München: Hier sollen bald 15.000 Menschen leben – die ersten Bewohner sind nun eingezogen
München - Die Ersten – das sind immer die Gewinner. Aber gilt das auch, wenn man der Erste ist, der in eine neue Siedlung zieht? Wo drumherum Kräne stehen? Wo es keine Wiesen gibt, bloß Baugruben? Keine Geschäfte, keine Cafés? Vanessa Graff und Louis Strohkendl haben das gewagt. Sie sind Anfang April ins Neubaugebiet Neufreimann gezogen.
Bis Ende des Jahrzehnts soll hier ein neues Viertel für 15.000 Menschen entstehen. Freimann, wo das Neubaugebiet liegt, wächst damit um fast 20 Prozent an Einwohnern. Momentan ist aber erst ein Haus fertig. Es gehört dem Immobilienunternehmen Sedlmayr.
Erste Bewohner in Neufreimann eingezogen – noch ist hier viel Baustelle
Vanessa Graff und Louis Strohkendl sind in eine von 253 Wohnungen gezogen. 83 davon sind noch frei. Die Miete liegt bei rund 22 Euro pro Quadratmeter, also gut zwei Euro günstiger als für eine Neubau-Wohnung in München im Schnitt.

Vorher hätten sie beide draußen in Planegg gewohnt, erzählt Louis Strohkendl. Aber weil sie in München arbeiten, wollten sie näher zu ihrem Lebensmittelpunkt. Ohrstöpsel brauchen sie nicht – durch die Schallschutzfenster komme kein Baustellenlärm, sagt der 28-Jährige. Er steht mit seiner Frau auf dem Dach des Hauses. In den Beeten hier oben wachsen die ersten Pflänzchen. Im Sommer sollen die Bewohner auf der Dachterrasse grillen können – mit einem Blick bis zu den Alpen.

Doch wenn man nicht ganz so weit in die Ferne, sondern eher nach unten schaut, blickt man auf eine Baugrube. Dort wollte das Unternehmen Sedlmayr noch einmal Hunderte Wohnungen bauen. Doch seit Sommer 2023 steht die Baustelle still. Wann genau das Loch mit einem Wohnhaus gefüllt wird, kann Hermann Brandstetter, der Chef des Unternehmens, nicht sagen. "Wir haben die Absicht und die gute Hoffnung, dass es bald mit dem nächsten Bauabschnitt weiter geht", sagt er, aber auf eine Jahreszahl will er sich nicht festlegen. Einen Baustopp musste das Unternehmen einlegen, weil die Baukosten explodiert seien. Insgesamt wollte Sedlmayr 1100 Wohnungen auf vier Baufeldern errichten. Fertig geworden ist jetzt bloß ein Gebäude auf dem kleinsten Baufeld.

Auch Stadtbaurätin Elisabeth Merk (parteilos) hofft, dass es bald weitergeht. Gerade überprüfe die Stadt, was man alles vereinfachen kann, um Kosten zu reduzieren. "Ich bin dankbar, dass das Unternehmen das Grundstück nicht verkauft hat", sagt sie. Denn jetzt passen die Pläne aus ihrer Sicht bestens zu denen der Stadt.
Neufreimann gehört zum größten Teil der Stadt
Zum Neubaugebiet Neufreimann muss man wissen: Der größte Teil (nämlich 48 von 60 Hektar) gehört der Stadt. Darum entstehen hier nur Mietwohnungen, die sich nicht bloß superreiche Menschen leisten können sollen.
Früher war auf diesem Gelände die Bayernkaserne. Während des Zweiten Weltkriegs waren hier Einheiten der Luftwaffe untergebracht. Später waren hier eine Erstaufnahme-Einrichtung für Asylbewerber und ein Notquartier für Obdachlose. Seit ein paar Jahren wächst ein neuer Stadtteil – der einmal der schönste in ganz München werden wird. So sieht es zumindest Bezirksausschusschef Pascal Wolf (CSU). Sein Gremium habe dafür gekämpft, dass auf dem Kasernengelände viele Wohnungen entstehen und möglichst dicht gebaut wird.

