Mord in München nach 45 Jahren geklärt: Polizei fasste Täter in Großbritannien

München - Ein Fingerabdruck des mutmaßlichen Täters im Badezimmer des Opfers sowie ein einzelnes Haar und Körperflüssigkeit des Verdächtigen im Bett von Josef Brunner brachten nach Jahrzehnten den Durchbruch bei den Ermittlungen im "Silvestermord", einem der spektakulärsten Cold-Case-Fälle der letzten Jahrzehnte in München. Ein heute 70-jähriger Brite soll den Ex-Manager Josef Brunner im Dezember 1978 in dessen Wohnung in Obergiesing getötet haben.
Am Montag nannte die Mordkommission etliche neue und jahrzehntelang geheim gehaltene Details aus den Ermittlungsakten. Demnach ist Josef Brunner mit einem Mörserstößel aus Bronze ermordet worden. Zehn wuchtige Schläge, von hinten ausgeführt, so das Ergebnis der Obduktion. Die ein Kilo schwere und 24,5 Zentimeter große Tatwaffe wurde in der Wohnung des Opfers in der Werinherstraße damals sichergestellt.
Silvestermord in München: Opfer lag tot und blutüberströmt in Badewanne
Zudem gab es drei fremde Fingerabdrücke in der Wohnung, berichtete Stephan Beer, Chef der Münchner Mordkommission. Einer davon wurde im Bad gefunden. Josef Brunner lag blutüberströmt und tot in der Badewanne als er am 2. Januar gefunden wurde. Daher wurde diesem Fingerabdruck von Anfang an besondere Bedeutung zugeordnet.
Die Identität des Täters lag im Dunkeln. Zwei Zeugen erzählten den Ermittlern, dass Josef Brunner Ende 1978 in Begleitung eines unbekannten jungen Mannes aus Großbritannien gesehen worden war. Mit Hilfe der Personenbeschreibung gelang es, ein Phantombild zu erstellen. Doch das brachte genauso wenig den Durchbruch wie die 3.000 Mark Belohnung, die für Hinweise zur Ergreifung des Täters ausgesetzt wurden.

Der Täter hatte aus der Wohnung von Josef Brunner 1.000 Mark sowie einen Münzring mitgenommen. Der Ring wurde am 8. Januar 1979 auf einer Baustelle in der Nähe des Hauptbahnhofs gefunden.
So kam die Polizei dem mutmaßlichen Täter auf die Spur
Rund 18 Jahre gab es keine richtigen Fortschritte bei den Ermittlungen. 2.700 Personen wurden überprüft, eine Tatbeteiligung konnte keinem von ihnen nachgewiesen werden. Auch die unklare Spur nach Großbritannien blieb kalt. Erst 2005, so berichtet K11-Chef Stephan Beer am Montag, wurden im Zuge der Altfallbearbeitung am Tatort sichergestellte Beweismittel auf DNS-Material hin untersucht, zunächst aber auch wieder ohne Erfolg. Zwar wurden drei DNA-Muster gewonnen, doch ein Abgleich mit den im Polizeicomputer gespeicherten Daten ergab zunächst keinen Treffer.
2018 wurden der Fall erneut aufgenommen, die Fingerabdrücke wurden mit Hilfe des Bayerischen Landeskriminalamtes nochmals abgeglichen, diesmal wurden auch die Datenbanken der Polizei in Großbritannien in die Überprüfung mit einbezogen. Im November 2021 ergab ein Abgleich des im Bad sichergestellten Fingerabdrucks schließlich einen Treffer in der Datenbank der Polizei in England und damit eine erste richtig heiße Spur im Münchner "Silvestermord".
Der mutmaßliche Täter ist mittlerweile 70 Jahre alt
Der Fingerabdruck passt zu einem Rentner aus England. Er musste auf richterliche Anordnung wenig später eine Speichelprobe abgeben, mit deren Hilfe ein genetisches Profil des Verdächtigen erstellt wurde. Diese Daten wurden im Computersystem der Polizei in Großbritannien gespeichert. Allerdings ergaben routinemäßige Abgleiche gespeicherter DNA-Profile zunächst keinen Treffer. Doch dann, im November 2021, plötzlich der Durchbruch: Bei gespeicherten Datensätzen in England gab es eine Übereinstimmung mit der in München am Tatort sichergestellten DNS. Ein einzelnes Haar sowie die Körperflüssigkeit (kein Sperma) eines Mannes, beides hatte die Spurensicherung damals im Bett von Josef Brunner gefunden und sichergestellt.
