren Kunden einen schönen Tag. Bis zu 600 Pakete geben sie derzeit täglich aus, etwa genau so viele nehmen sie an. "Das geht nur Vollgas", sagt Kilerci lachend. Je mehr sie schaffen, umso besser. Er verdient an jedem Paket. "Aber ewig kann man das nicht machen", sagt er. Der Vorbesitzer habe neun Jahre ausgehalten. Sein Ziel sind zehn Jahre.

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