Nun orientiere sich die Dichte an den Gründerzeitvierteln in der Innenstadt, sagt Michael Bacherl, der die Abteilung "Stadtplanung" im Planungsreferat leitet. Die Maxvorstadt ist zum Beispiel so ein Gründerzeitviertel. So wie dort sollen auch in Neufreimann in die Erdgeschosse Läden, Cafés und Gewerbe einziehen.
Bacherl erklärt all das auf einem Kiesplatz, der einmal der zentrale Stadtplatz werden soll. Direkt hier entsteht ein Gebäudeblock der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Münchner Wohnen. Dort werden einmal eine Stadtbibliothek, die Münchner Volkshochschule, ein Nachbarschaftstreff und ein Alten- und Service-Zentrum einziehen. Außerdem kommen circa 300 Wohnungen rein. Fast 63 Meter hoch wird das Gebäude an seiner höchsten Stelle.

Dieser Bau ist noch in Planung – und er wird nicht das höchste Gebäude in Neufreimann. Das soll 80 Meter hoch werden.
Nicht weit weg vom künftigen Quartiersplatz hat Münchner Wohnen ein weiteres Wohnhaus mit circa 190 Wohnungen fast fertig. Voraussichtlich Anfang 2026 sollen die ersten einziehen. Auf den Visualisierungen sieht man, wie sich Pflanzen die Fassade hochranken. Noch steht dort ein Gerüst.
Die Baugenossenschaften haben jetzt Probleme
Die Münchner Wohnen baut in Neufreimann acht Häuser. So wie beim Bau des privaten Investors soll es auch bei den städtischen Wohnhäusern Dachterrassen und Innenhöfe geben.
Außerdem hat die Stadt etwa 30 Prozent der Fläche an Baugenossenschaften vergeben. Sie haben sich bei der Stadt mit Konzepten beworben. Eine Genossenschaft will zum Beispiel Wohnraum für Alleinerziehende schaffen, eine andere für kinderreiche Familien. Doch nun stehen die Genossenschaften vor einem Problem, weiß Ulrike Klar. Sie ist im Planungsreferat für Wohnungsbau zuständig.
Denn während der Freistaat in den vergangenen Jahren bis zu 120 Millionen Euro für Sozialwohnungen in München ausgab, solle 2025 und 2026 gar kein Geld mehr fließen, sagt sie. Viele Genossenschaften in Neufreimann haben jedoch fest mit diesem Geld geplant.
Bis jetzt fördert die Stadt keine klassischen Sozialwohnungen, sondern hat eigene Fördermodelle, etwa für Menschen mit einem mittleren Einkommen. Das Planungsreferat werde Anfang Mai dem Stadtrat vorschlagen, die Mittel umzuschichten, damit in München trotzdem weiterhin Sozialwohnungen entstehen.
"Wir haben um die Tram gekämpft"
Und noch ein "schwieriges Kampfthema" gab es laut Stadtbaurätin Merk: den ÖPNV. Denn weil das Geld im Rathaus immer knapper wird, war eine Zeit lang nicht klar, ob es sich die Tram zum Neubaugebiet leisten kann. "Wir haben darum gekämpft", sagt Merk. Mit Erfolg: Ende 2029 soll die Tram 23 fahren und am neuen Stadtplatz halten. Wer hier einsteigt, kommt zur U-Bahn Kieferngarten oder nach Schwabing.
Doch die Straßenbahn wird erst fertig, wenn in Neufreimann schon Hunderte Menschen leben. Bei den Schulen ist das anders. Eine Grundschule ist schon in Betrieb, übergangsweise ist eine Förderschule eingezogen. Man hört Kinder, die auf dem Pausenhof spielen. Im Gymnasium geht es im Herbst los. Außerdem gehören zu den Schulen eine Schwimmhalle, fünf Sporthallen, eine Außen-Sportanlage und eine Mensa. 280 Millionen hat der Schulstandort für die rund 2000 Schüler gekostet.

Auch eine weitere Grundschule, eine Förderschule, sowie eine Musikschule und 14 Kindertagesstätten werden gebaut. Woanders wäre das alles von den Dimensionen her eine kleine Stadt, sagt Stadtbaurätin Merk.