Dieser genetische Fingerabdruck, den man im Labor erstellt hatte, stimmte mit dem eines britischen Staatsbürgers überein, eben jenes inzwischen 70-jährigen Rentners. Die Staatsanwaltschaft München I beantragte daraufhin einen Europäischen Haftbefehl. Weil Großbritannien allerdings inzwischen wegen des Brexits nicht mehr Mitglied der EU ist, gab es zunächst formaljuristische Probleme. Die konnten allerdings schnell beseitigt werden, wie Oberstaatsanwältin Juliane Grotz am Montag sagte.
Festnahme in Großbritannien erfolgte bereits im März 2023
Am 22. März 2023 wurde der inzwischen 70-jährige mutmaßliche Täter vor seiner Wohnung in England von der Polizei festgenommen. Der Mann habe es "sehr regungslos aufgefasst", sagte Stephan Beer. Der mutmaßliche Täter ist inzwischen selbst Rentner und geschieden. 1978 hat er für sechs Monate in München gelebt. Als Student jobbte er damals auf dem Bau.
Der Verdächtige kam in U-Haft. Am 6. April holten ihn zwei Ermittler der Münchner Mordkommission in London ab. Im Flugzeug ging es zurück nach München. Dort wurde er einen Tag später dem Ermittlungsrichter vorgeführt, der entschied, dass der 70-Jährige in Untersuchungshaft in eine JVA kommt. Sein Verteidiger beantragte Haftprüfung, scheiterte damit allerdings zuletzt auch vor dem Oberlandesgericht. Sein Mandant bleibt daher weiter in U-Haft.
Oberstaatsanwältin: Mehrere Mordmerkmale werden erfüllt
Am 21. September wurde beim Landgericht München Anklage gegen den Briten erhoben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm heimtückischen Mord aus Habgier vor. Oberstaatsanwältin Juliane Grotz: "Das Opfer wurde in seinem Bad hinterrücks angegriffen. Damit ist das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt." Zudem sei es bei der Tat auch darum gegangen, einen Raub zu ermöglichen. Josef Bruner hatte kurz vor seiner Ermordung 1.000 Mark bei seiner Bank abgehoben. Das Geld nahm der Täter mit, ebenso einen Münzring sowie Wohnungsschlüssel des Opfers. Damit, so die Oberstaatsanwältin, sei auch ein drittes Mordmerkmal gegeben: Habgier.
Wann sich der Brite vor dem Schwurgericht in München wegen Mordes verantworten muss, steht noch nicht fest. Ein Prozesstermin ist noch nicht festgelegt, hieß es am Montag. Dem Rentner droht im Fall einer Verurteilung eine lebenslange Haftstrafe. Die wird er allerdings nicht in Bayern, sondern in seiner Heimat absitzen. Das war Voraussetzung, dass die Justiz in Großbritannien, wie in solchen Fällen durchaus üblich, den Tatverdächtigen an die Bundesdeutsche Justiz für ein Gerichtsverfahren überstellte.
Mutmaßlicher Täter schweigt noch zum Vorfall
Viele der Zeugen, die damals von der Polizei befragt wurden, sind inzwischen verstorben. Darunter befindet sich auch der damalige Chefermittler in dem Fall. Für den Prozess hat das juristisch keine Auswirkungen, sagte Grotz. Der Inhalt der Akten werde als Aussage in das Verfahren eingebracht.
Der mutmaßliche Täter macht unterdessen von seinem Aussageverweigerungsrecht gebrauch. Er schweigt. Gegenüber einem Münchner Polizisten zeigte er sich nur einmal offen, er erzählte, dass er sich 1978 einige Zeit in München aufgehalten habe, berichtet Stephan Beer. "Die Beharrlichkeit der Ermittler und der wissenschaftliche Fortschritt haben diesen Fahndungserfolg erst möglich gemacht", lobte der Chef der Münchner Mordkommission am Montag im Polizeipräsidium.