München: Hochburg der Tierversuche
In München werden Jahr für Jahr Versuche an Hunderttausenden Tieren durchgeführt. Wer forschen darf, wer die Versuche genehmigt - und was die Tierschützer dazu sagen.
München - Beagle-Hunde, denen für die Stammzellforschung Antikörper injiziert werden, die zuvor in Kaninchen gezüchtet wurden (Helmholtz-Zentrum); Mäuse, bei denen ein Schlaganfall ausgelöst wird, indem unter Narkose ein Faden durch die Halsarterie ins Gehirn geschoben wird (TU München);
Paviane, denen die Herzen genetisch veränderter Schweine implantiert werden (LMU München);
Schweine, deren Herzen mit Stents und Kathetern versehen werden, um die Organe – nachdem die Tiere getötet wurden – zum Nutzen der Herz-Kreislauf-Wissenschaft zu untersuchen (Deutsches Herzzentrum).
Mehr als 3 Millionen Vierbeiner werden in Deutschland jedes Jahr bei Tierversuchen „verbraucht“ – ein Großteil davon in München: Laut Kreisverwaltungsreferat (KVR) können in der Stadt 300 000 Versuchstiere gleichzeitig gehalten werden. Die Zahl der Tiere, die pro Jahr bei Experimenten sterben, sei „um ein Vielfaches“ höher, sagt Sprecherin Daniela Schlegel. Tendenz steigend. Denn in der „Weltstadt mit Herz“ forschen mehr als 100 Einrichtungen an lebenden Tieren – vom Futtermittel-Hersteller bis zur Universitätsklinik.
Mehr als 600 Versuchsprojekte sind derzeit genehmigt. 45 Münchner Institute und Unternehmen halten eigene Versuchstiere. In ihren Labors und Ställen ist Platz für 200 000 Mäuse, 32 000 Fische, 30 000 Frösche, 9000 Ratten, 2500 Stück Geflügel, 2000 sonstige Nager, 400 Kaninchen, 350 Schweine, 290 Wiederkäuer, 180 Hunde, je 60 Frettchen und Katzen, 26 Pferde und vier Affen.
Und in den nächsten Jahren werden weitere Versuchstiere hinzukommen: Die TU will 2016 in Haidhausen ihr Krebsforschungszentrum „Translatum“ eröffnen. Geplant sind 6200 Käfige für 36 000 Mäuse und 800 Ratten. Die LMU will auf dem Campus Martinsried-Großhadern ihr „BioMedical Center“ errichten. Mit den Wissenschaftlern sollen dort bis zu 54 000 Mäuse, Nagetiere, Fische und Frösche einziehen. Auch das Deutsche Herzzentrum will sich vergrößern – und die Schweinehaltung zu Forschungszwecken gleich mit.
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Genehmigen muss all diese Experimente die Regierung von Oberbayern, kontrolliert werden sie von Amtsveterinären des KVR. „In der Vergangenheit haben die Kollegen die Haltung der Tiere stichprobenartig unter die Lupe genommen“, sagt Sprecherin Daniela Schlegel. Doch seit dem Inkrafttreten der „EU-Richtlinie zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere“ reicht das nicht mehr.
Die Vorgabe regelt erstmals detailliert die Anforderungen an die Haltung von Versuchstieren bezüglich Räumlichkeiten, Anlagen und Ausstattung. Ihre Zielsetzung: Die Lebensbedingungen von Labortieren verbessern, Experimente mit Tieren zu reduzieren und möglichst ganz zu vermeiden. Diesem verbesserten Schutz könne nur durch regelmäßige Stippvisiten Rechnung getragen werden, heißt es beim KVR. Zumal in Zukunft die Durchführung der Tests einen zweiten Kontrollschwerpunkt bildet. Überprüft werden sollen dann auch die Vorbereitung der Tiere auf den Versuch, Narkoseverfahren, Operationsmethode und postoperative Schmerzbehandlung. Besonders genau hinschauen wollen die Amtsveterinäre in Zukunft bei Versuchen, „die mit hoher Belastung für die Tiere einhergehen, um die Versuchstiere vor unnötigen und vermeidbaren Leiden und Schmerzen zu schützen“.
Bislang waren für die Kontrollen fünf Amtstierärzte zuständig. Aufgrund der gestiegenen Anforderungen entschied der Stadtrat gestern, das Team um zwei Veterinäre aufzustocken und eine zusätzliche Verwaltungsstelle zu schaffen.
Münchens Tierschützer sehen die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. „Natürlich Freude wir uns, wenn das Veterinäramt mehr Stellen bekommt, um Tierversuche zu kontrollieren“, sagt Judith Brettmeister, die Sprecherin des Tierschutzvereins. „Aber grundsätzlich ist und bleibt es ein Skandal, dass so viel Geld in die Forschung mit Tierversuchen gesteckt und die tierversuchsfreie Forschung ignoriert wird.“ Vor allem, weil zahlreiche Studien darauf hinwiesen, dass wissenschaftliche Ergebnisse aus Tierversuchen nicht auf den Menschen übertragbar seien. Judith Brettmeister: „Wir sind eben Menschen – und keine 90-Kilo-Mäuse.“
Ausführliche Informationen zu Tierversuchen in München und ganz Deutschland finden Sie in der Online-Datenbank der Organisation "Ärzte gegen Tierversuche".